Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Er stand auf, rückte den Gurt zurecht, schüttelte Hans über das Geländer hin die Hand und zog ihn sogleich sanft die drei Stufen seitwärts hinauf an seine Seite. Wie geht's Eurem Vater? fuhr er fort. Ich habe letzten Herbst mit ihm ein gutes Geschäft gemacht – ich meine, er hat's mit mir gemacht –, oder wenn Ihr's denn so wollt, wir haben's miteinander gemacht. Alle seine Wolle habe ich ihm abgekauft zu Danziger Preisen, und er hat sie doch nur bis an den Fluß schaffen dürfen. Hat er Euch nicht davon gesagt, Junker? Ja, so gut trifft sich's nicht in jedem Jahr, daß der Begehr nach inländischen Tuchen groß ist: das hat seinen Grund in den Kriegsrüstungen.
Ich bin erst auf dem Wege nach Hause, antwortete Hans, und sprach meinen Vater noch nicht. Mein Pferd frißt übrigens keinen Hafer – ich komme auf Schusters Rappen von Michelau gegenüber Graudenz, einen Freund auf dem Schlosse zu besuchen, von dem ich mich doch gestern erst trennte. Muß auch morgen schon wieder fort, oder spätestens übermorgen. Könnt oder wollt Ihr mich solange herbergen?
Der Alte schob sein Käppchen von der Stirn zurück und zog den Mundwinkel schief auf. Sonst schon von Herzen gern, Junker, sagte er in zögerndem Ton, hätt's mir sicher sogleich als eine Ehre erbeten – aber ich weiß nicht –
Es geht also nicht an, fiel der Junker ohne Empfindlichkeit ein. Ihr habt's nur zu sagen und braucht keine Entschuldigung; finde hoffentlich irgendwo ein Unterkommen, wenn auch nur beim Krüger. Was macht mein alter Schulkamerad Lippolt?
Wollen doch sehen, Junker, wollen doch sehen, grübelte der Ratmann noch über die Logierfrage, indem er die Falte unter dem feisten Kinn ausstrich. Nämlich … hm, hm! Ja, der Lippolt, ganz recht – der hat letztes Jahr schon geheiratet, denkt Euch, des Schultheißen Tochter von Neuenburg. Ich hab' ihm mein Speichergeschäft abgetreten – zur Hälfte wenigstens; will erst einmal sehen, wie er allein vorwärtskommt. Er schlug sich vor die Stirn, daß es klappte. Ja, da sind wir ja auch überm Berge – an den Lippolt hatte ich gar nicht gedacht. Er wohnt dort in meinem alten Hause unweit dem Schloßtor und hat im Giebel Raum genug für drei Gäste. Ei, wird der Lippolt sich freuen, den Junker wiederzusehen! Ich schicke gleich zu ihm. Marie-Anne! – Bärbe! rief er ins Haus. Das heißt, wandte er sich wieder zurück, Raum, Junker … daran fehlt mir's auch nicht. Aber Ihr müßt wissen –
So macht Euch doch keine Sorge, bat Hans. Ich bin bei Lippolt so gut aufgehoben wie bei Euch. Wenn Ihr erlaubt, gehe ich ihm gleich zur jungen Frau Glück wünschen.
Nein, das erlaube ich nicht, wandte der Alte eifrig ein, das erlaube ich nicht. Kann ich auch nicht einen jungen Herrn zur Nacht aufnehmen – hahaha – besonderer Umstände wegen, essen und trinken soll er doch bei mir und sich unter meinem Dache ausruhen. Zu Eurem Freunde braucht Ihr nicht aufs Schloß zu laufen; ich erwarte ihn diesen Vormittag bei mir. Ist doch der Junker von Waldstein – recht geraten? Ja, den erwarten wir, ich und … nun, Ihr müßt's ja doch erfahren: seine Schwester, die in meinem Hause ist.
Seine Schwester – bei Euch? rief Hans überrascht.
Ei freilich, bestätigte der Alte. Der Herr Komtur hat sie mir in Pflege gegeben, da sie eine Verwandte von ihm ist und ein Waisenkind und meine Töchter ungefähr in dem gleichen Alter stehen – ich meine die unverheirateten, denn die Elisabeth hat den Stadtschreiber in Thorn geheiratet, einen sehr ansehnlichen Mann, und die Hanne ist eines Freischulzen Frau geworden, eine Meile von hier in der Niederung. Gestern war Seine Gnaden der Herr Komtur hier und kündete den Junker an, und das junge Fräulein hat eine unruhige Nacht gehabt vor Erwartung, wie meine Töchter erzählen. Das Fräulein – seht, das ist ja auch eben der Grund, weshalb ich Euch nicht bei mir aufnehmen kann. Es würde gleich Gerede geben in der kleinen Stadt, und der Herr Komtur hat strenge Grundsätze. Aber kommt mit mir hinauf, Junker, meine Frau wird sich freuen, wie stattlich Ihr in der Fremde geworden seid, und die Mädel … Er hob den Krug an den Mund und leerte den Rest auf einen Zug – nun, Ihr werdet ja sehen.
Damit schob er ihn durch die Haustür der Treppe zu. Immer sprechend öffnete er oben und ließ ihn in die Herrenstube ein. Da habt ihr den Junker, sagte er.
Die Herrenstube war jetzt gegen den Sommer hin als die geräumigste im ganzen Hause von dem weiblichen Hauspersonal zur Arbeitsstube gewählt. Auf einem Tritt von weißem Holz in der einen Fensternische saß eine Matrone, deren rundes Kinn in einer Halskrause steckte, während eine turbanartige Haube nur wenig von dem über der Stirn aufgekämmten Haar sichtbar werden ließ. Sie hatte ein Nähzeug in der Hand. Neben ihr stand ein junges Mädchen in schlicht bürgerlichem Anzuge, damit beschäftigt, ihr gegen das Licht gewandt die Nähnadel neu einzufädeln. Mitten im Zimmer schnitt an einem großen Klapptisch ein wenig älteres und eben so hübsches Kind nach einem Modell Leinwand zu und sah nun überrascht auf. In der Nähe des zweiten Fensters aber, doch schon außerhalb der Nische, bot sich am Spinnrocken eine Erscheinung, die sofort die Augen auf sich ziehen mußte. Obgleich wie die andern mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt und im einfachen dunklen Kleide, zeigte die junge Magd, die dort spann, sich doch auf den ersten Blick von so eigener Art, daß niemand sie der Familie hätte zuweisen können. Alles an dieser sitzenden Gestalt war zierlich und doch wohl ausgerundet, die Haut des Gesichts und der Hände von blendender Weiße; ein lichtes, blondes Haar, nicht lockig, aber von der Stirn auf bis zu den Spitzen gekräuselt, nicht lang, aber dicht, gab dem schönen, ungemein lieblichen Gesicht eine breite Goldeinfassung und floß wellig über die Schultern hinab, im Nacken nur lose von einem blauen Seidenbande zusammengehalten. Das volle Licht, das von halber Höhe herab durch das offene Fenster auf die Gestalt fiel, gab ihr etwas Sonniges, so daß gegen den schattigen Hintergrund das Haar zu leuchten schien. Hans blieb wie verzaubert in der Tür stehen. Das junge Fräulein aber ließ auf den Ruf des Alten: Da habt ihr den Junker! den Faden aus den feinen Fingerchen fallen, stand auf, ging rasch einige Schritte vor und rief: Mein Bruder!
Sie hätte den durch ihre Erscheinung ganz Verblüfften vielleicht in ihre Arme geschlossen, wenn nicht der Ratmann schnell Einspruch erhoben hätte. Hoho, wies er sie zurück, indem er die breite Hand vorstreckte, so war's nicht gemeint! Der Junker Heinz von Waldstein, den Ihr sehnlichst erwartet, ist's nicht, aber auch ein Junker und ein Freund von ihm. Frau – Mädels, erkennt ihr ihn nicht?
Der Junker von der Buche, sagte die Matrone, indem sie sich nun erhob und ihn begrüßte. Ihr seid hager geworden von dem vielen Studieren, aber das freundliche Gesicht ist noch das alte.
Das schöne Fräulein aber, jetzt ganz mit Purpur übergossen, trat mit gesenktem Kopfe zurück und stand nun neben dem Spinnrocken, unter den langen Wimpern her nach dem jungen Manne ausschauend, der ihr diese Täuschung bereitet hatte.
Das ist des Herrn Komturs Pflegekind, bemerkte der Ratmann, oder wenn Ihr wollt, unser Pflegekind, von dem ich Euch sprach, Waltrudis, des Junkers Heinz von Waldstein Schwester, aber wir nennen sie gemeiniglich Trudis, weil uns der Name zu fremd klingt. Nun, wenn Ihr des Bruders Freund seid, werdet Ihr hoffentlich der Schwester genehm kommen. Ist's nicht so? Ihr aber, Junker, steht da, wie der Prinz im Märchen, ganz verzaubert, und habt noch nicht einmal die Marie-Annel und das Bärbchen begrüßt, die doch schon ungeduldig sind, Euch die Hand zu reichen. Was ist das?
Verzeiht, sagte Hans und holte nun das Versäumte nach, es überraschte mich so … Seine Schwester – er näherte sich Waltrudis und blieb doch wieder in einigen Schritten Entfernung stehen. Es war ein gar freundlicher Willkommen, ob ich ihn schon nicht verdiente. Weiß Gott, erschleichen wollte ich ihn mir nicht, aber nun Ihr mich einmal mit einem so guten Wort angeredet habt, laßt es Euch nicht gereuen, denn ich bin Heinz СКАЧАТЬ