Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Читать онлайн книгу Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking страница 136

Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ will dich sprechen.«

      Erst jetzt wandte der Vogt sich so viel, daß sein Profil über seiner rechten Schulter auftauchte. Das Gesicht war das eines ältlichen Mannes mit kleinen grauen Augen, einer Flaschennase und sehr dicken Lippen, von denen die untere wie ein breites Symbol ewigen Mißvergnügens tief herniederhing.

      »Kommt hierhin, an den Ofen,« sagte der Vogt, »soll ich mir Euretwegen den Hals verrenken? Was wollt Ihr mir sagen?«

      Hubert trat ihm näher und warf sich dann, ohne eine Einladung abzuwarten, auf einen in der Nähe des Ofens stehenden Stuhl.

      »Erlauben Sie, daß ich mich setze,« sagte er tief aufatmend; »ich kann nicht mehr! Ich bin müde wie der Ewige Jude!«

      Der Vogt heftete eine Weile seine kleinen grauen Augen auf ihn; das Resultat seiner prüfenden Beobachtung schien kein sehr günstiges zu sein; wenigstens erhellten sich seine mürrischen Züge nicht.

      In der Tat sah Hubert Bender nicht sehr vertrauenerweckend aus. Die Flucht durch den nächtlichen Wald hatte seinen Anzug ebenso gründlich ruiniert, wie die Krankheit und die jetzige Erschöpfung seine Züge entstellt hatten, die auffallend bleich und leidend aussahen; dazu kam, daß sein jugendlicher Bart seit mehreren Tagen nicht geschoren war und daß sein dichtes Haupthaar einem unzivilisterten wilden Gestrüpp so ähnlich sah, wie nur irgend nötig, um den Eindruck einer vollständigen Verwilderung hervorzubringen.

      »Nun, schenk doch den Kaffee ein, Lise ... die Frau ist zu dumm!« sagte der Vogt, seine Blicke von dem Fremdling abwendend, und zwar mit einem Ausdruck, der andeutete, als habe er vollständig begriffen, wie er mit diesem Menschen daran sei, »schenk den Kaffee ein, und dann sende hinüber zu Schilling, er solle kommen.« Nachdem er dann schweigend einige Züge aus seinem Pfeifenrohr getan, wandte er sich wieder an Hubert mit der Bemerkung: »Sie sind aus irgendeinem Gefängnisse entwischt! Was wollen Sie bei mir?«

      »Es geht doch nichts über den richtigen Instinkt eines Polizeibeamten!« erwiderte Hubert mit mattem Lächeln. »Es ist in der Tat beinahe so, mit dem Unterschiede nur, daß mein Gefängnis bis jetzt eine Krankenstube war. Eine Krankenstube auf Haus Dudenrode. Ich bin am gestrigen Abend daraus entflohen. Ihre Tochter Marie hat mir dabei geholfen; sie hat mich hierhin gewiesen.

      Der Vogt schlürfte, während Hubert so sprach, seinen Kaffee und schaute über den Rand der Tasse fort den Fremden mit höchst bedeutsamen Blicken an. Hubert hatte seinen Mantel zur Erde niedergleiten lassen; er stützte den Arm auf die Stuhllehne und das blasse Haupt auf die Hand; in der stark geheizten Stube fühlte er sich in der Tat plötzlich ganz unsäglich matt und elend, und jedes Wort, welches er sprechen mußte, kostete ihm eine Anstrengung.

      »Also meine Tochter hat Sie hierher geschickt?« fragte der Vogt.

      »Ja, sie wird selbst kommen, vielleicht heute noch, und es Ihnen bestätigen. Sie wird das Haus der Frau von Averdonk verlassen. Sie wird zu Ihnen zurückkehren.«

      »Zurückkehren?« rief der Vogt aus. »Und weshalb?«

      Hubert schwieg, er machte nur eine Handbewegung, wie um anzudeuten, daß er keine Rechenschaft darüber geben könne.

      »Frau, hörst du das?« wandte sich der Vogt an die stille blasse Frau, die schweigend an der andern Seite des Tisches stand und zuhörte, »Marie soll zurückkommen ... da haben wir die Bescherung!«

      »Dann will ich ihr Zimmer in Ordnung bringen,« sagte die blasse Frau leise.

      »Ihr Zimmer in Ordnung bringen! Als ob damit alles gut sei! Die Frau ist zu dumm!« setzte der Vogt murmelnd hinzu, und die Hände ineinander verschränkend, den Oberkörper vorbeugend, blickte er mit einem zornigen Gesicht den Ofen an.

      »Ich werde sogleich nach Dudenrode gehen müssen«, hub er nach einer Weile wieder an; »ich werde der gnädigen Frau Raison beibringen. Sie muß die Marie bei sich behalten. Was soll das geben, wenn die Marie hierher kommt! Es gibt ein Unglück, Lise ,.. nein, ich meine Schilling – da ist endlich Schilling, ja – es gibt ein Unglück, Schilling!«

      Diese letzten Worte waren gerichtet an ein grobknochiges, langes, mageres Individuum, das ein abgeschabter Rock mit stehendem, hellblauem Kragen und ein rundes, silbernes Schild auf der linken Brust als irgendein Anhängsel und dienendes Glied der vogteilichen Gewalt in dem Dorfe Elsen bezeichneten.

      »Was ist denn vorgefallen, Herr Vogt?« fragte Schilling, der eine scharfe Diskantstimme und ein Leichenbittergesicht mit tiefeingefallenen Wangen hatte.

      »Schilling, meine Tochter soll zurückkommen!«

      »Das geht nicht, Vogt«, sagte Schilling sehr bestimmt, den Kopf schüttelnd.

      »Freilich geht es nicht. Darum will ich sogleich nach Dudenrode und es der Frau von Averdonk vorstellen. Er kann mitgehen, Schilling.«

      »Das geht auch nicht, Vogt. Es ist heute morgen Termin.«

      »Termin, ja, es ist Termin; und vor drei Uhr ...«

      »Werden wir nicht fertig«, fiel Schilling ein.

      Der Vogt schob sein Käppchen in die Höhe und kratzte sich ratlos den Kopf.

      »Wer ist der fremde Mensch da?« fragte Schilling, auf Hubert deutend.

      »Ja, wer ist er? Lise, hast du ihn nicht einmal gefragt, wer er ist? Die Frau ist zu dumm! Wer ist man?« wandte sich der Vogt jetzt plötzlich barsch an Hubert.

      Hubert antwortete nicht; er schien in völlige Teilnahmlosigkeit für alles, was um ihn her vorging, versunken.

      »Er ist krank, Schilling«, wandte sich der Vogt an seinen Diener.

      »Hat er denn die Nachricht gebracht?«

      »Ja, die Marie hat ihn hergeschickt.«

      »So bringen Sie ihn in ein Bett.«

      »Es wird das beste sein; Lise, bringe ihn in die Fremdenkammer; laß ihn sich zu Bett legen.«

      Die stille Frau nahte sich Hubert, und seine Schulter berührend sagte sie leise: »Kommen Sie mit mir; Sie müssen sich legen. Ich will für Sie sorgen.«

      Hubert erhob sich mühsam und folgte schwankenden Schrittes der Frau. Sie führte ihn durch das Akten- und Geschäftszimmer zu einer Tür im Hintergrunde, die sie öffnete; in einer freundlichen kleinen Kammer, die Hubert dann betrat, stand ein Bett, zwar ohne Vorhänge, mit dunkelm Kattun überzogen, aber für jemand, der sich so todmatt fühlte wie unser Student, immerhin eine Anstalt von unermeßlicher Wohltätigkeit.

      »Wollen Sie etwas genießen?« fragte die Frau; »ich will Ihnen Tee bringen und Brot.«

      Hubert nickte mit so freundlicher Miene, wie er sie zu machen vermochte, und die Frau verließ die Kammer wieder; der Student aber begann sofort sich zu entkleiden, um möglichst bald der Ruhestätte froh zu werden.

      »Schilling,« sagte unterdes der Vogt in der Amtsstube, »können wir den Termin nicht verschieben? Gegen wen steht er an?«

      »Geht nicht, Vogt. Er steht gegen den Krämer Reinerz an, der in den herrschaftlichen Weiden gehütet und die alte Schnat weggepflügt hat. Es sind viele Zeugen geladen, und der Reinerz sagt, er wolle jetzt partout ein Ende mit den Geschichten haben... er hat die große Rechnung an Sie, Vogt«, СКАЧАТЬ