Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Читать онлайн книгу Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking страница 39

Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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      »Lene, Lene, armes Mädchen – ich weiß nicht, was ich dir sagen soll – aber wahrhaftig, du mußt jetzt gehen.«

      »Sogleich,« sagte sie, »hört erst: in der Nacht, bevor wir von Bechenburg fortgezogen und Ihr mich in dem Koffer Eurer Mutter kramend fandet, habe ich wirklich, wie ich lange ahnte, etwas darin gefunden, das Euch betrifft. Ihr hörtet Papiere rispeln; als Ihr aufsaht, steckten sie in meiner Tasche. Ich las sie draußen in der Küche, ich durchflog sie, meine Sinne nicht recht mächtig, und deshalb weiß ich nur noch, daß damit bewiesen war, Ihr seiet der Sohn eines verstorbenen Barons aus dem Bergischen; Ihr heißt eigentlich von – ja, das war ein wunderliches Wort, das ich eigentlich nicht lesen konnte; aber Ihr seid in Paris geboren. Wie es weiter eigentlich zusammenhängt, weiß ich nicht, aber Margret ist Eure Mutter nicht, Eure Mutter ist auch eine Adlige von – von – der Name steht in den Papieren, ich weiß ihn nicht mehr; ich war zu sehr in Hast und Angst; auch weiß ich nicht recht, wie Margret es angefangen hat, Euch zu stehlen.«

      »Mein Gott – aber wo sind die Papiere – wo hast du sie?«

      »Sie sind gut aufgehoben. Ich dachte so: Margret wird sich hüten, sie Euch zu geben, weil sie zugleich gestehen muß, daß sie Euch Euren rechten Eltern nicht wiedergegeben oder wenigstens Euch Euren Namen vorenthalten hat, wenn Ihr auch von Euren Eltern ihr übergeben seid; bei ihr sind sie nicht sieher. Ich schlich mich sacht über die Stiegen in den großen Saal auf Bechenburg; dort ist hinter der Kaminecke links eine Füllung der Lambris, die sich verschieben läßt, und dahinter ein leerer Kasten, von dem niemand weiß. Ich habe sie hineingelegt und Ihr möget dort nur suchen lassen.«

      »Um Gottes willen, weshalb sagtest du dem Wendels davon, Unvorsichtige? Warum gabst du mir nicht gleich die Papiere? Das war schlecht von dir, Lene!«

      »Schlecht? sagt Ihr, schlecht? Ich dachte, wenn – o sagt nicht so, Herr, daß ich schlecht gegen Euch gewesen wäre.«

      »Nun, was dachtest du denn?«

      »Ich dachte, es könne vielleicht – einst – für uns beide viel, viel besser sein, wenn Ihr nie etwas von dem, was da geschrieben stände, erführet; ich hätte dann still die Schriften liegen lassen, wo sie jetzt liegen, und niemand auf Erden hätte davon eine Ahnung bekommen. Jetzt aber, nun Ihr – nun Ihr sie –« Lene stockte und weinte wieder heftiger; dann hob sie ihr feuchtes, gerötetes Gesicht empor und sagte: »Herr, das eine versprecht mir, daß Ihr nie in Eurem Leben vergessen wollt, daß ich es bin, welche jetzt Euch ein Glück gibt, das Euch freilich gehört, das Ihr aber ohne mich nie zu sehen bekommen hättet. Das sollt Ihr mindestens nicht vergessen!«

      »Wie könnte ich das vergessen, Mädchen? Du kannst von mir verlangen, was du willst.«

      »Und was Wendels anbetrifft, um dessentwillen Ihr mich schaltet,« unterbrach sie ihn, »so dacht' ich nicht, daß er Euch davon sagen würde, da er Euch gar nicht Freund ist; aber ich mußte ihm alles sagen, er ist unser Oberhaupt und hat gewisse Sprüche, mit denen er uns alles abfragen kann. Wir müssen dann tun, was er immer will. Mehr darf ich Euch nicht sagen. Jetzt will ich gehen.«

      Lene stemmte den Arm auf die Kissen, legte die Wange auf die flache Hand und blickte in Bernhards aufgerichtetes und freudestrahlendes Antlitz: Es wurde so still in der Kammer, daß man beider Herzen pochen hörte. Das Bernhards schlug in einer berauschenden Freude; das Lenes klopfte so von Schmerz belastet, so voll bitteren Gefühls von ewiger Unseligkeit, daß es matt und wieder mit heftigem Zucken gegen die Gewalt anarbeitete, die es zu zersprengen drohte. Der Schmerz war zu groß; ein Ausdruck von Abgespanntheit und geduldiger Apathie beschlich ihre Züge.

      »Mädchen, wie siehst du mich so traurig an?« Bernhard ergriff ihre Hand und drückte sie mit dem gutmütigen, aber schlechten Troste: »Sei nicht so traurig! Ich will alles tun, was ich kann, um dich glücklich zu machen – du sollst nur verlangen dürfen, was du wünschest – sei nicht so traurig, Lene; aber in der Tat, jetzt mußt du gehen.«

      »Herr, Ihr treibt so – denkt, es läge einer im Starrkrampf im Sarge; würdet Ihr so treiben, daß nun der Deckel zugenagelt würde?«

      Sie erhob sich, nahm die Lampe und ging leise aus der Kammer.

      Ihre traurigen Worte hatten Bernhards Freude gedämpft; bald aber gewann diese mit einem angemessenen Entzücken wieder die Oberhand; er war also nicht der Sohn, der Bastard Katterbachs, wie dieser ihm an jenem Abende im Walde zugeflüstert hatte. Wie eine Zentnerlast fiel es ihm vom Herzen! Er schaute durch die Fenster, ob es nicht bald tage; mit dem ersten Sonnenstrahl wollte er zum Schlosse hinauf, um eines von Herrn von Kranecks Pferden zu entlehnen, dann windschnell nach Bechenburg, um in Besitz der Dokumente zu kommen – seine Gedanken flogen den Hufen seines gespornten Gaules vor – über die Heide zum Stifte, zu Katharinen – er sah sich vor ihr stehen, zitternd, atemlos, seine Urkunden in der Hand – er sah sie selber zittern – blaß und rot werden – er sah, er fühlte sie in seinen Armen liegen. – »O Gott, o Gott, wie kann ein Mensch doch glückselig sein!« jubelte er auf und schlug dann still die Hände zu sammen, als ob er beten wolle. Ein Husten tönte von jenseits der Küche her durch die nächtliche Stille. Es war Margret.

      »Meine Mutter!« stammelte Bernhard betroffen. »Ich denke nicht mehr an sie, noch an die arme Lene. Was soll aus meiner Mutter werden? – Sie habe mich gestohlen, sagte Lene – Herr des Himmels, es geht nicht!«

      Er sank in die Kissen zurück, seine Brust wogte, von einem gewaltsamen Atem bewegt, keuchend auf und ab – er rang mit sich in einem inneren Kampfe, der ihm den Schweiß auf die Stirne trieb. Eine Schar von unseligen Gedanken flog durch sein fieberndes Hirn; seine Mutter hatte ihn seinen Eltern genommen – weshalb – konnte sie einen andern Grund gehabt haben, als ihn dem geheimnisvollen, aber sicher tödlichen Verhängnis zu entreißen, das die andern Kinder der Schemmeyschen Familie, sein älteres Brüderchen und seine Schwester betroffen? Er dankte ihr das Leben also – nur ihr, glaubte er; sie hatte ihn wie ihr eignes Kind großgezogen, sie hatte alle die unsägliche Last auf sich genommen, welche die Erziehung eines hilflosen Geschöpfes einer Mutter aufbürdet – gegen ein fremdes Kind hatte sie alle die Geduld, die hegende und pflegende Sorgfalt geübt – er mußte ihr ja noch mehr dankbar sein als einer rechten Mutter. Und nun, was sollte aus ihr werden, wenn er mit seinen Ansprüchen hervortrat? Würde die Welt, würden die Gerichte glauben? Würde es nicht heißen, sie habe, von Katterbach bestochen, ihn unterschlagen? Würde Herr von Driesch, der sie nicht leiden mochte, den Umstand verschweigen, daß sie Geld von jenem bezogen habe, und wenn der auch, würden es die Domestiken, die alle es erfahren und gewiß schon längst ein Gerede in der Gegend von Bechenburg daraus gemacht? Würde es nicht heißen, wenn Margret ihn aus bloßer Fürsicht seinen Eltern entzogen habe, weshalb sie denn nicht jetzt, nun er erwachsen sei, das Geheimnis entdeckt habe, um die Güter nicht in fremde Hände kommen zu lassen?

      Diese Frage machte ihn einen Augenblick stutzig und ließ ein Schatten von Argwohn gegen Margret in ihm selber aufsteigen. Aber Margret, sagte er sich wieder, hing mit einer so mütterlichen Zärtlichkeit an ihm; er war ihre einzige Freude, die sie auf der Welt hatte; gewiß war es ihr unmöglich, sich von ihm zu trennen und ihre Mutterrechte an ihn aufzugeben; sie war eine alte Frau, die nicht lange mehr zu leben hatte und wahrscheinlich gedachte, auf ihrem Todesbette ihm die Papiere auszuhändigen. Sie hatte freilich fortwährend Geld von Katterbach bezogen; aber es war ja eine Pension, die ihr auf die Güter verschrieben, wie sie ihm oft gesagt, obwohl er nicht recht begriffen, weshalb sie gegen andere ein Geheimnis daraus gemacht hatte; und er wußte zudem, daß sie nichts davon für sich behalten, sondern es ganz für seine Studien verwandt habe. – Die arme Frau, wenn es möglich sei, sie den Gerichten zu entziehen, sollte er sie vor der ganzen Welt prostituieren? Und es war auch nicht möglich, sie den Gerichten zu entziehen; seine Ansprüche ließen sich sicherlich nicht ohne Rechtshändel und ohne ihr Zeugnis durchsetzen. – Es war unmöglich, es konnte ihr den Hals kosten!

      Bernhard СКАЧАТЬ