Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Mit solchen Gedanken beschäftigt, erhob er sich und legte seine Kleider an, die ihm die Frau des Vogts sorgsam gereinigt in seine Kammer geschickt hatte.
Als er beinahe fertig war, trat er zufällig an das Fenster und warf einen Blick in den vor demselben liegenden Garten hinab. Man konnte nichts Hübscheres und Malerisches sehen als diesen Garten. Der Rückseite des Hauses entlang lief eine steinerne Balustrade, mit schönen steinernen Urnen geschmückt, von denen ein Teil freilich jetzt unten im Grase lag und die andern so verstümmelt und beschädigt waren, daß sie auf eine bedauerliche Nichtachtung künstlerischer Formen im Dorfe Elsen deuteten, während sich alle gleich moosbedeckt und verwittert zeigten. Aus der Mitte der Balustrade herab führte eine breite Steintreppe nieder, denn der Garten bedeckte den Abhang einer Hügelwand, die sich hinter dem Amtshause niedersenkte. Im Grunde unten floß ein Bach, über den eine kleine Zugbrücke in ein Gehölz führte, welches sich über die jenseitige Bodenerhebung ausdehnte. Obwohl nun Obstbäume und Taxuswände in dem Garten waren, auch wildwuchernde Ziergesträuche nicht fehlten, so hatte doch der Herbst, der sie zu entlauben begonnen, dem Auge die Möglichkeit geschaffen, bis auf den Bach da unten in der Tiefe hinabzublicken und wahrzunehmen, was an lebendiger Staffage in dem schön gelegenen und romantisch verwilderten Garten vorhanden; und eine solche war vorhanden – sie bestand aus zwei Gestalten, einer männlichen und einer weiblichen. Hubert erkannte sehr bald, daß es Franz von Ardey und Marie waren. Franz von Ardey trug einen grünen Pelzrock, Marie stand vor ihm in einem schwarzen Kleide, ohne Tuch und Mantel – eine so schlanke, liebliche Gestalt, daß der Student in diesem Augenblicke die menschenfreundlichen Gedanken, die er in seinem redlichen Herzen einen Augenblick genährt, wieder zu sich zurückkehren fühlte. Aber er sah, daß Marie – die beiden jungen Leute standen auf der kleinen Brücke unten – daß Marie ihre Hand auf die Schulter Franzens gelegt hatte, und so, wie bittend, sehr eifrig zu ihm zu sprechen schien; daß Franz jetzt ihre andere Hand erfaßte und dieselbe an seine Brust drückte; und dann ... ja, dann kam etwas, was den Studenten plötzlich über den Einfall, in diesem Hause der Erlöser aller Verwickelungen, der Glück und Ruhe bringende Wohltäter werden zu wollen, sehr beschämt erröten ließ, was ihn in einem einzigen Augenblicke zur Besinnung zurückführte, und was ihm doch einen Anflug von Ärger zuzog.
Und doch hatte er unrecht – sehr unrecht, ärgerlich zu werden. Es konnte niemand kränken; es war gar nicht denkbar, daß irgendeinem vernunftbegabten und welterfahrenen Menschen dadurch ein Ärgernis gegeben würde.
Marie und Franz nämlich sanken einander an die Brust, und nachdem Marie sich flüchtig umgesehen, wie, um sich zu vergewissern, daß sie unbelauscht sei, küßte sie ihn, und Franz küßte sie wieder.
Sie lagen eine Weile Brust an Brust; dann riß Marie sich los – und dann eilte sie den mittlern Gartenpfad hinauf; und dann blieb sie stehen und schaute nach Franz zurück, der immer noch auf der Brücke stand und ihr nachblickte; und dann eilte sie weiter, dem Hause zu, und Hubert sah nun, wie ihr hinreißend schönes Gesicht gerötet war und wie rasch sie atmete, während sie den steilen Pfad heraufgesprungen kam; und wie sie darauf noch einmal umblickte und mit den Augen Franz verfolgte, der eben jenseit des Baches in dem Gehölz verschwand und, bevor er verschwand, mit seinem Tuche ihr zuwinkte – das alles sah Hubert, und ein wenig mißvergnügt mit sich selber und ein wenig gedemütigt fuhr er jetzt in die Ärmel seines Rockes und trat in die Amtsstube ein, entschlossen, sobald als möglich seinen Rückzug aus diesem Lande, wo ihm nun einmal kein Glück zu blühen schien, anzutreten. Freilich vorher war noch eine Frage zu lösen, welche gleich brennender als unangenehmer Natur war. Er bedurfte Geld zu der Reise und er hatte nicht mehr bei sich als wenige Groschen, die er eben im Augenblicke seiner Entführung in der Börse gehabt, und ein höchst unzureichendes Stipendium, womit ihn Franz von Ardey im Augenblick seiner Flucht versehn. Er mußte also schon bei dem gestrengen Vogt selber den »armen Studenten« machen.
Der Vogt begrüßte ihn mit einem eben nicht freundlichen Kopfnicken; Schilling, der an der andern Seite des Ofens saß, sah ihn mit großen verwunderten Augen an, schien aber nach einigem Besinnen es für seine offizielle Stellung in diesem Räume passend zu finden, ihm einen Stuhl zu bringen.
»Marie hat mir von Ihnen erzählt, was sie wußte,« sagte der Vogt, »aber es war nicht viel... «
»Ich will Ihnen Rechenschaft darüber geben, wie ich hierhin gekommen bin«, antwortete Hubert und begann, seine Geschichte zu erzählen. Der Vogt wie Schilling hörten ihm aufmerksam zu; der Vogt mit einem Gesicht, in welchem sich die bloße Neugierde ausdrückte; Schillings Leichenbittergesicht dagegen verriet, daß er höchst gespannt auf die Entwicklung war.
»Und nun?« wandte sich der Vogt, als er geendet hatte, an Hubert.
»Nun,« versetzte Hubert, indem er mit einiger Beklommenheit daran dachte, daß der Augenblick da sei, auf den Punkt seiner Erzählung zurückzukommen, den er, seinem Vorsatze getreu, bereits durch sehr deutliche Winke eingeleitet hatte – den Punkt nämlich, der die Reisemittel betraf – »nun wage ich es kurz und gut, Ihnen eine Bitte auszusprechen, Herr Vogt ... Ihre Tochter hat mir einmal den Mut gemacht, mich an Sie zu wenden ...«
»Er hat eine Bitte wegen meiner Tochter, Schilling!« sagte der Vogt halblaut, indem er mit großen Augen, in denen etwas wie eine freudige Erwartung aufglimmte, sein Faktotum anschaute.
»Ich bin Ihnen so unbekannt und wildfremd,« fuhr Hubert fort, »daß ich sehr wohl fühle, wie kühn es ist, wenn ich Ihnen zumute, mir zu vertrauen ...«
Der Vogt zog aus seiner Pfeife dicke Rauchwolken, die er gegen den hohen Kachelofen ausstieß, als wolle er ihn damit umblasen und in die Luft sprengen; Schilling aber nickte dem Studenten mit einer süßsauren Miene zu, als wolle er sagen: »Nur zu – du bist im rechten Fahrwasser!«
»Es ist aber eine Sache von großer Wichtigkeit für mich, und da ich Ihnen über meine Verhältnisse alle Auskunft gegeben habe ...«
Der Vogt qualmte fürchterlich, und jetzt Hubert zugewendet und ihn wie eben den Ofen in eine Wolke hüllend, sagte er: »Also mit der Marie haben Sie geredet, und sie hat Sie an mich gewiesen?«
»Wie ich Ihnen erzählte; hat sie es Ihnen nicht selbst gesagt ...« »Es kommt darauf an,« versetzte der Vogt, »ob Sie sich hier als Arzt niederlassen wollen, wenn Sie Ihre Studien gemacht haben?«
»Hier? hier im Lande?« antwortete Hubert überrascht, und den Zusammenhang nicht fassend.
»Nun ja ... dann habe ich nichts dagegen. In die Fremde laß ich das Kind nicht ziehen. Ein Arzt findet hier recht gut sein Brot. Wollen Sie mir das versprechen, und sind Sie sonst ein ordentlicher, fleißiger Mensch, so können Sie sie bekommen ...«
»Sie reden von Ihrer Tochter, von Marie ...«
»Nun freilich – von wem sonst?«
Huberts Augen drückten so viel Verwunderung СКАЧАТЬ