Die Stimme. Bernhard Richter
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Название: Die Stimme

Автор: Bernhard Richter

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783894878207

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СКАЧАТЬ auch als Schwellton bezeichnet. Dieser Vorgang ist physiologisch sehr schwer zu kontrollieren, da die Steigerung der Lautstärke durch eine Steigerung des subglottischen Drucks erzeugt wird, was wiederum ohne Gegenregulation zu einer Tonerhöhung führen würde. Atemdruck und Stimmlippenspannung müssen hier also sehr fein aufeinander abgestimmt werden. Selbst bei einer hervorragenden Sängerin wie Cecilia Bartoli lässt sich eine geringe Tonerhöhung bei Steigerung der Dynamik nicht vollständig vermeiden, wie die Auswertung des Sonagramms (Schallspektrogramm; vgl. Kap. 4, S. 86) eines Schwelltones zeigt (Abb. 21).

      Im deutschen Sprachgebrauch wird im Zusammenhang mit der sängerischen Atmung – und auch der Atmung der Bläser – häufig der Begriff Stütze verwendet (Richter u. Seedorf 2010c). Was unter »Stütze« zu verstehen sei, ist allerdings nicht einheitlich definiert. Seidner und Wendler weisen darauf hin, dass man in der italienischen Terminologie in Bezug auf den Begriff appoggio unterscheide zwischen appoggiare la voce in petto, »Stützen der Stimme im Brustkorb«, das sich vor allem auf den Atemvorgang während des Singens beziehe, und appoggiarsi in testa, »sich in den Kopf stützen«, das eher auf die Klangbildung in den Ansatzräumen ziele (Seidner u. Wendler 1997). Um diesen Unterschieden gerecht zu werden, gehen sie von einer »Atemstützfunktion« aus. Trotz dieser in sich schlüssigen und umfassenden Herleitung des Begriffs ist jedoch weiterhin nicht vollständig geklärt, inwieweit der seit dem späteren 19. Jahrhundert gebräuchliche italienische Terminus appoggio und der deutsche Terminus Stütze tatsächlich das Gleiche meinen, worauf bereits Fischer in seiner Monografie »Die Stimme des Sängers« hinweist (Fischer 1998).

      Abb. 21: Cecilia Bartoli – messa di voce: Darstellung des Sonagramms eines Schwelltones mit geringer Tonerhöhung bei Steigerung der Dynamik

      Mehr Klarheit über den Wortsinn erhält man, wenn man die Verwendung von appoggiare in der italienischen Alltagssprache betrachtet. So kann man als Eisenbahnreisender in Zügen des europäischen Fernverkehrs dreisprachige Schilder finden, die auf den elektrischen Sicherungskästen angebracht sind: »Nicht anlehnen – Ne pas s’appuyer – Non appoggiarsi« (Abb. 22).

      Appoggiarsi wird hier im Sinne von »sich auf eine Oberfläche stützen« bzw. »abstützen« oder »sich an etwas anlehnen« verwendet. Im Deutschen liegt im Wortsinn von »Stütze« oder »stützen« eher etwas Unflexibles, Steifes, Festes und Unabänderliches. Wird beim Hausbau eine Stütze eingezogen, besteht diese zumeist aus Stahl oder Beton. Der deutsche Ausdruck zielt also weniger in Richtung des »Anlehnens« als des »Befestigens« bzw. »Untermauerns«. Um einen solchen Vorgang auszudrücken kommen im Italienischen eher die Begriffe armare oder basare zur Anwendung.

      Abb. 22: Dreisprachige Aufforderung, sich nicht gegen den Sicherungskasten in einem Zug zu lehnen

      Die im Deutschen allgemein übliche Übersetzung des italienischen appoggio als »Stütze« ist demzufolge zwar nicht gänzlich falsch, aber doch unglücklich gewählt. Andere Sprachen wie das Englische und das Französische verwenden mit support und soutien Begriffe, die »Unterstützung« bedeuten. Dieser Wortsinn käme auch im Deutschen dem tatsächlichen Regulationsvorgang der Atmung näher, da er mehr die bedarfsabhängige Flexibilität unterstreicht. Ein Beispiel für den Wortsinn im Deutschen kann wiederum im ökonomischen Sektor gefunden werden. So wird die staatliche finanzielle Unterstützung von Auszubildenden und Studierenden nach dem BAföG je nach Bedarf in der Höhe gewährt, wie sie von den Eltern nicht gegenfinanziert werden kann und nicht als einheitlich fixe Summe.

      Durch den oben skizzierten Atemregulationsvorgang soll ein klar definierter Ton produziert werden. Dieser Vorgang ist trainierbar. Weniger klar und damit auch individuell verschieden ist, wie man diesen Regulationsvorgang vornimmt. Keinesfalls sollte das Training oder die Atemanweisung so erfolgen, wie es Eugen Roth (1895–1976) in seinem Gedicht ATEMGYMNASTIK skizziert hat:

      Im Grunde glaubt zwar jedermann

      dies, dass er richtig atmen kann.

      Jedoch, das geht nicht so bequem:

      Gleich bringt ein Mensch uns sein System!

      Erklärt, dass unserer Atemseele

      der gottgewollte Rhythmus fehle.

      Auch hätten wir, so sagt er kühl,

      Noch keinen Dunst von Raumgefühl,

      Und wüssten unsere Atemstützen

      In keiner Weise auszunützen.

      Er lockert uns und festigt uns,

      Kurzum, der Mensch belästigt uns

      Mit dem System, dem überschlauen,

      Bis wir uns nicht mehr schnaufen trauen.

      Schon in der Antike berichten mehrere Autoren von Schauspielern und Sängern, die sich auf den Boden gelegt und ihren Brustkorb mit Bleiplatten beschwert hätten, um die an der Atmung wesentlich beteiligten Muskeln zu trainieren (Krumbacher 1920). Abbildung 23 zeigt einen solchen – nicht ganz ernstzunehmenden – Vermittlungsversuch.

      Einer der ersten, die sich in der Neuzeit ausführlicher mit dem Atem theoretisch auseinandergesetzt haben, war wiederum Agricola (Richter u. Seedorf 2010c) (vgl. Kap. 1, S. 25). Er behandelt bei der Atemfunktion vor allem die Parameter Klangfülle, Klangqualität, Tonstärke und Staccatoartikulation. Schon er geht davon aus, dass die Atemfunktion grundsätzlich trainier- und verbesserbar ist, benennt aber keine Einzelheiten der Atemmechanik.

      Die Gretchenfrage, wie man die Atemregulation »richtig« unterrichtet, ist nicht allgemeingültig zu beantworten, da verschiedene Handlungsanweisungen zum qualitativ selben guten klanglichen Resultat führen können. Zu diesem Thema sind bisher auf wissenschaftlicher Basis keine eindeutigen Aussagen zu treffen. Die häufig an den Physiologen gestellte Frage, was denn nun physiologisch »richtig« sei: »Bauch raus oder Bauch rein«, kann also nicht eindeutig beantwortet werden.

      Abb. 23: Karikatur des Versuchs, die Atmung und Zwerchfellbewegung »spürbar« zu machen

      Eine für alle gültige Herangehensweise erscheint auch deswegen nicht sinnvoll, da die eigentlichen Atmungsaktivitäten, wie oben erläutert, nicht unmittelbar steuerbar sind. Nur über den »Umweg« der steuerbaren Bewegungen, wie z. B. die der Bauchdecke, ist eine Annäherung möglich. Diese Bewegungen sind wiederum nicht mit einer Sinnesqualität allein erfassbar, sondern können – und sollen – körperlich-kinästhetisch, optisch und akustisch wahrgenommen werden. Hierdurch bedingt kann man auch pädagogische Anweisungen – mindestens – auf diesen drei Ebenen erteilen.

      In Kombination der beiden Lebensweisheiten »viele Wege führen nach Rom« sowie »der Weg ist das Ziel« kann man hinsichtlich der Atmung feststellen, dass das Ziel, nämlich der gut regulierte Phonationston, verhältnismäßig gut beschreibbar ist, der richtige Weg dahin jedoch viel schwieriger zu fassen ist. Gleichwohl muss sich jeder Stimmbenutzer auf diesen Weg machen, um СКАЧАТЬ