Название: Die Stimme
Автор: Bernhard Richter
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783894878207
isbn:
Abb. 6: Zwischenrippenmuskeln: vergrößerte Darstellung der scherengitterförmigen Anordnung
Abb. 7: Atemhilfsmuskulatur, z. B. M. serratus
Der Atmungsvorgang allgemein
Die Einatmung ist ein aktiver Vorgang, welcher durch Kontraktion der Einatemmuskulatur – im Wesentlichen des Zwerchfells und der äußeren Zwischenrippenmuskeln – ermöglicht wird. Wenn sich die Muskulatur des Zwerchfells zusammenzieht, wird die Zwerchfellkuppel abgeflacht und der Brustraum dadurch erheblich vergrößert (Abb. 8b). Gleichzeitig werden die inneren Organe des Bauchraums nach unten geschoben. Als Folge davon weicht die Bauchdecke nach vorne und an den Flanken zur Seite aus. Dies führt zu einer sicht- und fühlbaren Vorwölbung dieser Strukturen. An der Vergrößerung des Brustraumes sind auch die äußeren Zwischenrippenmuskeln beteiligt, welche bei Kontraktion die Rippen anheben und damit den Brustkorb weiten. Als Folge dieser beiden brustkorberweiternden Vorgänge dehnt sich die Lunge aus und lässt die Luft einströmen, da sie über die Adhäsivkräfte des Brustfells mit den Wänden des Brustraumes verbunden ist und somit den Bewegungen der sie umgebenden Strukturen folgt.
Die Ausatmung ist bei der unangestrengten Atmung primär ein passiver Vorgang, da das Zwerchfell erschlafft und die Schwerkraft und die Rückstellkräfte des Brustkorbes und der Lunge beim Ausatmungsvorgang wie eine Feder wirken, welche den Brustkorb verkleinert (Abb. 8a) und dazu führt, dass die Luft als Folge dieser Verkleinerung aus der Lunge entweicht. Jedoch kann die Ausatmung zu einem Teil auch als aktiver Vorgang verstanden werden, wenn die inneren Zwischenrippenmuskeln und die Bauch- und Rumpfmuskeln sich zusammenziehen, das Brustraumvolumen verkleinern und damit die Luft aus den Lungen pressen.
Abb. 8 a/b: Stellung des Zwerchfells bei a) Ausatmung, b) Einatmung; MRT-Aufnahme
In den Atemwegen können sich von der maximalen Einatmung bis zur maximalen Ausatmung – in Abhängigkeit von Geschlecht und Körpergröße – etwa 4 bis 5 Liter Luft bewegen. Man bezeichnet diese Luftmenge auch als Vitalkapazität. Es verbleibt jedoch auch nach maximaler Ausatmung immer ein Luftrest in der Lunge, der als Residualkapazität bezeichnet wird (Abb. 10).
Abb. 9 a/b: Bauch- und Rumpfmuskeln a) anatomische Zeichnung ausgewählter Muskeln von vorne, b) schematische Darstellung dieser Muskelzüge
Abb. 10: Atemvolumina
Die normale Atmung geschieht aus einer Brustkorbposition heraus, in der die Kräfte der Ein- und Ausatmung ausgewogen sind – im oben beschriebenen Beispiel der Feder wäre die Federkraft gleich null. Dieser Punkt liegt bei ca. 40 % der Vitalkapazität und wird auch als Atemruhelage bezeichnet. Englisch heißt dieser Ausgangspunkt »Resting Expiratory Level« (REL) (Abb. 11). Zwar ist es theoretisch möglich, ca. 95% der Vitalkapazität zur Stimmproduktion zu nutzen (Isshiki et al. 1967), jedoch kommt es unterhalb von REL zu einem Einatemimpuls, der bei weiterer Stimmgebung aktiv unterdrückt werden muss. Dies wird als relative Luftnot wahrgenommen, obwohl hinsichtlich der tatsächlichen Lungenkapazität und des Sauerstoffgehalts der Atemluft in der Lunge noch lange kein Mangel herrscht. Sänger fühlen sich bei der Phonation mit Lungenvolumina oberhalb der Atemruhelage – also oberhalb von REL – wohler als unterhalb.
Die Zeitspanne, die ein Ton ohne Atem zu holen ausgehalten werden kann, wird als Tonhaltedauer bezeichnet. Sie liegt bei normalen nicht stimmlich trainierten Menschen im Bereich von etwa 20 Sekunden (Männer ca. 25 s, Frauen ca. 17 s).
Abb. 11: Lungenvolumina und subglottische Drücke während des Singens mit Atemruhelage – Resting Expiratory Level (REL) (nach Proctor 1980)
Der Atmungsvorgang beim Singen – physiologische Kennwerte
Sänger erreichen – nahezu unabhängig vom Geschlecht – etwas längere Tonhaltedauern als stimmlich Untrainierte. Bei unseren Gesangsstudierenden messen wir regelmäßig Werte von 30 Sekunden und länger. Die Atemphrasen, die in der klassischen Musik verlangt werden – anhand der Abschätzung bei CD-Einspielungen mittels einer Stoppuhr –, sind im Vergleich zur mittleren Tonhaltedauer, die ein Sänger normalerweise ausführen kann, nicht extrem lang. Lange Phrasen, die im musikalischen Kontext auf einen Atem gesungen werden, liegen im Bereich um 20 Sekunden. Beispielhaft ist eine Aufnahme der Arie »Quell‘ usignolo« aus LA MEROPE (UA 1734) von Geminiano Giacomelli (1692–1740) zu nennen, gesungen von Vivica Genaux (»Arias for Farinelli«, Leitung René Jacobs, 2002; Label: Harmonia Mundi France).
Der Luftstrom wird bei der Tonproduktion im Kehlkopf immer wieder durch den Stimmlippenschluss unterbrochen. Dies wirft die Frage auf, wie viel Luft man zum Singen tatsächlich braucht. Zwar ist die Tonanregung im Kehlkopf ohne einen gewissen Luftstrom nicht möglich. Beim Singen wird jedoch nur eine geringe Menge Luft ausgeatmet und damit verbraucht, denn – anders, als wenn man einen Kirschkern im hohen Bogen ausspuckt – findet kein direkter »Materialtransport« des Tones aus dem Kehlkopf des Sängers zum Ohr des Zuhörers statt, sondern es wird die Luftsäule im Vokaltrakt des Sängers unter geringem Luftverbrauch zu Schwingungen angeregt und diese Schwingungen werden als Schallwellen in der Luft weiter ausgebreitet.
Bei Qualitätssängern sind die Stimmlippen nur etwa während der Hälfte der Zeit geöffnet (Echternach 2010). Auch dies erklärt, warum pro Zeiteinheit relativ wenig Luftverbrauch stattfindet. Als anschauliche Demonstration, wie gering der Luftverbrauch beim Singen tatsächlich ist, kann der Versuch mit einer Kerze herangezogen werden (Abb. 12): Hält man eine brennende Kerze beim Singen des Vokals [a] vor den Mund, flackert die Flamme nicht, auch wenn man Fortissimo singt.
In Abbildung 13 ist der Unterschied zwischen a) einer maximal forcierten Atmung und b) der Atmung bei einem lang ausgehaltenen gesungenen Ton dargestellt. Es ist gut zu erkennen, dass bei der forcierten Atmung pro Zeiteinheit eine möglichst große Menge Luft rasch ein- und ausgeatmet wird, während beim gehaltenen Ton pro Zeiteinheit nur sehr wenig Luftverbrauch stattfindet.
Abb. 12: Atemstrom beim Singen: Versuch mit der Kerze
Beim Singen ist also nicht eine maximale Luftmenge vonnöten, sondern es geht vielmehr um eine möglichst optimale Regulierung des Luftverbrauchs. Der tatsächliche Luftverbrauch beim Singen und die Regulierung desselben ist nicht nur abhängig von dem in der Lunge befindlichen Luftvolumen, sondern auch vom exspiratorischen Kraftaufwand, vom Stimmlippenschluss, von der Lautstärke des Tones, von der Tonhöhe und zusätzlich auch von Alter, Geschlecht und psychischer Verfassung des Sängers.
Der СКАЧАТЬ