Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Viertes Kapitel
»Zieh die Vorhänge zurück,« sagte Katharina von Plassenstein am andern Morgen zu ihrem Kammermädchen und schlug ein Buch auf, das vor ihr lag; es war ein Band von Montaigne. Die Vorhänge von gelber chinesischer Seide mit roten und weißen Blumen rauschten zurück; das Tageslicht fiel hell in das Zimmer und glänzte auf dem schwarzen Lack des Tisches, auf den Katharina den Arm stützte. Sie betrachtete die Platte desselben, auf der goldene Malereien eine chinesische Landschaft mit einer Gruppe Mandarinen darstellten; dann die hellblaue Blumenvase vor ihr, die den Mangel eines Straußes durch die abenteuerlichsten Gewächse und Rankenverschlingungen ersetzen zu wollen schien, die in roter Farbe mit der Glasur eingebrannt waren. Dann ließ sie ihr Auge auf die Supporte gleiten, ein ziemlich wertvolles Oelgemälde in französischem Geschmack mit einem kraus verschnörkelten Rahmen als Stukkatur umher.
»Nein,« sagte sie, vor sich hinflüsternd; »hier doch wenigstens etwas Mythologisches zur Abwechslung; eine fliehende Najade und ein Faun; nun es paßt auch. Sonst alles chinesisch; sind es die Künstler, die sich damit über ihre Zeit lustig machen wollen, oder ist dieser Geschmack von einer innern Wahlverwandtschaft eingegeben? Die Menschen werden immer chinesischer: steif, egoistisch, eingeknöchert; die Sitte bis zur Verzerrung in Unnatur verfallend; der einzige Unterschied ist, daß man bei uns den Zapf im Nacken trägt und die Chinesen ihn auf dem Wirbel tragen.«
»Ziehe die Vorhänge wieder zusammen, Leonore; es fällt ein unerträglich grelles Licht ins Zimmer.«
Das Zimmer wurde wieder in eine lichte Dämmerung gehüllt und Katharina erhob sich und schritt auf dem Hautelisseteppich hin und her. Ihre Züge zeigten etwas Abgespanntes; sie war blässer geworden; aber was ihre Schönheit an Glanz verloren haben konnte, war mehr als ersetzt durch den Ausdruck gedankentiefer Sinnigkeit, der sich bis zu einem auffallenden Grade in ihrem Gesicht ausgebildet hatte. Zuweilen nur schien die stolze und fast marmorne Ruhe ihrer Züge von einer inneren Bewegung gefährdet zu werden; ihre Augen bekamen dann etwas Unstetes, die Lider zwinkerten, und sie blieb einige Momente stehen, als sähe sie im Geiste ein Hemmnis vor sich, das ihren Schritten Einhalt geböte. Gleich darauf aber trat sie rascher und heftiger wieder über die Köpfe der holländischen Bauernhochzeit fort, die unter ihren Füßen ihre grotesken Tanzkünste zeigte.
Der Freiherr von Driesch wurde gemeldet. Als ihm hinterbracht worden war, daß sein Besuch ein willkommener sei, schritt die freundliche und bewegliche Gestalt des ältlichen Herrn über die Schwelle; mit den Manieren einer jetzt schon verschollenen Etikettenperiode, die vor allen Dingen eine sehr große Ergebenheit an den Tag zu legen geeignet waren, machte er der Dame seine Reverenz und küßte ihre Hand.
»Ich freue mich außerordentlich, Sie so wohl zu sehen, Herr von Driesch,« sagte Katharina; »Sie müssen sich in der Residenz verjüngt haben, oder ich habe Ihnen früher unrecht getan, wenn ich Sie für einen Herrn über vierzig hielt.«
»Vierzig? Dafür haben Sie mich gehalten?«
»O, Sie sind es gewiß noch nicht; bitte, lassen Sie sich nieder; aber ich glaube, es ist die Poesie, die ihren Geweihten eine ewige Jugend beschert.«
Es gab nichts in der Welt, was Herrn von Driesch angenehmer zu hören gewesen wäre.
»Glauben Sie, meine Gnädigste,« sagte er, mit Mühe ein Lachen unterdrückend, das als Ausbruch seines Vergnügens sich laut machen wollte; »nun ja, ich habe mich ziemlich geschont.«
»Aber weil wir darauf gekommen sind, wollen Sie nicht einmal eine von Ihren Arbeiten Ihren Freunden mitteilen? Wollen Sie ewig die Hippokrene, die so reichlich bei Ihnen sprudelt, neidisch ummauert halten und uns Laien den Zugang wehren?«
»Nun, meine kleine Hippokrene vermischt ihr Gewässer mit den stolzen Fluten der Pegnitz, deren Musageten, für die Kundmachung sorgen zu wollen, mir versprochen haben. Freilich, sie lassen mich ziemlich lange warten. Aber ich mag meine Sachen nicht selbst drucken lassen; die Typographie ist eine Kunst, welche sehr im Sinken begriffen ist; wo sind die Christoph Plantin, die Elzevir, die Stephanus der guten alten Zeit! Soll ich meinen Versen ein Gewand geben lassen, daß sie aussehen, wie eine, alte Chronik auf holländischem Tabakspapier?«
So wenig in Abrede gestellt werden kann, daß dies für die sämtlichen Werke des säuberlichen Herrn allerdings keine passende Ausstattung gewesen sein würde, so war doch noch ein andrer Grund da, aus dem Herr von Driesch sie noch nicht zum Drucke befördert hatte: bis jetzt war nämlich noch keins dieser schmierigen, auf holländisches Tabakspapier druckenden Subjekte, die von Herrn von Driesch mit dem Antrage beehrt worden waren – es waren ihrer eine ganz ansehnliche Zahl – auf den gescheiten Einfall gekommen, durch die Uebernahme der klassischen Produkte des Pegnitzschäfers sich einen unendlichen Reichtum und ihrer Firma für ewigen Zeiten einen ganz ausgemacht unsterblichen Namen zu erwerben– ein Betragen, das Herrn von Driesch vollständigst zu der Annahme berechtigte, daß sie alle Esel seien.
Dagegen fand er in diesem Augenblicke es unbegreiflich, wie er nicht früher schon die nähere Bekanntschaft der Dame gesucht habe, die jetzt, gewiß durch ihre Bewunderung seines Talentes gedrängt, so zuvorkommend die ersten Schritte dazu eingeleitet hatte und einen so außerordentlich gebildeten Geschmack verriet. Er erklärte sich deshalb ganz geneigt, seine Uebersetzung des ersten Buches von Vergils Landbau und einige Proben seiner anakreontischen Studien Fräulein von Plassensteiri im Manuskripte mitzuteilen, die er zufällig, ganz zufällig in seiner Rocktasche hatte. Das Fräulein nahm sie mit vieler Grazie an. Als Herr von Driesch jedoch nach seiner Brille suchte, um das, was er die schönsten und gelungensten Stellen nannte, ihr vorzulesen, sprang sie auf einen andern Gegenstand der Unterhaltung ab und sagte: »Wie fatal und verdrießlich muß es doch für einen Herrn von Ihren Verdiensten sein, sich in einer so gefährlichen als unpassenden Lage zu befinden; es tut mir wirklich in der Seele leid, Herr von Driesch, wenn Sie mir anders die Teilnahme vergönnen, die mich drängt, Ihnen dieses auszudrücken.«
»Was? in einer gefährlichen Lage? ich?« rief Herr von Driesch erschrocken und verwundert.
»Nun ja, gefährlich kann man es wohl nennen, denn Herr von Schemmey soll sein Florett mit einer bewunderungswürdigen Gewandtheit führen.«
»Aber um des Himmels willen, was hab' ich mit dem Florett des Herrn von Schemmey zu schaffen?«
»Ist Ihnen das Kartell noch nicht zugekommen, so werden Sie es wahrscheinlich bei Ihrer Heimkunft vorfinden.«
»Ein Kartell? Sagen Sie in der Tat ein Kartell? Ich soll mich schlagen?«
»Nun ja!«
»Ich, ein Mensch wie ein Lamm? Mein Gott, mein Gott,« sagte Herr von Driesch ängstlich, »das ist ja abscheulich! Nein, das ist gegen göttliche und menschliche Gesetze; nimmermehr! nichts soll mich zwingen, wissentlich ein Gebot zu übertreten, das mir von Jugend auf heilig gewesen ist. Ich schlage mich nicht!«
Er sprang mit den Gestikulationen der äußersten Entrüstung von seinem Stuhle auf.
»Beruhigen Sie sich; Sie können sich ja auch schießen, wenn Sie das vorziehen.«
»Vorziehen? Ich ziehe nichts vor, weder das Schießen, noch das Stechen, noch das Schlagen; es ist wider meine Grundsätze, ich tu' es nicht, und nun will ich sehen, wer mir nahe kommt!«
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