Die Grünen. Marius Ivaskevicius
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Название: Die Grünen

Автор: Marius Ivaskevicius

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Literatur aus Litauen

isbn: 9783898968508

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СКАЧАТЬ Žemaitis.«

      »Er ist unser Anführer«, erwiderte sie, »ein Held, wenn nicht mehr. Eine Legende.«

      »Schweig. Und fang neu an.«

      Und sie begann von Neuem.

      »Ein elender Kerl, wenn nicht mehr. Eine Ausgeburt. Und lebt weiter, als wäre nichts geschehen.«

      Und obwohl sie kein neues Faktum, kein vertuschtes Verbrechen hinzufügte, nur darlegte, was wir schon wussten, ballten sich unsere Fäuste, kochte uns das Blut in den Adern. Lebt weiter, als wäre nichts geschehen – das war der Grund für unseren Hass, obwohl wir auch genug andere Gründe hatten, den Ärmsten umzulegen.

      »Er hat sie doch damals direkt in die Bruthöhle der Russen gefahren.«

      »Und lebt weiter, als wäre nichts geschehen.«

      »Als wäre nichts geschehen.«

      »Und auch noch mit diesem Nachnamen. Er hat Ihren Namen beschmutzt.«

      »Und lebt weiter, als wäre nichts geschehen.«

      »Als wäre nichts geschehen.«

      »Kein einziger Muskel zuckte. Fuhr hin wie zur Milchsammelstelle.«

      »Und lebt weiter, als wäre nichts geschehen.«

      »Als wäre nichts geschehen.«

      »Wir wollten ihn schon in Vilnius suchen. Wir sagten, wir werden in Vilnius suchen.«

      »Und lebt weiter, als wäre nichts geschehen.«

      »Als wäre nichts geschehen.«

      »Nicht einmal eine Waffe zu halten hatte sie gelernt. Lebte, als ob nichts wäre.«

      »Und er sie – wie einen gefällten Baum. Wie zum Fleischer.«

      »Und lebt, als wäre nichts geschehen.«

      »Als ob nichts, rein gar nichts geschehen wäre.«

      Wir brauchten seinen Tod wie die frische Luft. Als ob wir viele Jahre lang im Gestank verbracht hätten. Und jemand im Vorbeigehen uns zuriefe: »Macht das Fenster auf«. – »Es ist doch zugenagelt«, erwiderten wir, »von draußen. Hermetisch.« – »Was sagt ihr da«, ertönte die Antwort von dort, »Dummköpfe. Was für Dummköpfe«.

      Und dieser Schluck frische Luft war unser heutiges Tagesziel. Für den einundzwanzigsten August. Wir fuhren zu dem, der gelernt hatte zu leben, als wäre nichts geschehen.

      »Wenn ich Ihnen einen Kamm zwischen die Füße klemmen würde«, sagt jetzt Molkerei zu mir, als wir über ein Feld fahren, »könnten Sie dann damit ihr Haar berühren?«

      »Ein seltenes Exemplar von Schweinehund«, sagte sie damals noch, als sie zurückkehrte, um mir die Nachricht zu bestätigen. »Dieser Jonas Žemaitis. Aber die Leute verwechseln Sie beide nicht mehr.«

      »Ich könnte«, sagt sie jetzt und lächelt. »Doch bei mir würde da innen alles zerplatzen. Würde durch den ganzen Körper hin aufbersten …«

      »Sie selbst könnten es wahrscheinlich nicht«, zweifelte sie damals. »Sein Vor- und Nachname …«

      »Meinst du denn, niemand irrt mit Schuhen deiner Größe durch die Welt?«, erwiderte ich. »Ich werde ihn ohne zu zögern umlegen.«

      »Schuhe sind etwas anderes«, sagte sie.

      Sie meinte damit, dass es nicht einfach sei, einen Menschen umzulegen, in dessen Kopf dein Name einen ganz anderen Sinn bekommt. Seinen Sinn.

      »Sie könnten doch nicht einmal ein Bein auf das andere heben«, sagt sie jetzt. »Sie sind doch ganz und gar unbeweglich.«

      »Stimmt nicht«, erwidere ich, »Ich sitze sogar gern so.«

      »Ich habe Sie das Bein heben sehen«, sagt sie. »Nicht selten fällt Frauen das Gebären leichter, als Sie ein Bein auf das andere legen …«

      »Interessantes Zusammentreffen«, sagte ich vor zwölf Jahren zu ihm. »Ich habe schon von einigen gehört, vielleicht waren auch Sie darunter, doch bisher bin ich noch keinem begegnet. Jonas Žemaitis.«

      Er nuschelte irgendetwas. Erst später begriff ich, dass er »Jonas Žemaitis« gesagt hatte. Er sagte es auf seine Weise. Es war Januar 1938, ich war noch nicht verheiratet, es regnete, in meiner Seele herrschte Leere, doch ich trat nur zu ihm, weil er Jonas Žemaitis war.

      »Die Rente meiner Mutter.« Er fuchtelte mit ein paar Litas-Banknoten vor meiner Nase herum. »Ihr geht’s schlecht, die Wirbelsäule.«

      Ich fragte, wie sie heißt.

      »Anelė. Und Ihre?«

      »Nein«, erwiderte ich. Nicht Anelė.«, und fügte an, »Waren Sie im Krieg?«

      Ich sah nämlich die schlimme Narbe unter seinem rechten Ohr.

      »Haben Sie auch so eine?«, fragte er mich.

      »Habe ich«, gab ich zur Antwort, »nur am Bein. Und keine Narbe, sondern einen Leberfleck. Grau, mit Haaren überwachsen. Mein einziges besonderes Merkmal.«

      Ehrlich gesagt, zwei Autos desselben Modells hätten sich mehr zu sagen, als wir zwei.

      Ich berührte seine Narbe. Er machte einen Satz rückwärts, schüttelte sich auf seltsame Weise.

      »So ein Zufall«, sagte er, »die Mutter heißt nicht Anelė. Bleiben wir so stehen?«

      Er ging, ohne sich noch einmal umzuwenden.

      »Seltsam«, sagte Molkerei. »Er hat sich so lange versteckt und jetzt ist er plötzlich wieder da.«

      »Er ist müde«, antwortete ich ihr.

      »Glaube ich nicht«, sagte sie ungläubig.

      Ich meinte damit, dass man davon viel müder wird als von körperlicher Arbeit, und dass sie keine Nachricht über ihn überbracht hat sondern eine von ihm, und dass nicht wir ihn umbringen wollen, sondern dass er will, dass wir ihn umbringen. Und dass mein Vor- und mein Nachname, die, wenn sie gerufen werden, einen anderen Sinn erlangen – seinen Sinn –, ihn mehr ermüden als wir. Ich meinte damit, dass jemanden verraten nicht einfach ist. Noch viel meinte ich damit, doch wir legten uns schlafen.

      Wir verurteilten ihn auf unseren Pritschen, den Kopf auf die Hand gestützt und wünschten einander:

      »Gute Nacht.«

      »Gute Nacht.«

      Wir wünschten es einander, als wäre nichts geschehen.

      Zu ihm sind wir jetzt unterwegs.

       2

      Aus Wassili Sinizyns Verhörprotokoll

      Mir wird manchmal vorgeworfen, СКАЧАТЬ