Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
isbn:
Er suchte zu schlafen, und seine Ermüdung kam ihm dabei so zu Hilfe, daß sich bald der Schlummer seiner Glieder bemächtigte. Er hörte den Wind um die Mauerkanten und das Dach der Kapelle noch eine Zeitlang fortheulen und so melancholisch pfeifen, als ob er ihm eine alte, ganz entsetzlich klägliche Geschichte von dieser Kapelle erzählen wollte; er hörte noch, weit aus der Ferne jetzt, die große Eule wehklagen, als ob sie zum Abschiede ihm ein ganz erschrecklich jammervolles Schicksal in dieser trübseligen Zeit prophezeien wolle; und dann hörte er das alles nur noch ganz gedämpft, wie aus immer größerer Ferne, und endlich hörte er nichts mehr.
Die Sonne stand am Himmel, als er erwachte. Er fühlte sich durch und durch fröstelnd und sprang auf, sobald der Anblick seiner Umgebung ihn zum vollen Bewußtsein zurückgerufen hatte. Die Kapelle, in welcher er sich geborgen, lag, wie er jetzt wahrnahm, nicht über hundert Fuß hoch über einem schmalen Tale, in welchem ein ziemlich wasserreicher Bach dahinschoß und ein betretener Fußweg, den Bach entlang, sich abwärts wand. Hubert stieg zu ihm hinab und folgte dem Wege nach links hin; denn hier wurde, weitab in der Ferne, eine breite Tallandschaft sichtbar, zwischen der Wand des Berges, an welchem er in der Nacht heruntergeklettert war, und der nächsten, ihr jenseit der Schlucht gegenüber aufsteigenden. Nach einer Viertelstunde Gehens lag diese Ebene, von Bergzügen nach allen Seiten umgeben, offen vor ihm. Der Weg führte jetzt beständig abwärts. In der Ebene wurden einige Dörfer sichtbar; auch ein paar schloß- oder kastellartige Gebäude auf den Vorsprüngen der jenseitigen Bergzüge. Aber vergebens blickte Hubert aus nach irgendeinem Menschen, bei dem er sich durch Fragen Rats erholen konnte, wo in der Welt eigentlich er sich befinde. Zu seiner Freude hörte er endlich zu seiner Rechten auf einer waldbedeckten Halde die regelmäßigen Schläge einer arbeitenden Axt. Es war eine unangenehme Aufgabe für einen Menschen, der sich so ermüdet und noch mehr innerlich matt als ermüdet fühlte wie Hubert, aufs neue einen Hang hinanklettern zu sollen – aber er hatte keine Wahl und arbeitete sich langsam empor, bis er der Stelle, woher die Axtschläge schallten, nahe war. Niederes Unterholz verdeckte ihm den Stand des Holzfällers. Er brach sich einen Weg hindurch und sah nun auf einer Lichtung einen Mann im grauen Zwillichkittel, die Axt hoch über seinem Haupt erhoben, um einen mächtigen Schlag zu führen – aber in demselben Moment auch ließ der Mann die Axt zu Boden fallen und griff nach einem neben ihm im dürren Laub liegenden Etwas, das er mit Blitzesschnelle in eine höchst beunruhigende Lage an seiner rechten Schulter brachte; Hubert sah die Mündung eines Flintenlaufs auf sich gerichtet.
Der Student machte unwillkürlich eine Bewegung zur Seite. Dann winkte er mit beiden Händen, um seine friedliche Absicht an den Tag zu legen, und sah zu seiner großen Genugtuung, daß der Holzfäller seine Flinte sinken ließ.
Hubert schritt ihm näher.
»Weshalb wollt Ihr mich denn totschießen?« sagte er, »ich will weiter nichts, als Euch nach dem Wege fragen.«
»So ... nach dem Wege fragen?« versetzte der andere aufatmend, »ich glaubte, es sei der Averdonksche Jäger, und war teufelsmäßig erschrocken. Wohin wollt Ihr? Woher kommt Ihr so früh?«
»Ihr stehlt wohl Holz?« fragte Hubert, statt zu antworten, den Mann, einen Burschen von etwa fünfundzwanzig Jahren, mit einem schmalen intelligenten Gesicht und kleinen, pfiffig blinzelnden schwarzen Augen darin.
»Wenn man's nicht hat, muß man's eben nehmen, wo man's findet!« antwortete er, sich auf den Lauf seiner Flinte stützend. Aber wohin will der Herr eigentlich?«
»Nach Elsen.«
»Elsen ... ja, das liegt da unten – eine Stunde Wegs, nach Ruppenstein zu.«
»Gottlob!« sagte Hubert, »ich bin also in der Richtung geblieben.« Der Bursche schritt vor ihm her über die Lichtung und durch das Gebüsch, um einen Punkt zu erreichen, wo man den Weg und das Tal überblicken konnte.
»Da unten liegt Elsen!« bemerkte er nach einer Weile, auf einen Ort nach der Mitte des Tales deutend.
»Ich danke Euch«, versetzte Hubert; dann reichte er dem Burschen von dem sehr bescheidenen Sümmchen, das er in seiner Manteltasche gefunden, eine kleine Münze als Trinkgeld und begann den Hang vor ihm hinabzuschreiten.
Er war bald unten, wieder auf demselben Fußwege, den er gekommen und der in ziemlich gerader Richtung durch Ackerfluren auf den Ort zuführte. Elsen lag hoch, auf einer Hügelwellung, und überragte so einen Teil der Talsohle. Es war allerdings nicht viel weiter als eine Stunde; aber der Student brauchte fast zwei, bis er das Dorf erreicht hatte. Es hatte ein verwahrlostes, schmutziges und verarmtes Aussehen. Was er von Einwohnern bemerkte, sah zerlumpt und bettelhaft aus. Ein Junge mit bloßen Füßen wies ihm den Weg zum Hause des Vogtes. Erst ging es eine verwitterte Treppe hinan; dann durch einen Torbogen in einer zerfallenden Mauer, die einen hochliegenden, von alten Linden beschatteten Kirchhof umschloß; dann vorüber an einer anscheinend uralten Kirche mit grauen Bruchsteinmauern und einem dicken stumpfen Turme, der es vorzuziehen schien, sein altersgraues Haupt in die Lindenwipfel zu bergen, statt darüber hinaus auf die elenderfüllten Hütten seiner Gemeinde rings um seinen Fuß zu blicken. Hinter dem alten Gotteshause lag ein großes Gebäude, das mit dem Chore der Kirche zusammenstieß; es sah herrschaftlich aus, große Wappen prangten über dem Portal, aber es zeigte Vernachlässigung und Verfall wie alles ringsumher.
»Da wohnt der Vogt«, sagte der Junge und lief dann spornstreichs davon, als ob der Vogt hinter einem der Leichensteine auf dem Kirchhofe lauere und nun hervorspringen und ihn grimmig strafen werde, daß er seine Wohnung einem Fremden verraten.
Hubert schritt eine Treppe hinan; die Tür war halb geöffnet und ließ unsern Wanderer in einen breiten Flur treten, auf den rechts und links Türen gingen, während im Hintergrunde eine breite hölzerne Stiege nach oben führte. An der ersten Tür links trug eine Karte die groß geschriebenen Worte: Vogtei Elsen. Die Tür ihr gegenüber zur Rechten war bezeichnet: Parteienstube. Hubert zog vor, an beiden vorüberzuschreiten; hinten, unterhalb der Stiege öffnete sich eben eine dritte Tür, aus der eine große blasse Frau in ziemlich anständigem, reinlichem Morgenkostüm trat; sie trug eine Platte mit Kaffeegeschirr und schritt quer über den Flur, offenbar in der Absicht, die »Vogtei Elsen« in ihrer obrigkeitlichen Tätigkeit durch ein kleines Frühstück zu unterstützen.
»Wir geben nicht an der Tür; geht mit Gott!« sagte die Frau, als sie den Studenten erblickte; sie sprach auffallend leise und hielt ihre Augen auf die Platte in ihren Händen gerichtet.
»Ich möchte den Vogt sprechen«, versetzte Hubert, »oder seine Frau ... ich komme nicht zu ›fechten‹, wie Sie vorauszusetzen scheinen!«
»So kommen Sie herein«, antwortete die Frau, ohne aufzublicken, mit derselben leisen Stimme.
Sie öffnete die Tür, hinter welcher sich die Vogtei Elsen befinden sollte, und Hubert folgte ihr hinein. Es war ein großes, von der Hand des Tünchers geweißtes und von der Hand der großen Farbenkünstlerin Zeit braungrau überzogenes Zimmer; Aktengestelle erhoben sich an den Wänden, ein langer Tisch stand in der Mitte, und in einem Armstuhl zwischen dem Tische und dem Ofen, aber das Gesicht dem Ofen und den Rücken dem Tische mit seinen Aktenbündeln und Tintenfässern zugewandt, saß ein kleiner dicker Mann in einer gestrickten Jacke, ein schwarzes Käppchen auf dem Kopf. Er stieß aus einer langen Pfeife dicke Rauchwolken von sich, die das ganze Gemach mit einer keineswegs duftigen und angenehmen Atmosphäre füllten.
»Bringst du nun endlich den Kaffee, Lise?« sagte der Mann mit einem mürrischen Tone. »Ist Schilling da?«
»Es ist nicht Schilling, es ist ein Fremder!« antwortete schüchtern СКАЧАТЬ