Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3. Rudolf Walther
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Название: Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3

Автор: Rudolf Walther

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Essay-Reihe

isbn: 9783944369082

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СКАЧАТЬ Überwachung der Banque de France sowie Urlaubsfahrkarten zu ermäßigten Preisen. Léon Jouhaux, Chef der CGT, sah in den greifbaren Leistungen für acht Millionen Arbeitende einen Beleg dafür, »dass kein totalitärer oder autoritärer Staat nötig ist«, um aus der Krise herauszukommen. Vergleichbares schuf keine Regierung zuvor und danach – und schon gar nicht in nur 80 Tagen.

      Am 14.7.1936 feierte das Volk tanzend seinen Sieg. Vier Tage später putschte General Franco in Spanien, was nicht nur den Bürgerkrieg auslöste, sondern auch Spannungen in der Volksfront-Koalition. Die Kommunisten wollten den bedrängten Republikanern in Spanien schwere Waffen und Flugzeuge liefern, so wie Hitler und Mussolini den Putschisten. Die Radikalen waren dagegen, und Blum lavierte zwischen dem Verbündeten England, das ultimativ eine Politik der »Nichtintervention« verlangte, und der Duldung des Schmuggels wenigstens von leichten Waffen.

      Die Lage blieb politisch und wirtschaftlich prekär. Zwar gab es 1935 nur 28 Tarifverträge, zwei Jahre später indes schon über 4000. Aber es ist auch richtig, dass die kräftigen Lohnerhöhungen von 7-15 Prozent von der Inflation wieder zunichte gemacht wurden, dass die Produktion nur langsam wuchs, dass die Arbeitslosigkeit nicht verschwand und dass die Arbeitgeber die 40-Stunden-Woche nach dem ersten Schock unterliefen. Kapitalflucht und Abwertung schwächten die Wirtschaft.

      Blum hat das Regierungssystem der Dritten Republik (1870-1940) wenige Jahre vor ihrem schändlichen Ende modernisiert. An die Stelle einer auf Kungelei beruhenden »Republik der Abgeordneten« schuf er eine dem Parlament verantwortliche Koalitionsregierung. Leitete vor ihm der »Präsident des Rates« als primus inter pares nur die Sitzungen des »Ministerrats« und verwaltete ein Fachressort wie alle anderen Minister, so bezeichnete sich Blum als Premierminister. Er hatte kein Ressort und koordinierte zusammen mit zwei Staatssekretären die gesamte Regierungsarbeit von seinem Generalsekretariat aus.

      Trotz der schwierigen politischen Lage brach in Frankreich ein Taumel aus – »L’esprit de 36«, der Geist von 36, tanzte. Es »ändert sich die Lust am Leben«, und »das Blut fließt schneller in einem verjüngten Körper« (Léon Blum). Streiks, Demonstrationen und Fabrikbesetzungen stärkten das Selbstbewusstsein der Arbeiter. Dem Kampfruf des Arbeitgeberpräsidenten Claude Gignoux – »Patrons, seid Patrons!« – setzten die Arbeiter ihr stolzes »Genosse, Du bist nicht allein!« entgegen. Die Streiks ebbten ab, blieben aber eine Dauereinrichtung, was die Zahl von 10 000 staatlich moderierten Schlichtungen bis 1939 belegt. Frauen und Kinder hatten zum ersten Mal Anteil am politischen Leben – Demonstrationen wurden zu Familien- und Volksfesten. Arbeiterfamilien entdeckten den Sport, das Camping, die Berge und die Strände. Der Zugang zu Kultur und kulturellem Erbe wurde von Volkstheatern, Volksbibliotheken und anderen Einrichtungen demokratisiert. Jugendherbergen ermöglichten es Heranwachsenden, Ferien autonom zu gestalten. Die CGT bestellte bei Jean Renoir einen Film (»La Marseillaise«), der zum Film des Volkes für das Volk wurde. Paul Nizan kommentierte Lichtbilderveranstaltungen unter freiem Himmel, Louis Aragon leitete die »Maison de la culture«, André Malraux berichtete über den Bürgerkrieg in Spanien, Charles Trenet und Jean Gabin wurden zu Volkssängern bzw. -schauspielern. Neue Formen des Lebens und Handelns »haben die Physiognomie der Nation dauerhaft verändert« und »es war eine kulturelle Revolution«, stellt die Pariser Historikerin Danielle Tartakowsky fest.

      Die staatlich geförderten Freizeitaktivitäten (Sport, Wandern, Camping) und das staatlich subventionierte Reisen verwalteten nicht Menschen wie die deutschen »Kraftdurch-Freude«- und die italienischen »Dopo-lavoro«-Programme, sondern ließen ihnen ihre Autonomie. In welchem Ausmaß das geschah, dokumentieren die einzigartigen Fotos des »esprit de 36« der späteren Magnum-Fotografen Robert Capa, David Seymour und Henri Cartier-Bresson.

      Außenpolitisch blieb die Lage so heikel wie der Staatshaushalt zerrüttet. Blum griff zur Notbremse und verkündete am 21.2.1937 »die Notwendigkeit dessen, was ich Pause nenne, die Notwendigkeit, die Lohn-Preis-Spirale aufzuhalten«, d. h. die Löhne einzufrieren und »ungerechtfertigte Preiserhöhungen« zu verbieten. Wieder kam es zu einer Streikwelle, was u. a. dazu führte, dass der französische Pavillon für die Weltausstellung selbst bei der um drei Wochen verschobenen Eröffnung noch eine Baustelle war. Blum beantragte Vollmachten für die Geld- und Devisenbewirtschaftung, was der Senat jedoch ablehnte. Am 21.6.1937 trat Blum zurück.

      Das war aber noch nicht das Ende der Volksfrontregierung, denn Blum blieb im Kabinett und kehrte im März 1938 – nach dem Anschluss Österreichs – nochmals für 27 Tage an die Spitze einer Regierung im Zeichen der »Union nationale« zurück. Doch die Agonie der Volksfront hatte begonnen. Das Ende besiegelte am 12.11.1937 ein Artikel in der KP-Zeitung »Humanité«. Die Kommunisten warfen darin den »reaktionären Chefs der Sozialdemokratie« vor, die Arbeiterbewegung gespalten zu haben und verkündeten: »Es ist unmöglich, mit dem Kapitalismus Schluss zu machen, ohne mit dem Sozialdemokratismus (…) Schluss gemacht zu haben.« Nach dem Münchener Abkommen (29.9.1938) begrub die Regierung Édouard Daladiers (1884-1970) den »Geist von 36« und alle sozialpolitischen Errungenschaften der Volksfront-Regierung: Daladier führte die 6-Tage-Woche wieder ein, dehnte die Akkordarbeit aus und ließ bestrafen, wer Überstunden verweigerte. Einen Generalstreikversuch am 30.11.1938 unterband die Regierung mit polizeilichen Mitteln. Die Arbeiter waren wieder die Arbeitenden, die Bürger hatten wieder ihre Ruhekissen – nur das Volk, das gab es nun nicht mehr.

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