Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Ei, ein Unbekannter ist doch wie ein anderer, meinte Frau Clocz, und der Junker von der Buche kann's mit jedem aufnehmen.
Ich habe mir auch meinen Bruder anders vorgestellt, entgegnete das Fräulein, und daß ich mir ein Bild von ihm zu machen suchte, ist gewiß nicht befremdlich. Lacht mich nur aus, aber ich hätte darauf schwören mögen, daß er blondes Haar haben müsse wie ich, und blaue Augen.
Darin täuscht Ihr Euch nicht, bestätigte der Junker, und er ist auch sonst ein ganz anderer Mann als der fahrende Scholar, der vor Euch steht. Ihr werdet Eure Freude an dem munteren Gesellen haben, der gewiß mit seinem Kommen nicht deshalb zögert, weil er verschlafen hat. Sicher hat ihm der Komtur die Stunde aufgegeben. Man erzählte mir in Graudenz, daß er ein strenger Mann sei, der in allem pünktlich auf Ordnung halte.
Ach nein, ein strenger Mann ist er nicht, versicherte Waltrudis, gegen mich ist er immer milde und gütig, und ich glaube, man verkennt ihn sehr. Wenn er befiehlt, muß es freilich geschehen; er hat auch einen so zwingenden Blick, daß ich mir's gar nicht denken kann, wie ihm jemand zu widersprechen vermöchte.
Wenn er zornig ist, will ich ihm nicht in die Quere kommen, bemerkte der Alte. Ich bin einmal mit zwei andern vom Rat bei ihm auf dem Schlosse gewesen, ein Vorstellen anzubringen, weil die Bürgerschaft eine Beschwerde zu haben glaubte, da hat er uns ziemlich unsanft heimgeleuchtet – hahaha! Freilich ist's hinterher zu unserm eigenen Besten gewesen, daß er sein Stück durchsetzte.
Währenddem kam der Packknecht herauf, der nebenan im unteren Speicherraum Flachs und Hede in Ballen zusammengeschnürt hatte, und meldete einen fremden Herrn, den der Komtur schicke. Er habe nicht eintreten wollen, bis er den Ratmann gesprochen. Clocz entfernte sich sogleich. Das ist er sicher, sagte Marie-Annel und klopfte Waltrudis schalkhaft auf die Schulter. Die aber sandte zu Hans von der Buche einen schüchtern bittenden Blick hinüber. Er verstand sie und sagte schnell zu den beiden Mädchen: Der Spaß ist verdorben, wenn er mich gleich beim Eintreten sieht, da er mich doch über alle Berge wähnt. Wir haben früher manchmal Verstecken gespielt; laßt sehen, liebe Jungfrau, ob wir noch einen von den alten Schlupfwinkeln finden. Dort im Stübchen nebenan steht der Wirkstuhl, nicht wahr? Und daran stößt eine lange Kleiderkammer, in der es so gruselig dunkel war. Gebt mir einen weiten Mantel und eine litauische Kappe, daß ich mich unkenntlich mache und ihn ein wenig foppe. Sie waren sofort bereit. In der Wirkstube aber verredete er's wieder. Ich habe sie nur beim ersten Begegnen miteinander allein lassen wollen, sagte er. Muß er auf uns achtgeben, so hat er seine Schwester nur halb, und ihr soll er doch nun vor allen gehören. Diese zarte Rücksicht schien ihrem kleinstädtischen Verständnis etwas sonderbar, aber sie fügten sich gern, da sie nun beste Gelegenheit hatten, mit dem Junker ungestört zu plaudern.
Diesmal war Waltrudis nicht voreilig. Sie stand neben ihrer Pflegemutter, die Hand auf deren runden Arm gelegt, und wartete, bis der Hausherr des Gastes Namen genannt hatte. Heinz aber warf seine Kappe in die Luft, ging mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und rief: Waltrudis – Schwester! Ist es denn gewißlich wahr? Meine Schwester – du?
Seine Hände berührten ihre Schultern, und er hatte das Gefühl, als ob sie unter dieser Berührung erzitterten. So ihr zustrebend, hatte er nun doch nicht den Mut, sie an seine Brust zu ziehen, hielt sie eher mit straffen Armen eine Weile von sich ab, sah ihr mit forschendem Blick ins Gesicht und sagte: Wie schön du bist! Ganz anders, ganz anders – und doch so schön! Er dachte an Maria. Sie senkte die Augenwimpern und hob sie wieder: der Bruder durfte ihr das sagen. Nun beugte er sich vor und küßte ihre Stirn; sie aber lehnte den Kopf an seine Schulter und umfaßte ihn mit den Händen. Bruder, lieber Bruder, hauchte sie leise, habe mich nur recht lieb!
Er wollte sich nicht von der Rührung übermannen lassen. Wahrhaftig, rief er in munterm Ton, du hast auch nötig, darum zu bitten! Da ist's eher an mir, zu sagen: Habe Geduld, mit der Zeit sollst du wohl merken, daß ich's gut meine und ein leidlicher Geselle bin. Daß man uns auch solange voneinander ferngehalten hat! Aber ich will dankbar sein, daß ich dich nun ans Herz schließe und nicht mehr verliere. Nicht wahr, ich verliere dich nicht mehr?
Sie sah mit feuchten Augen zu ihm auf und schüttelte den Kopf. Wir werden uns nun unvergeßlich sein, antwortete sie, was auch ferner über uns bestimmt ist.
Das wollen wir besiegeln mit einem herzlichen Kuß! rief er. Bruder und Schwester, die dürfen nichts Fremdes haben und müssen schnell nehmen, was ihnen von Gottes wegen gebührt. Er legte die Hand auf ihr goldiges Haar, beugte ihren Kopf ein wenig zurück und drückte einen Kuß auf ihren Mund. Amen, sagte das Ehepaar.
Die Tür nach dem Hinterstübchen war nicht fest geschlossen worden, und nun ließ sich von dort ein schelmisches Kichern vernehmen. Können die Mädels nicht eine Minute ernst sein? knurrte der Alte.
Warum sollen sie denn nicht lachen? fragte Heinz. Ist's doch ein froher Tag, hoffentlich auch für sie. Eure Töchter, Herr Johannes Clocz, nicht wahr? Erlaubt, daß ich ihnen einen höflichen Gruß biete.
Er wollte nach der Tür eilen, aber Waltrudis hielt ihn an der Hand zurück. Es ist da noch ein anderer, der dich überraschen will, erklärte sie, und deshalb sind sie lachlustig.
Wer ist's?
Rate!
Wie soll ich raten?
Wen hättest du jetzt wohl am liebsten hier?
Heinz sah sie verwundert an. Kannst du zaubern? fragte er.
Ja, sie ist ein Feenkind, bestätigte der Ratmann schmunzelnd.
Sag's nur, bat Waltrudis zuversichtlich.
Heinz ließ einen Blick auf seine linke Hand hinabfallen, an deren kleinem Finger er den Ring mit dem blauen Vergißmeinnicht trug. Männlich oder weiblich? fragte er und wurde blutrot.
Sie war diesem Blick mit den Augen gefolgt. Ah, woran denkst du? fragte sie fast erschreckt. Nein, darüber habe ich keine Gewalt!
Und über das andere auch nicht, meinte er. Ich habe einen braven Gesellen auf der Reise liebgewonnen, und er ist nicht gar weit von uns, aber doch weit genug, daß ihn kein Feenkind herzuzaubern vermag. Unsere Wege trennten sich gestern nach rechts und links.
Sie faßte seine Hand und führte ihn nach der Tür. Laß einmal sehen, ob ich dir gleich recht schwesterlich eine Freude bereiten kann. Sie klopfte leise an. Komm heraus, lieber Gast!
Die Überraschung glückte vollkommen, und die beiden munteren Mädchen lachten dazu aus vollem Halse.
So waren die neuen Bekanntschaften allseitig freundlich eingeleitet. Zum Mittag kam auch Lippolt Clacz, ein vierschrötiger Kleinstädter, mit seiner Neuenburgerin, einer hübschen Blondine. Er wußte anfangs nicht recht, wie er sich zum Junker von der Buche stellen sollte, da die Schulfreundschaft doch schon weit hinter ihnen lag und ihre Lebensstellungen nun sehr verschiedenartig waren; aber Hans verstand in seiner freundlichen Weise darüber hinwegzuhelfen, indem er bei den alten Kulmer Erinnerungen anklopfte. Frau Clocz hatte aufgetragen, was Küche und Keller irgend bieten wollten. So gab's eine vergnügte Tafel.
Nachmittags sprach der Pfarrherr wie von ungefähr ein wenig an. Seiner Hochwürden läßt's schon keine Ruhe mehr, meinte der Ratmann, als er ihn über den Markt auf sein Haus zukommen sah. Er muß wissen, was wir für Gäste bei uns haben.
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