Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3. Rudolf Walther
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3 - Rudolf Walther страница 5

Название: Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3

Автор: Rudolf Walther

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Essay-Reihe

isbn: 9783944369082

isbn:

СКАЧАТЬ – in großem Stil organisierte. Den Höhepunkt bildete die Weihe der Grotte von Lourdes mit 100 000 Pilgern. Mit den Enzykliken »Syllabus« und »Quanta Cura« (8.12.1864) wurden Religions- und Gewissensfreiheit als »Freiheit des Verderbens« gebrandmarkt und zusammen mit anderen achtzig »modernen Irrtümern« vom Rationalismus über den Liberalismus bis zur Aufklärung kirchlich verdammt. Während die liberale Presse und die republikanische Opposition unter Napoleon III. verfolgt oder ins Exil gejagt wurde, konnte der militante Katholizismus ungehindert auftreten. Louis Veuillot von der Zeitschrift »L’Univers« beklagte 1867 den Fehler des Kaisers, Luther nicht verbrannt zu haben, denn »dieser und seine Komplizen haben der Kirche 40 Millionen Menschen weggenommen«, was bei zwölf Generationen seit dem 16. Jahrhundert »480 Millionen Menschen« zu »Verdammten« gemacht habe – einzig deshalb, »weil man diesen Prediger der Häresie nicht rechtzeitig beseitigt hat.«

      Die »offen zur Schau gestellte Entente mit einem Regime [der Kirche, RW], das die bürgerlichen Freiheiten unterdrückte« – so der Historker François Caron –, stärkte die laizistische Bewegung, die sich freilich noch nicht öffentlich zeigen konnte. 1870 kapitulierte zwar das Kaiserreich vor Bismarcks Truppen, aber in Gesellschaft und Politik herrschten danach nicht die Republikaner, sondern Monarchisten, Bonapartisten, Konservative und Klerikale, die durch die Angst vor der demokratischen Republik zusammengeschweißt wurden. Wie unter der Restauration nach 1815 sollte unter der Präsidentschaft Marschall MacMahons »die moralische Ordnung« (»ordre moral«) wieder aufgerichtet werden. Der Bischof von Nantes sah die Pariser Commune als »eine göttliche Züchtigung«. Zwei Jahre nach der Niederlage in der Schlacht von Sedan propagierte eine französische Lehrerzeitschrift die deutsche Schule als Vorbild, da diese »Gehorsam und nicht Revolution« lehre. Zu einer Verschärfung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche kam es 1876/77, als sich Papst Pius IX. vom jungen italienischen Staat bedroht fühlte und mehr oder weniger offen französische Militärhilfe forderte. Die französischen Republikaner, noch von der Niederlage im Krieg gegen Preußen gezeichnet, witterten ein Komplott von Monarchisten und Jesuiten, die das Land in einen Krieg für den Papst stürzen wollten. Seit Gambettas Rede vom 4.5.1877 galt deshalb als Schlachtruf der Republikaner: »Le cléricalisme? Voilà l’ennemi!« (»Der Klerikalimus? Das ist der Feind!«).

      Nun gerieten zunehmend die Klosterschulen ins Fadenkreuz der Republikaner, die in diesen Schulen den Hort des »Hasses gegen das moderne Frankreich« (Gambetta) vermuteten. Im März 1879 präsentierte der Erziehungsminister Jules Ferry zwei Schulgesetze. Eines enthielt einen Paragraphen, wonach im öffentlichen wie im kirchlichen Bildungswesen nur unterrichten durfte, wer einem staatlich zugelassenen Orden angehörte. Autorisiert waren damals nur fünf Orden. Diese Bestimmung wurde zurückgenommen und ersetzt durch die Vorschrift für kirchliche Lehranstalten, sich staatlich genehmigen zu lassen, ansonsten sie innerhalb eines halben Jahres geschlossen würden. Die katholische Presse empfand das als Kampfansage: »Ab heute gibt es einen unversöhnlichen Krieg zwischen Katholiken und den Umstürzlern, die uns regieren«, schrieb eine Zeitung.

      Die Ordensgemeinschaften weigerten sich einfach, Genehmigungen für ihre Schulen zu beantragen. Der Staat begegnete dem passiven Widerstand damit, dass er im Juni 1880 zunächst 5643 Jesuiten auswies und 261 Klosterschulen schloss. Rund 200 Beamte, die sich den Gesetzen widersetzten, verloren ihre Stelle. Im Juni 1881 und im März 1882 trat Jules Ferrys bis heute berühmte Schulreform in Kraft, wodurch der Schulunterricht für alle Kinder unentgeltlich und obligatorisch wurde. Obendrein sollte im Unterricht das Prinzip der Laizität gelten und eine »moralische und staatsbürgerliche Erziehung« eingeführt werden. Ferry wollte Kinder – entgegen der Behauptung katholischer Propagandisten – keineswegs zu Materialisten und Atheisten erziehen lassen. Sein Ziel war bescheiden: In den Schulzimmern mussten nur die Christusbilder durch jene von Marianne ersetzt werden. Der schulische Religionsunterricht sollte zudem durch »die gute alte Moral unserer Väter« und die Ethik Kants abgelöst werden. Ferry dachte sich die Schule als Ort »ziviler Eintracht«, aus dem er religiöse Zänkerei ebenso verbannen wollte wie ethischen Gesinnungsdruck und fromme Indoktrination – in seiner schlichten Diktion: allein »Unterrichtsfreiheit« sollte herrschen.

      Es ging den Republikanern weniger um die Verbannung der Religion als darum, die Schule gegen klerikale und monarchische Versuchungen patriotisch und national zu imprägnieren. Die Institution sollte gleichsam geimpft werden gegen Viren der Vergangenheit. In der verbogenen Perspektive der Klerikalen wurde der Lehrer dadurch zum Ersatepriester und »König der Republik«. Aus der Defensive heraus ließ die republikanische Regierung für die Feiern des Quatorze Juillet Schülerbataillone aufmarschieren. Die konservative und klerikale Presse denunzierte die Erinnerung an die Revolution pauschal als Feier zum »Fest der Morde«.

      Jene Teile des Klerus, die Eltern gegen »das verbrecherische Gesetz« mobilisierten, setzten sich dadurch ebenso dem Verdacht aus, unpatriotisch zu sein wie die moderateren, die »die Freiheit der Erziehung« oder das Elternrecht betonten. Doch die Wogen glätteten sich in dem Maße, wie sich Kirche und Staat in den 90er Jahren einander annäherten. Entspannung schuf zuerst der Bischof von Algier am 12.11.1890, als er in einem Toast vor versammelten Offizieren dazu riet, die Republik zu achten. Anschließend ließ er die Marseillaise spielen – von einem kirchlichen Musikkorps! Auch Papst Leo XIII. zielte mit der Enzyklika »Inter Sollicitudines« (16.2.1892) auf Befriedung. Dem Papst zufolge sollte jeder in seinem äußeren Verhalten »das Regime akzeptieren, das sich Frankreich gegeben hat«, und durfte aber im Innern darüber denken, was er wollte – eine gesichtswahrende gegenseitige Anerkennung im Dissens.

      Das laue Klima änderte sich schlagartig mit der Dreyfus-Affäre. Der jüdische Offizier wurde 1894 verhaftet und in einem skandalösen Verfahren wegen Landesverrat von einem Militärgericht zu lebenslänglicher Deportation verurteilt. Nichts und niemand rührte sich zunächst, weil Dreyfus’ Schuld erwiesen schien, obwohl die Anklage nur ein Beweisstück vorgelegt hatte. Mitten im Prozess lancierte der Generalstab ein weiteres Indiz, das sich bald ebenso als Fälschung erwies wie das erste. Der Generalstabsoffizier Marie-Georges Picquart und der Journalist Bernard Lazare deckten unabhängig voneinander die Machenschaften des Militärapparats auf. Im Januar 1898 griff der Schriftsteller Émile Zola mit seinem »J’accuse« in den Fall ein. Dreyfus wurde in einem zweiten Prozess 1899 nochmals verurteilt, 1902 begnadigt und erst 1906 vollständig rehabilitiert.

      Gegenüber den 80er Jahren hatten sich die Fronten völlig verschoben: Nun stand den Republikanern ein konservativklerikales Lager gegenüber, das sich im Zeichen von aggressivem Nationalismus und Antisemitismus für die Ehre von Nation und Armee schlug. Nationale Vortrommler wie Maurice Barrès spielten »das umfassendere System der Rasse« und die Bindung an »die Scholle und die Ahnen« ebenso gegen republikanische Freiheit und demokratische Gleichheit aus wie sein Mitspieler Charles Maurras den »pays réel« gegen den »pays légal«. Maurice Muret schließlich erklärte »die Mentalität des modernen Juden« zum Todfeind des Katholizismus. Damit konnte der Laizismus nicht länger patriotisch-national, sondern nur noch demokratisch, republikanisch, sozialistisch und antimilitaristisch auftreten. Die Verteidiger von Dreyfus wurden in den Augen der Nationalisten, Antisemiten, Klerikalen und des Militärs über Nacht zu »Heteern der Unordnung, antikatholischen Sektierern und Vaterlandslosen«.

      Erst im Verlauf der Dreyfus-Affäre spürten die Republikaner, dass in den 90er Jahren in den Schulen eine schleichende Rückkehr zur Konfessionalisierung der Schule stattgefunden hatte. Sie glaubten noch wie Jules Ferry, »Lesen« sei »der Anfang von allem« und aus den Lesern würden automatisch republikanische Wähler. Sie vernachlässigten deshalb nicht nur soziale Reformen, sondern übersahen obendrein, dass – zivil verkleidet – längst wieder zahllose klerikale Lehrer in privaten und öffentlichen Schulen unterrichteten. Schon 1893 besuchten 89 568 Schüler kirchliche Gymnasien – rund 51 Prozent aller Gymnasiasten. Der Sieg der Republik in der Schule war einer auf dem Papier. Schon in einer Grundsatzerklärung von 62 Bischöfen aus dem Jahr 1891 für »das christliche Frankreich« kam das Wort Republik gar nicht vor. Zwischen 1896 und 1898 wurden Ordensgemeinschaften als Schulträger wieder zugelassen und die vorgesehene Verstaatlichung von Mädchenschulen auf Eis gelegt. Freilich war auch der Katholizismus kein homogener Block von reaktionären Ultras. Unter СКАЧАТЬ