Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Dame Gebharde fixierte den Eintretenden eine Weile; sie sah ihm scharf und mißtrauisch forschend ins Gesicht. Der junge Mann zeigte alle Spuren, daß dieser Blick ihm drückend und unangenehm sei; er wechselte unter demselben die Farbe und warf seine Augen im Zimmer umher, als ob er irgendeinen Gegenstand suche, auf dem er sie mit einem wenn auch nur schwachen Anschein von Interesse haften lassen könne.
»Franz!« sagte die gestrenge Freifrau endlich.
»Meine Tante?«
»Solltest du denn nicht recht gut wissen, wer eigentlich Marie Stahl von hinnen sendet? Solltest du in der Tat verblendet genug sein, mir Vorwürfe darüber zu machen, daß ich etwas tue, was ich keinen Tag länger aufschieben darf? Soll ich Marie Stahl etwa hier lassen und still zusehen, wie sie meinem Neffen den Kopf verdreht, wie die stille Unschuld ihn mit kleinen koketten Manövern in ihr Netz einfängt, bis er umstrickt ist und ...«
»Meine Tante, was sagen Sie da ... welche Behauptung, welcher Vorwurf ...«
Der lange Freiherr Lactantius hatte seinen maschinenhaften Wandelgang im Gemache auf und ab unterbrochen; er stand hinter dem Rücken des Neffen still, schaute ihm mit seinem langen blassen Gesicht, seinen runden Augen, seiner hohen Zipfelmütze wie ein Gespenst über die Schulter, und warf einen Blick auf seine Gattin, in welchem diese etwas von schadenfroher Schlauheit hätte aufblitzen sehen können, wenn sie überhaupt es der Mühe wert gefunden, nach ihm zu sehen. So aber würdigte sie keinen der beiden einer weitern Beachtung, weder den bleichen Gatten noch den hochroten Neffen, und fuhr mit derselben eisigen Kälte fort:
»Sie soll mir nicht die Pläne zunichte machen, welche ich für deine Zukunft habe und in kurzer Zeit ausgeführt sehen will!«
Der Neffe wandte sich mit einem Achselzucken des Unwillens ab und warf sich wieder in seinen Sessel, ohne ein Wort zu entgegnen.
»Darf ich fragen, welches die Entschlüsse sind, welche meine gnädige Tante, wie Sie eben andeuteten, für meine Zukunft gefaßt hat?« bemerkte er dann mit großer Bitterkeit.
»Es ist kein Grund da, sie dir vorzuenthalten«, versetzte die Dame. »Lactantius,« wandte sie sich an diesen, »es wird gut sein, wenn du dich in dein Schlafzimmer begibst. Nach deinem Anfall von vorhin haben deine aufgeregten Nerven der Ruhe nötig. Begib dich zu Bett.«
Lactantius von Averdonk nahm schweigend wie ein wohlerzogener Knabe, den man zum Zimmer hinausschickt, einen Leuchter von einem Spiegeltisch und zündete ihn an der Schirmlampe seiner gestrengen Gebieterin an. Dann murmelte er ein demütiges »Gute Nacht« zwischen den Zähnen und verschwand durch eine Nebentür.
»Ich meine,« hub, nachdem sich die Tür hinter dem abziehenden Gatten geschlossen hatte, die gestrenge Dame wieder an, »deine Erziehung könnten wir, nachdem du dich mehrere Jahre auf den Universitäten und nun noch zwei auf Reisen umhergetrieben hast, so ziemlich als vollendet betrachten. Über die Früchte dieser Erziehung will ich nicht reden, obwohl sich manches darüber sagen ließe; deine lange Abwesenheit von hier, wo noch die gute alte Zucht und Sitte herrscht, hat wenigstens nicht dazu beigetragen, dich vernünftiger und einsichtiger zu machen. Aber das gehört nicht gerade jetzt zur Sache. Zur Sache gehört, daß es jetzt Zeit ist, dich zu vermählen, Zeit, daß du dir eine Häuslichkeit schaffst, und daß du dich in den Stand setzest, an der Verwaltung unserer Güter teilzunehmen, die dir nach meinem Tode, wenn du dir meine Zufriedenheit erhältst, zufallen sollen.«
»Das heißt, ich soll Hedwig von Wrechten heiraten und mit ihr Amelsborn beziehen, um es zu verwalten.«
»Das heißt es!«
»Meine teuerste gnädige Tante!« sagte Franz von Ardey ruhig, »ich bin von Herzen gern bereit, in dem tristen alten Kastell zu Amelsborn zu wohnen und es Ihnen auf Probe zu verwalten; ich würde es tun, wie nur der gewissenhafteste Rentmeister es kann... es wäre mir jedoch lieber, unendlich lieber, wenn ich es allein beziehen könnte, ohne Hedwig Wrechten mitnehmen zu müssen!« Dabei stieß der junge Mann einen tiefen Seufzer aus und blickte, die Arme verschränkend, äußerst melancholisch zu Boden.
»Daraus wird nichts,« sagte die Tante sehr bestimmt, »der Aufenthalt –« Sie unterbrach sich, denn draußen auf dem Korridor wurden Schritte laut, und nachdem die Tür sich geöffnet, trat Baptist hinter dem verdeckenden Schirm hervor.
»Habt ihr ihn gefunden? Habt ihr seine Spuren?« rief ihm Gebharde von Averdonk mit leidenschaftlichem Eifer zu, indem sie aufsprang und ihrem Diener zwei Schritte entgegenging.
Baptist zuckte die Achseln: »Ihn nicht – Spuren wohl, gnädige Frau! Er ist über die Gartenmauer entkommen.«
»Die Pest über ihn!« sagte die Dame, indem ein Blick wilden Zornes aus ihren Augen flammte. »Hat der Bursche denn Flügel?!«
»Die hat er nicht gebraucht, er hat eine Leiter im Garten gefunden und ist damit an einer Seite hinauf-, an der andern bequem wieder hinuntergestiegen.«
»Eine Leiter? So wird der Andres, der nachlässige Schlingel, sie draußen haben stehen lassen. Er läßt immer die Gartengerätschaften und was er am Tage braucht, über Nacht im Garten umherliegen; kommt es noch einmal vor, so soll er weggejagt werden. Hat man den Menschen verfolgt?«
»Der Jäger und der Andres sind ihm mit den Hunden in den Wald nach. Aber sie werden ihn schwerlich drin finden. Es ist eine Nacht, so dunkel ...«
»Nun ja, ihr wißt euere Dummheit und Faulheit immer zu entschuldigen. Geh!«
Baptist wandte sich, und während er abging, sagte er in mürrischem Tone: »Wir haben getan, was wir gekonnt haben!« und dabei schnitt sein häßliches Gesicht mit den hängenden Mundwinkeln eine höchst respektwidrige höhnische Fratze. Franz vernahm seine Erwiderung sehr wohl, Tante Gebharde schien sie völlig zu überhören; sie stützte den Kopf auf die Hand und schien ganz mit der Nachricht beschäftigt, welche Baptist ihr eben gebracht hatte.
»Sie wollten mir sagen, weshalb ich nicht allein auf Amelsborn wohnen darf,« nahm der junge Mann nach einer Weile das abgebrochene Gespräch wieder auf – »während ich doch unendlich lieber allein dort wäre als mit all den Ballkleidern, den Kapricen und den Hofdamenerfahrungen Hedwig Wrechtens. In der Tat, meine gnädigste Tante, Hedwig hat mir viel zu lange Zeit am Hofe des tollen Philipp gelebt, als daß ich je eine wünschenswerte Gattin darin sehen könnte, wenn ich überhaupt daran dächte, zu heiraten.«
»Das sind deine Vorurteile, an die ich mich nicht kehren kann. Du weißt auch lange genug recht wohl, daß du Hedwig heiraten wirst, um dich mit dem Gedanken daran vertraut gemacht zu haben. Es ist unnütz, weiter davon zu reden. Und weshalb du nicht allein in Amelsborn wohnen sollst? Weil es nicht gut ist für dich!«
Der junge Mann schwieg, in seinen Zügen den unverkennbaren Ausdruck eines tiefen zornigen Verdrusses.
»Weshalb«, begann er nach einer Pause wieder, »haben СКАЧАТЬ