Die Grünen. Marius Ivaskevicius
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Название: Die Grünen

Автор: Marius Ivaskevicius

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Literatur aus Litauen

isbn: 9783898968508

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СКАЧАТЬ Dann fragen mich die, warum in der dritten Person? Doch das ist nicht »in der dritten Person«. Das ist die erste Person, die weiß, »Wassili Sinizyn, aus Sibirien, aus der Oblast Omsk« wird nach dem den Worten Name, Vorname, Nationalität, Wohnort folgenden Doppelpunkt eingetragen werden. Eine Variante der ersten Person sozusagen, bestimmt für die Buchhaltung. Das ist absolut keine dritte Person.

      Dann sagen die noch, ich sei ein Schwätzer.

      Soviel zu meiner Herkunft. Die Sinizyns leben dort schon seit hundert Jahren. Manchmal sagt man »hundert Jahre« und meint damit, seit Ewigkeiten, nicht aber seit hundert Jahren. »Wir haben uns seit hundert Jahren nicht gesehen« oder »ich war seit hundert Jahren nicht mehr zu Hause«. Auch ich selbst habe meinen Vater in Omsk schon seit hundert Jahren nicht mehr in der Oblast Omsk, im Dorf Woroschilowo besucht, doch das heißt, dass ich dort seit neun Jahren und ein paar Monaten nicht mehr gewesen bin. Doch die Sinizyns haben sich vor genau hundert Jahren in Woroschilowo niedergelassen. Das heißt, dass im September 1851 Anatoli Iwanowitsch Sinizyn auf Geheiß des Zaren ins Dorf Starostojiza verbannt wurde. Das liegt sieben Kilometer von Woroschilowo. In den hundert Jahren haben wir uns weiter ausgedehnt.

      Russe. Auch burjatisches Blut. Ganz wenig nur, würde man es in ein Glas Wasser schütten, so verfärbte sich das Wasser nicht rot.

      Ich habe achtundzwanzig Jahre auf dem Buckel, Eltern, ab und zu schreibe ich ihnen, einen guten Bekannten in Moskau und einen einzigen Freund. Manchmal sagt man »einen einzigen Freund«, wenn man hunderte hat, doch man will einen davon besonders hervorheben. Ich habe genau einen Freund, er sitzt auf der anderen Seite der Wand, in genauso einer Einzelzelle wie ich, und der Mensch, der jetzt meine Worte aufschreibt, kommt gerade von dort. Mein Freund heißt Afanassi.

      Man will uns freilassen, sobald wir ausgepackt haben.

      Nach dem Krieg arbeitete ich als Aufseher in einem Kriegsgefangenenlager und schickte jede Woche einen Brief an meinen Moskauer Freund. Meinen Moskauer Freund, meinen guten Bekannten Lebedew also, hatte ich bis dahin nur einmal gesehen. Ich sage einmal, weil er mein Krankenzimmer verlassen hatte und nie zurückgekehrt war. Das war im Großen Krieg gewesen.

      In meinen Briefen erinnerte ich ihn nur an mich, dass es in Russland einen Sinizyn gab, der in einem Kriegsgefangenenlager arbeitete, und der, falls sich die Gelegenheit ergäbe, das Lager um einige Insassen reicher machen wollte – unter persönlicher Teilnahme.

      Oberst Lebedews Brief wurde mir persönlich überreicht, vom Schichtvorsteher. Die Gelegenheit ergab sich. Und so kamen Afanassi und ich nach Moskau. Er wartete unten, ich ging nach oben und sprach eine halbe Stunde lang in seinem Wartezimmer mit Lebedew. An der Wand hing ein Bild und Lebedew bat mich, es mir genau zu merken. Ich glaube, das Bild hing nur so lange an der Wand, wie ich dort war. Dann nahm man es herunter. Das Bild zeigte zwei Ritter, die aufeinander zuritten. Als ich kurz nach Verlassen des Raums nochmal zurückkam, da ich meine Mütze vergessen hatte, war das Bild nicht mehr da.

      Eine Woche später kamen wir hier an.

      In Lebedews Augen war ich ein junger Ehrgeizling, dem dieses Bild hätte Eindruck machen sollen.

      Nun ist das alles Geschichte und ich muss zugeben, sogar Lebedew wäre über seine treffliche Bildwahl erstaunt, wenn er denn davon erfahren würde. Aber besser alles der Reihe nach …

      Der Tag schien kein außergewöhnlicher. Ein normaler Morgen, an dem wir nach Erhalt von ein paar dürftigen Angaben, Anweisungen von höherer Stelle zu einer Mission aufbrachen. Soldat Afanassi hat wohl erwähnt, dass wir keinen Lastwagen bekommen hatten. Ich glaube, genau dies war der Grund dafür, dass mit diesem so ganz gewöhnlichen Morgen ein so chaotischer Tag begann.

      Wir waren zu viert. Fjodor haben wir erst hier getroffen. Er war auch ein Neuer, erst vor ein paar Tagen hierher versetzt. Zu Rapolas, dem vierten, kann ich nicht viel sagen. Der schaute offenbar zu mir, soviel weiß ich jetzt, als wäre ich ein Grünschnabel im Krieg oder krank oder ein Hitzkopf … Doch anfangs habe ich ihn gar liebgewonnen. Als spräche er mit meinen Lippen, sagte er das, was ich sagen wollte, einen Augenblick vor mir. Im Großen Krieg habe ich nur einen der Rede werten Freund angetroffen – Afanassi. In den ganzen vier Jahren. Rapolas lief mir schon am zweiten Tag dieses neuen Kriegs über den Weg. Das war ein vielversprechendes Zeichen.

      Wir fuhren noch im Morgengrauen los. Rapolas kannte den Weg und der Kampf dauerte nur fünf Minuten. Manchmal sagt man »fünf Minuten« und meint damit, ganz kurz, wenn es eigentlich länger hätte dauern sollen, doch es dauerte, sagen wir mal, nur eine Stunde. Wenn die Fische schnell anbeißen, sagen wir »in fünf Minuten«, oder wenn sonst etwas gelingt. »In fünf Minuten« bedeutet erfolgreich und schnell, doch es bedeutet nicht in fünf Minuten. Der Kampf dauerte fünf Minuten. Ich sah auf die Uhr. Das heißt, er war erfolgreich, schnell und dauerte genau so lange, wie ich gesagt habe.

      In Wirklichkeit gab es gar keinen Kampf. Wir umstellten ein Stück Land, von dem ein jeder sagen würde »ein Stück Land«. Und diesem Stück Land sagten wir dann, es sei umstellt. Wir sagten es ihm immer wieder, so lange, bis es explodierte.

      Von Marja Petrowna sprach Rapolas gleich nach der Explosion. Ich weiß nicht, wer ihm die Zunge gelockert hatte, doch das war einer der Fälle, wo seine Lippen meine Worte aussprachen. Als ob diese Explosion hier oben detoniert wäre und mir das Gehirn auf seine Zunge rausgeblasen hätte.

      Wir krochen hinein in dieses Stück Land. Sie saßen da zu dritt. Manchmal sagt man »saßen zu dritt« und meint damit, dass da drei Männer zusammensitzen und eine Flasche leeren, und du kommst als Vierter hinzu, schaust einfach so vorbei und weißt, du wirst nicht so schnell wieder rauskommen.

      Von jenen drei würde ich nicht sagen wollen, sie warteten auf einen Vierten. Sie saßen da, als ob schon drei zu viel wären, als ob die Granate ein Ding wäre, auf dem geschrieben stünde: Sprengt nur zwei in die Luft. Und sie waren zu dritt und hatten nur eine Granate. Mit einem Wort, sie saßen da, als wäre die Explosion ein Wasserstrahl, unter den man es schaffen muss. Sie hatten sich auf die Granate gestürzt und nun keine Gesichter mehr.

      Ich weiß nicht mehr, ob ich etwas hinter mir hörte, oder ob mich die Vorahnung überkam, dass da noch andere waren, die nicht unter den Wasserstrahl gepasst hatten. Mit geladenem Revolver wandte ich mich ganz langsam zur Leiter um, auf der wir heruntergestiegen waren. Ich hatte mich nicht getäuscht. Dahinter saß ein Vierter und bewegte kaum die Lippen. Er benahm sich wie ein an den Strand geworfener Barsch. Rapolas war mit einem Satz bei ihm und durchsuchte seine Taschen. Er hatte keine Waffe.

      »Tritt zur Seite«, bat ich. »Ich will ihm zumindest in die Schulter schießen.«

      Ich wollte mich möglichst schnell in diesen Krieg eingliedern. Das heißt nicht, dass ich es wie ein wildes Tier nicht mehr aushielt, ohne gleich jemanden umzunieten. Ich brauchte ihr Gefühl, damit auch in mir Gefühle hochkämen, jemand würde mich zu hassen beginnen und mein Hass wäre erweckt. Mit einem Wort, ich hätte nicht mehr das Gefühl, dass wir in einem Teich schon einmal gesprengte Barsche fingen.

      Doch Rapolas stellte sich vor den Mann und tänzelte mit irgendeinem Papier um mich herum – so, wie man auf Festen tanzt.

      »Jožemaitis«, rief er immer wieder.

      Afanassi bückte sich und sah uns durch die Öffnung seltsam an. Ich nahm Rapolas das Papier weg. Es war ein Pass.

      Weder der Vorname und schon gar nicht der Nachname dieses Mannes sagten mir anfangs irgendetwas. Jonas Žemaitis. Dann erinnerte ich mich an Lebedew. Meinen Kampfesvater, Patron, oder wie soll ich ihn nennen … Mir kam wieder in den Sinn, was er damals gesagt hatte. Das war der einzige Name, den er in Moskau mehrmals aussprach, im Wartezimmer. Nur wollten СКАЧАТЬ