Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Schilling, der Amtsdiener aber, der sehr scharf in Huberts Zügen gelesen hatte, beugte sich unterdes weit mit seinem langen Oberkörper zu seinem Vorgesetzten hinüber, und mit einem wahrhaft spitzbübischen Ausdruck von List und Spott flüsterte er ihm ins Ohr:
»Er will die Marie gar nicht – er wollte Ihnen bloß Geld abborgen.«
»Geld abborgen? – mir? ... Geld? Schilling, ist er toll?« antwortete der Vogt ebenso leise, aber höchst überrascht. Das hatte er nicht voraussetzen können.
Die stumme und verlegene Pause, welche im nächsten Augenblick eingetreten war, wurde durch den Eintritt der stillen Hausfrau unterbrochen. Sie stand einen Augenblick und schaute auf die Männer; und da sie wahrzunehmen glaubte, daß sie diese drei jetzt gleich tief schweigenden Gestalten nicht störe, so schritt sie weiter durch die lange Amtsstube; aber indem sie an Hubert vorüberging, gab sie ihm einen Wink, ihr zu folgen, und dann verschwand sie in der Tür von Huberts Schlafzimmer. Dieser stand rasch auf, der Unterbrechung, die ihm Zeit sich zu besinnen gewährte, froh, und eilte ihr in das Gastzimmerchen nach. Hier fand er die Vogtin mit einem Papier in der Hand dastehend, das sie ihm, nachdem sie sorgfältig die Tür geschlossen, darreichte. Es war ein alter vergilbter Brief.
»Ich weiß nicht, ob ich recht tue, es Ihnen zu geben«, sagte sie, indem sie sich auf das Fußende des Bettes niedersetzte und die Hände im Schoße faltete. »Es hat niemand auf Erden je etwas davon erfahren. Aber es ist eine Stimme in mir, die sagt: Gib es ihm! Du mußt es ihm geben, daß er es erfährt! Es ist jetzt alles eins, was die Welt dazu sagt!«
Hubert öffnete und überflog den Brief. Er war unterschrieben: Christoph Bender. Sein Inhalt sprach von Schmerz und Herzenskummer und viel von Entsagung und Christenpflicht und dem Himmel. Es waren Stoßseufzer eines Mannes, der gezwungen ist, auf Lebens- und Liebesglück zu verzichten. Hubert fand es sehr rührend, sehr herzbrechend und sehr unorthographisch geschrieben; je weiter er las, desto mehr ergriffen ihn diese einfachen Klagen eines redlichen, still duldenden und in Verlassenheit verkümmernden Mannes von ungewöhnlicher Weiche des Gemüts. Höchlichst überrascht aber wurde der Student, als er an die folgende Stelle kam:
»Meine Ehre und Reputation vor den Menschen habe ich jetzo auch unnützlich in die Schanze geschlagen. Ich habe ein fremdes Kind zum Auferziehen angenohmen, welches mir im Geheim ein Herr von Walrave durch unsern Herrn Pastohr hat übergeben lassen, nebst Versprechung einer ansehnlichen Pension jährlichen zu Maria-Verkündigung und Michaeli zu bezahlen, wofür der Herr Pastohr caviret. Die Leute glauben nun alle, es sei mein Kind. Hab ihm ja freilich auch meinen Namen zu führen erlaubnüß versprechen müßen. Bedachte mich nicht lange, dieweil ich calculirte, daß die Pension mich in den Stand setzen würde, einen Hausstand mit meiner vieltausendmal geliebten Liesabeth zu gründen. Nun ist alles umsonsten, weil die grausamen Aeltern meine Liesabeth an einen Andern, an einen Mann in festem Brodt und Stand dahingegeben haben ...« Hubert sah betroffen die Frau an. Sie saß regungslos da, die Augen auf den Boden geheftet, die Hände im Schoß.
»Es ist ein Geheimnis – sagen Sie ja niemand etwas davon und geben Sie mir den Brief zurück«, flüsterte sie jetzt.
»Der Brief bleibt mein!« sagte Hubert, »begreifen Sie denn nicht, daß das hier etwas wie ein Geburts- oder Taufzeugnis für mich ist?«
»O nein, den Brief muß ich zurückhaben – niemand auf Erden darf den Brief sehen!« erwiderte sie erschrocken.
»Es tut mir leid, daß ich Ihren Wunsch nicht erfüllen kann; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß er nicht mißbraucht werden wird – aber sagen Sie mir, haben Sie sonst je etwas von diesem Walrave gehört ... auf den mein geheimnisvoller Stammbaum zurückzugehen scheint?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe den Namen wohl sonst vernommen«, sagte sie. »Ich glaube, es war kein guter Mann; es kam vor vielen Jahren solch ein Herr hier im Lande ums Leben, und die Menschen sagten, es sei gut, daß er tot sei. Aber nun geben Sie mir den Brief zurück!« setzte sie flehend hinzu.
Hubert steckte den Brief zu sich. »Es mag unrecht sein,« sagte er, »daß ich mich weigere, ja, es ist unrecht – aber Sie müssen mir dieses Unrecht verzeihen; ich werde den Brief behalten.«
Sie brach in Tränen aus, die arme Frau. Ihr ganzes Herz, schien es, hing an dem Briefe. Aber sie machte weiter keine Versuche.
So saß sie still weinend da; Hubert streckte ihr gerührt die Hand hin, wie um seinen Frieden mit ihr zu machen und ihre Verzeihung für sein eigenmächtiges Handeln zu erhalten – sie schien die Bewegung seines Armes nicht zu bemerken, wenigstens nahm sie die dargebotene Hand nicht. Da wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich von einem großen Geräusch in der vordern Stube, in dem vogteilichen Amtslokal, abgezogen – sporenklirrende Schritte, helle Stimmen wurden dort laut, es mußte dort etwas Ungewöhnliches vorgehen, und während die stille Frau erschrocken aufhorchte, öffnete Hubert neugierig rasch die Tür und trat auf die Schwelle.
Seinen Augen zeigte sich zunächst eine höchst merkwürdige und auffallende Figur, welcher in diesem Augenblicke der Vogt in demütigster Haltung, sein Käppchen in der Hand, den eigenen alten Ledersessel neben den Ofen schob, worauf der Fremde sich niederließ und bequem ausstreckte, die beiden in arg beschmutzte Klappenstiefel mit großen silbernen Sporen steckenden Beine weit auseinander streckend, die Arme über der Brust verschlingend.
Es war ein gar stattlicher Herr, wie er so in gebieterischer Haltung dasaß. Mit bedeutendem Leibesumfang hatte ihn die gütige Natur versehen und mit einem schönen breiten Stierkopf, der um so mehr geeignet war, einen tiefen Eindruck zu hinterlassen, als die dunkelrote Farbe desselben einen eigentümlichen Kontrast bildete mit den buschigen starken und offenbar schwarzgefärbten Brauen und mit den blauen, flach liegenden, unstät bewegten großen Augen. Heftigkeit und noch mehr Härte sprachen aus diesem ganzen Angesicht; und doch mußte dasselbe einmal mit einem Gegenstande zusammengetroffen sein, der ihm an Härte um vieles noch überlegen gewesen war; durch irgendeinen unglücklichen Fall oder durch einen Stoß war nämlich das Nasenbein in der Mitte zerschlagen und plattgedrückt – ein Umstand, der weit mehr dazu diente, das Charakteristische als Schönheit dieses Gesichts zu erhöhen. Der Mund zeigte dicke aufgeworfene Lippen; und wenn die Umgebung dieser Lippen auch nicht ganz ohne einen Zug war, der eine gewisse derbe und mürrische Gutmütigkeit verriet, so waren sie doch keineswegs geeignet, das zu ersetzen, was dem Übrigen an der gewöhnlichen Wohlgestalt eines ordinären Menschengesichts abging.
In Summa – es hätte diesem seltsam ausdrucksvollen Kopfe nur ein recht struppiges, nach allen Seiten der Windrose auseinanderfahrendes langes und pechschwarzes Haar gefehlt, um die ganze Erscheinung irgendeiner noch unbekannten Waldteufelrasse zuzurechnen, der Fremde trug aber weder schwarzes noch wirres und unkultiviertes Haar, sondern eine Perücke, aufs sauberste geglättet, pomadisiert und gepudert; und seines Zeichens und Standes war er niemand Anderes und niemand Geringeres als unseres Vogtes Amts- und Landesherr, Seine Erlaucht, von Gottes Gnaden Philipp III., zubenannt der Tolle, des Heiligen Römischen Reiches Graf zu Ruppenstein, Edler Herr zu Brunskappel, desselben Heiligen Römischen Reiches Vorfechter in sächsischen Landen und Erbpanier des hohen Erzstifts Köln.
Gewandet hatten Ihre Erlaucht sich in ein dunkelgrünes, mit schmalen Goldborten umsäumtes, für ihre ansehnliche Leibesgestalt nachgerade zu knapp werdendes Leibröcklein, eine mächtige und höchst majestätisch ausgerundete Weste von gelbem Stoff, und silbergraue Kniehosen; und auf dem Haupte trugen sie ein dreieckiges Hütlein mit Galon und Federgarnitur, so ihren ausdrucksvollen und Ehrfurcht gebietenden Zügen recht vorteilhaft zu Gesichte stund.
Einen hochgewachsenen Mann in mittleren Jahren und in Militärtracht sah Hubert in einiger Entfernung im Hintergrunde СКАЧАТЬ