Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3. Rudolf Walther
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Название: Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3

Автор: Rudolf Walther

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Essay-Reihe

isbn: 9783944369082

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СКАЧАТЬ auch Kommunisten »gegen faschistische Verbände, gegen die Regierung und gegen die Sozialdemokratie« – so der Aufruf der KPF – demonstrierten und die »Internationale« sangen, wie Daniel Guérin (1904-1988) als Augenzeuge berichtet. Am Morgen danach waren 15 Menschen tot und über tausend verletzt. Bei einer Demonstration der KPF am 9.2. kamen weitere neun Menschen ums Leben.

      Das Land taumelte zwischen faschistischer Machtergreifung und Bürgerkrieg. Unter dem Druck der Ereignisse folgten am 12.9.1934 erstmals über eine Million Sozialisten und Kommunisten einem Aufruf des sozialistischen Gewerkschaftsverbandes CGT (Confédération Générale du Travail) zum Protestmarsch gegen die faschistische Gefahr. Aber es dauerte noch Monate, bis die KPF von ihrem Dogma »Klasse gegen Klasse« abrückte, sich also von der politisch verheerend wirkenden Gleichsetzung von Sozialdemokraten, Demokraten und Faschisten verabschiedete. Den Anstoß dazu gab ein Prawda-Artikel von Ende Mai, der die Einheitsfront von Demokraten und Kommunisten gegen Faschisten als den Frieden sichernde Strategie empfahl. Am 27.7. vereinbarten Sozialisten und Kommunisten einen Pakt zur Aktionseinheit, und weitere drei Monate später sprach Maurice Thorez – der Generalsekretär der KPF – von der »Einheitsfront für Arbeit, Freiheit und Frieden«.

      Für die Organisation einer gemeinsamen Demonstration am Nationalfeiertag des 14.7.1935 bildeten Kommunisten und Sozialisten das »Comité national du rassemblement populaire«, worauf sich in der Presse die Kurzform »Front populaire« durchsetzte. In einer feierlichen Schlusszeremonie deklamierten Sozialisten und Kommunisten im Chor: »Wir schwören, zur Verteidigung der Demokratie, zur Entwaffnung der faschistischen Ligen, zur Sicherung unserer Freiheiten vor dem Faschismus vereint zu bleiben.«

      Der Wandel kam nicht zufällig. In Moskau rückte die »Kommunistische Internationale« von ihrer ebenso absurden wie aussichtlosen Politik ab, keinen Unterschied zu machen zwischen Faschisten, Sozialdemokraten und Demokraten. Stalins Kurswechsel beruhte auf der Einsicht, dass in ganz Europa eine faschistische Gefahr drohte sowie auf dem Interesse der sowjetischen Außenpolitik, Frankreich in ein Bündnis gegen Hitler einzubinden. Das gelang im Mai 1935 mit einem formellen Pakt, der obendrein die KPF über Nacht mit der nationalen Verteidigung und mit der Aufrüstung versöhnte.

      Die nicht weniger als neun französischen Regierungen in fast identischer konservativ-rechtsliberal-republikanischer Zusammensetzung zwischen Juni 1932 und Juni 1935 scheiterten alle daran, die wirtschaftlichen Krisen zu überwinden. Das änderte sich auch nicht mit dem Kabinett des Radikalen Pierre Laval (1883-1945), der ein paar Jahre später im Vichy-Regime mit Hitler kollaborierte. Laval begann am 16.6.1935 mit »décrets-lois« zu regieren, also mit Regierungserlassen, die – am Parlament vorbei – Gesetzeskraft erhielten wie die »Notverordnungen« von Brüning/Hindenburg in Deutschland. Mit mehreren Hundert solcher Dekrete verfügte Laval Lohnsenkungen, Tarifreduktionen und Höchstpreise. Die Massenkaufkraft sank drastisch, die Arbeitslosigkeit blieb. Mit der Ausschaltung des Parlaments wurde die Krise politisch verschärft und der Abstand zu den diktatorischen Regimes in Italien und Deutschland verringert.

      Als Laval auch noch Mussolini Konzessionen machte, obwohl dieser im Oktober 1935 gerade völkerrechtswidrig Äthiopien überfallen hatte, verließen die gemäßigten Radikalen die Regierung. Im Januar 1936 traten sie der Volksfront von Sozialisten und Kommunisten bei und verabredeten mit diesen ein Aktionsprogramm bzw. einen Katalog »sofort anwendbarer Maßnahmen«. Die Präambel des Pakts sah ausdrücklich vor, dass sich jede Partei »an gemeinsamen Aktionen beteiligen kann, ohne von ihrer Doktrin, ihren Prinzipien und ihren eigenen Zielen abzurücken.« Als Ziel der Volksfront wiederholte die Präambel den gemeinsamen Schwur vom 14. Juli: »Wir schwören, die demokratischen Rechte zu verteidigen, um den Arbeitern Brot, der Jugend Arbeit und der Welt den großen Frieden unter den Menschen zu geben.« Hammer und Sichel für die Kommunisten, drei Pfeile für die Sozialisten und die Jakobinermütze für die Radikalen schmückten fortan nebeneinander gemeinsame Flugblätter, Plakate und Transparente im Wahlkampf.

      Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 26.4. und 3.5.1936 errangen die Sozialisten 149, die Radikalen 111 und die Kommunisten 72 Sitze und bildeten die demokratisch einwandfrei legitimierte Volksfront mit 160 Sitzen Vorsprung vor der konservativ-rechtsradikalen Opposition.

      Dieses Wahlresultat löste zuerst eine soziale Explosion und dann eine kulturelle Revolution aus. Zwischen dem Wahlsieg im Mai und dem Regierungsantritt des Sozialisten Léon Blum (1872-1950) lag ein Monat mit einer Welle von Streiks gegen die noch amtierende, alte Regierung. Die rechts stehenden Patrons heizten die Stimmung noch an, als sie Arbeiter entließen, die am 1. Mai nicht zur Arbeit erschienen waren. Die Streiks breiteten sich wie ein Flächenbrand aus. Völlig neu war, dass die Arbeiter nicht vor oder an den Werkstoren streikten, sondern die Betriebe tagelang besetzten. Es gab keine Plünderungen und keinen Vandalismus. Mit Vergnügungsveranstaltungen und Kartenspielen vertrieben sich die Arbeiter die Zeit. Wie spontan die Streiks abliefen, zeigt das Beispiel der Kaufhauskette Prisunic, deren nicht organisierte Verkäuferinnen die Arbeit niederlegten, zum Gewerkschaftshaus marschierten und dort nachfragten, was sie machen sollten. Einschlägig beraten, kehrten sie in die Kaufhäuser zurück, blieben dort und wurden von ihren Angehörigen mit Lebensmitteln versorgt.

      Die pazifistische Syndikalistin Simone Weil (1909-1943), die als Lehrerin, aber auch als Fabrikarbeiterin gearbeitet hat, beschrieb die Stimmung mit einem Pathos, das weit verbreitet war: »Nachdem die Masse während Monaten und Jahren stets schweigend gebeugt, alles erduldet und eingesteckt hat, wagt sie es endlich, sich aufzurichten. Aufrecht zu stehen. Selbst das Wort zu ergreifen. Einige Tage lang das Gefühl haben, ein Mensch zu sein. Gänzlich unabhängig von den Forderungen ist dieser Streik an sich eine Freude. Eine reine Freude. Eine ungemischte Freude.«

      Als Léon Blum am 4.6.1936 die Regierung übernahm – mit drei Frauen als Staatssekretärinnen im Kabinett, die nach damaligem Recht noch nicht einmal das Wahlrecht hatten! –, hörten die Streiks nicht auf und die Erwartungen wie die Stimmung schossen ins Kraut. Léon Blum, 1872 als Kind einer bürgerlich-jüdischen Familie in Paris geboren, war ein brillanter Journalist. Bereits als junger Mann kämpfte er für die Rehabilitation von Alfred Dreyfus. 1923 sprach er sich gegen die französische Besetzung des Ruhrgebiets aus. Zeitlebens war er das Ziel rüder antisemitischer Angriffe. Charles Maurras, Mitbegründer der »Action Française«, hetzte 1934, man müsse Blum »als Juden sehen (…) und zur Strecke bringen.« Das Vichy-Regime lieferte ihn 1940 den Nazis aus. Er überlebte die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, war 1945/46 nochmals Ministerpräsident und starb im März 1950 in der Nähe von Paris.

      Die Regierung Blum erweckte beim Amtsantritt im Sommer 1936 große Erwartungen. Der linke Sozialist Marceau Pivert schrieb unter dem Titel »Alles ist möglich«: »Die Massen (…) werden sich nicht mit einem dünnen Kräutertee, der zögernden Schrittes an das Krankenbett der leidenden Mutter gebracht wird, begnügen.« Und Leo Trotzki feuerte seine Genossen in Frankreich mit einer Ferndiagnose aus Norwegen an: »Die französische Revolution hat begonnen.«

      Aus der Nähe sah die Situation etwas anders aus. Weil auch die Bergarbeiter streikten, gingen buchstäblich Lichter und Öfen aus. Maurice Thorez mahnte die eigenen Genossen, aber auch die streitlustigen linksradikalen Gruppen, am 9.6.1936: »Gegenwärtig steht die Machtfrage nicht zur Debatte. (…) Man muss imstande sein, einen Streik dann zu beenden, wenn die Forderungen erfüllt sind.« Sprach Thorez noch zwei Jahre zuvor vom »sozialdemokratischen Sumpf«, so tönte es jetzt ganz zahm: »Wir reichen Dir die Hand, Katholik, Arbeiter, Angestellter, Handwerker, Bauer, (…) weil Du unser Bruder bist.« Léon Blum wies darauf hin, dass es keine »proletarische Mehrheit«, sondern eine »Mehrheit der Volksfront« gebe.

      Die Volksfront-Regierung von Sozialisten und bürgerlichen Radikalen arbeitete effizient und unglaublich schnell. Die Kommunisten waren an der Regierung nicht direkt beteiligt, sondern beanspruchten für sich »eine Art Ministerium für die Massen« (Paul Vailant-Couturier). Am 7. Juni, drei Tage nach Amtsantritt, moderierte Blum die nach seinem Amtssitz benannte »Matignon-Vereinbarung« zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften. Drei von über einem Dutzend Reformvorhaben waren schon zwei Tage СКАЧАТЬ