Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Beim Frühstück im Konventsremter trafen die Freunde wieder zusammen. Der Komtur forderte sie auf, sich bei den ritterlichen Übungen auf dem Parchan zu beteiligen, machte auch selbst eine Weile den Zuschauer und lobte Heinz wegen seiner Kraft und Gewandtheit. Darauf besichtigten die Junker das Schloß und stiegen in dem großen Turm die enge Mauertreppe hinauf, sich einmal aus der Höhe umzuschauen. Siebenmal wölbte sich darin die Decke, bis man zur offenen Plattform gelangte, wo von hoher Stange die Burgfahne – zwölf abwechselnd weiße und rote Felder – im Morgenwinde wehte. Das oberste Gemach bewohnte der Wächter; dort befand sich auch in der Wand ein Kamin zu seiner Bequemlichkeit. In Kriegsnöten konnte darin Pech und Blei geschmolzen oder Wasser und Öl gesiedet werden. Die Plattform zeigte sich rundum von Zinnen umgeben, die halb über die Mauer vorragten, so daß man durch deren Öffnung den Fuß des Turmes beobachten und den Feind durch herabgeworfene Steine, Balken und dergleichen aufhalten konnte. Material dieser Art lag denn auch in einigen Haufen aufgeschichtet zum nächsten Gebrauch.
Eine weite Rundsicht bot sich von hier aus den Weichselstrom auf und ab und über die Niederungen zu beiden Seiten. Hans aber hielt lange den Blick festgebannt auf die Stadt und suchte in ihrem Mauerviereck den Markt und den hohen Giebel des Hauses, in dem er gestern so frohe Stunden verlebte. Erst als Heinz fragte, in welcher Richtung nun seine Heimat liege, trat er mit ihm an eine andere Zinnenöffnung und zeigte mit der Hand über den breiten Strom hinweg nach Osten. Hinter jenen Hügeln, sagte er. Wie fern werde ich euch da sein.
Heinz wollte nicht verstehen, was er damit meinte, und schwieg. Hans aber legte den Arm um seine Schulter und machte seinem vollen Herzen Luft. Wir sind hier gleichsam zwischen Himmel und Erde, fuhr er fort, was wir miteinander sprechen, hören nur die Schwalben, die den Turm umkreisen, und sie verraten nichts. Du warst mir auch vordem teuer, Heinz – aber seit gestern –, ich weiß nicht, wie mir plötzlich geschehen ist, als ich deine Schwester sah. Es war mir, als ob eine verschlossene Pforte in meiner Brust aufsprang und eine wundersame Musik ertönte, wie ich sie nie gehört. Es ist gar nicht zu beschreiben. Seitdem darf ich nur die Augen schließen, und ihre holde Gestalt steht leibhaftig vor mir da, wie in einem Lichtschein, und gleich tönt die Musik wieder. Das ist nicht Einbildung: ich sehe, was ich sehe, und höre, was ich höre, und doch ist's nur für mich etwas Wirkliches. Oder ist dir's ebenso, seit deine Gedanken mit Waltrudis verkehren?
Heinz lächelte und drückte ihm die heiße Hand. Eine Schwester ist ein lieb Ding, antwortete er, aber in solcher Art tut sie's dem Bruderherzen nicht an. Doch hab' ich wohl sonst kürzlich etwas Ähnliches empfunden, nur daß ich nicht gerade die Augen zuzumachen brauchte, um das frische Gesichtchen und die braunen Zöpfe dicht vor mir zu haben, und daß die Musik mir ins Ohr klang wie die der Trompeter und Pfeifer im Danziger Artushof, als sie zum Tanz aufspielten. Was kann man dagegen tun? Er zuckte die Achseln.
Du nimmst es in deiner Weise leicht, sagte Hans; ich aber fühle, daß ein Augenblick entscheidend war für mein ganzes Leben und – ich habe nichts zu hoffen. Wie könnte sie, die schöne, herrliche –
Laß wachsen, Freund, fiel Heinz ein, laß wachsen, was wachsen will und wachsen kann. Ob die Sonne scheint oder der Himmel voll Wolken hängt, das folgt nicht unserem Gebot; manchmal fügt sich's aber doch nach unseren Wünschen. Darum sei froh, daß du deines Herzens sicher bist, und lasse im übrigen den Dingen ihren Lauf. Das ist die beste Philosophie, denke ich.
Damit brach er das Gespräch ab, und Hans hatte nicht den Mut, es wieder aufzunehmen. Sie stiegen nach dem Burghof hinab. Dort traf sie einer von den Brüdern an und sagte ihnen, daß der Komtur den Junker von der Buche nach der Mittagstafel zu sprechen wünsche. Sie durften also nicht daran denken, nach der Stadt zu gehen, wie es beiden das liebste gewesen wäre; Hans war überzeugt, daß der Komtur es absichtlich hatte hindern wollen.
Es war ihm auch nicht ganz wohl zumut, als er dem ernsten Manne allein gegenüberstand und ein umständliches Verhör über alle seine Lebensverhältnisse, Reisen und Studien aushalten mußte. Der Komtur schien sich seines Pfleglings Heinz wegen versichern zu wollen, ob ihm Vertrauen zu schenken sei. Zuletzt fragte er ihn: Ist Euch etwas von der Eidechsengesellschaft bekannt, Junker?
Ich weiß wohl, antwortete Hans, daß einige Ritter des Kulmer Landes vor Jahren einen Bund geschlossen haben –
Einen heimlichen Bund, bemerkte der Komtur mit scharfer Betonung.
Es mag sein, daß der Bund seine Heimlichkeit hat, wie auch die andern Bündnisse solcher Art im Reiche. Aber ich habe doch gehört, daß er von des jetzigen Herrn Hochmeisters Vorfahr anerkannt und genehmigt ist, und daß ihm auch freundlich zugelassen worden, eine Vikarie zu stiften, erst zu Rheden, dann zu Thorn. Was also mit Vorwissen der Herrschaft geschehen, kann doch nicht Grund haben, sich zu verstecken!
Kennt Ihr die Artikel des Bundes?
Nein, hochwürdigster Herr Komtur.
Euer Vater gehört aber zu den Eidechsen – ich weiß es.
Er hat dessen kein Hehl und trägt das Abzeichen ganz offen auf seinem Siegelringe. Mir hat er sich aber bisher nicht vertraut, vielleicht weil er mich zu jung für solches Wissen gehalten, vielleicht weil Land und Leute dazu gehören, der Genossenschaft teilhaft zu werden, oder weil ich den Ritterschlag noch nicht empfangen.
Es sind auch Knechte in dem Bunde, entgegnete der Komtur. Nach einigem Schweigen fuhr er fort: Ich warne Euch wohlgemeint, Junker, dem Bündnis beizutreten, wenn man Euch dazu fordert. Es ist nicht so unschuldiger Art, als es scheinen mag, und wir haben es ernstlich zu beklagen, daß Herr Konrad von Jungingen sich überreden ließ, ihm zuzustimmen. Weshalb der Bund? In ihrem Briefe, wie sie ihn in der Marienburg vorgezeigt haben, steht geschrieben, daß sie einander gegenseitig helfen wollen in allen nothaftigen Sachen mit Leib und Gut gegen jedermann, und weislich haben sie hinzugefügt: außer gegen die Herrschaft! Aber wer hat ihnen eine Unbill zugefügt oder angedroht, daß sie sich zur Abwehr zusammenrotten müßten, und seit wann gewähren in Preußen die Gerichte den Eingesessenen nicht mehr Schutz gegen Klagen und Beschwerden, daß sie aufs Schwert schlagen und Gewalt verkünden dürfen? Seit wann ist der Arm der Gerechtigkeit in Preußen so kurz, daß er die Übeltäter und Friedensbrecher nicht erreichte? Seit wann gilt das Fehderecht in diesem Lande für des Ordens Untertanen? Laßt Euch auch nicht verblenden, Junker, durch den listigen Vorbehalt. Denn gegen niemand, als gegen die Herrschaft, kann der Bund im geheimen gerichtet sein. Wir wissen lange, daß sie danach streben, uns an ihren Rat zu binden, und daß sie unwillig leisten, was sie doch nach ihren Briefen schuldig sind, und man sagt ihnen noch schlimmeres Gelüste nach, wovon ich nicht sprechen will. Wäre ich Hochmeister, ich litte solche Verschwörung nicht, sollte sie auch nur in Zukunft gefährlich werden können. Denn alle stehen wir unter dem Gesetz, und wer Gewalt droht, der mißachtet schon das Gesetz und rüstet sich, es zu verletzen. Darum warne ich Euch, Junker, ehe ich Euch entlasse. Es kann sein, daß man Euch über kurz oder lang das Bündnis anbietet, denn viele Eurer Nachbarn gehören zu den Eidechsen, und Euer Vater wird gutsagen für Euch. Seht Euch vor, daß Ihr nicht Euer Gewissen belastet und hinterher zwischen Eid und Pflicht stehet – es könnte Euch gereuen! Hans von der Buche dankte ihm für den wohlmeinenden Rat und versprach, sich's reiflich zu überlegen, ehe er sich einmal entscheide. Für seinen Vater aber glaube er versichern zu können, daß er nichts Arges im Sinne habe und dem Orden treu ergeben sei in allen rechten Dingen. СКАЧАТЬ