Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Ja, Marie,« rief Franz, die Hände ballend und aufspringend, leidenschaftlich aus, »ja, das will ich; mit allen diesen bösen Mächten, mit diesen verhärteten Herzen, diesen Seelen, die der Dämon der ruchlosesten Selbstsucht treibt, will ich kämpfen. Trotz wider Trotz und Härte wider Härte. Bleiben uns nicht Wege zur Rettung? Ich will dich zu deinem Vater begleiten. Wir werden ein Mittel ausfindig machen, dich zu verbergen. Wir werden diesen Studenten dort finden, dem ich auf deine Bitte den Weg zur Flucht wies. Es waltet ein Geheimnis über den Beziehungen meiner Tante zu ihm; weißt du, welche Macht es uns verleihen wird, wenn wir uns dieses Geheimnisses bemächtigen? Es liegt ein Dunkel über der Vergangenheit meiner Tante, das ich nie habe ergründen können; es muß eine Geschichte voll Leidenschaft und vielleicht auch Schuld und strafbarer Verirrung sein. Wer weiß es, ob nicht dieser fremde Mensch, den ich zu deinem Vater gewiesen habe, den Faden dazu in der Hand hält? Es ist zwar nichts, was mich berechtigt, es zu glauben; und doch ist es möglich.«
Aber auf das junge Mädchen schienen seine Worte keinen ihre Trauer lindernden Eindruck zu machen.
Laß mich büßen,« sagte Marie nach einer Pause, »büßen, daß ich töricht war. Daß ich meine Augen verschloß wider das, was sie sehen mußten und nicht sehen wollten. Daß ich hörte, was du mir sagtest, und meinem Herzen nicht gebot, als es begann, in einer wahnsinnigen unglücklichen Leidenschaft zu schlagen. Es ist zu spät; ich kann es mir nicht aus dem Busen reißen; aber vielleicht kann ich es ersticken nach und nach; vielleicht besiegen es meine Vorsätze; vielleicht auch bricht mein Herz darüber, und darum will ich zu Gott bitten!«
»Marie,« fuhr hier Franz von Ardey fast zornig auf, »du brichst mir das Herz durch deine Reden; du bist feig, Marie; du bist kleinmütig; du betrachtest mich wie einen schmachvollen Menschen, der seine Schwüre vergessen und treulos fortwerfen kann, was einst sein Höchstes und Heiligstes war. Du hängst selbstsüchtig deinem Kummer nach, und an meinen denkst du nicht ...«
In diesem Augenblick wurde das Zwiegespräch der beiden Liebenden durch einen Ausruf der Frau Eckenscheid unterbrochen. Die würdige alte Dame hatte ihre Behauptung, daß sie es verstehe, bescheiden still zu sitzen, aufs glänzendste gerechtfertigt. Sie war nämlich, wenn es anders nicht die barste Verstellung und Heimtücke war, was jedoch bei einer so harmlosen Seele nicht im entferntesten wahrscheinlich, über ihrem großen wollenen Wams eingenickt, und in ihrem Schlummer hatte sie allerhand Töne gemurmelt und gegurgelt, die man mit dem nächtlichen Raunen und Gackern bekannter Wasservögel, wenn sie schlummern, hätte vergleichen können. In diesem Augenblicke aber wachte sie auf und rieb sich die Augen, und dann rief sie verwundert aus:
»Aber, Baron Franz, Sie bringen ja das arme Kind, die Marie, zum Weinen! Sie machen ihr das Herz schwer, Baron Franz, und das sollen Sie nicht, denn das leide ich nicht, und jetzt weise ich Ihnen, mit allem Respekt zu sagen, die Tür, daß Sie sich schlafen legen, und die Marie auch, die es nötig hat, von wegen der Reise morgen, wo noch so viel zu tun ist, und die Kragen und Röcke noch nicht einmal gebügelt sind, und es alleweile elf Uhr ist ...«
»Ich gehe schon, ich gehe schon, Frau Eckenscheid«, unterbrach Franz von Ardey die Springflut von Worten, welche ihn bedrohte; und nachdem er Marien die Hand gedrückt und nachdem Marie zu ihm aufgeblickt mit einem Blick voll unbeschreiblicher Innigkeit und Trauer, verließ er rasch das Zimmer.
Achtes Kapitel
Der Vogt zu Elsen und seine Häuslichkeit
Hubert Bender, der entflohene Student, war unterdes, so rasch ihm seine Kräfte es erlaubten, in den Bergwald hinaufgestiegen. Die Finsternis war so vollständig, daß sie die unbescheidensten Anforderungen, welche ein romantisches Gemüt an eine poetische Waldesnacht machen kann, zu befriedigen imstande war. Man sah auf vier Schritt Entfernung die Stämme der Tannen und Buchen nicht mehr. Man sah überhaupt nichts, gar nichts, mit Ausnahme der Umrisse der Wipfel, die, wenn Hubert in die Höhe blickte, sich allerdings am Nachthimmel abzeichneten, und mit Ausnahme fürchterlich schwarzer, gigantenhaft über denselben Nachthimmel daherziehender Wolken, die mit einer entsetzlichen Eile einander jagten.
Lebende Geschöpfe schien der Wald nicht zu beherbergen. Es waren weder Wölfe, noch Räuber, noch Bären darin – diese Beruhigung konnte unser Flüchtling sich geben. Nur ein paarmal schien etwas wie ein Wild vor ihm aus dem Gestrüpp aufzubrechen und sich angstvoll zu flüchten ... das arme Tier lief offenbar ebenso erschrocken vor dem Studenten davon, wie dieser vor Frau Gebharde von Averdonk davonlief. Und dann war eine Eule da, die ganz entsetzlich hohle, dumpfe und unangenehme Interpellationen an den einsamen Wanderer richtete und immerzu von Wipfel zu Wipfel vor ihm herflog; Hubert glaubte darin seine alte Freundin zu entdecken, die ihn vor dem Fenster seiner Krankenstube so angenehm unterhalten hatte – es mußte dieselbe sein, denn unmöglich konnte es noch ein zweites Wesen in der Welt geben, das imstande, so fürchterliche Töne auszustoßen. Es war, als sei sie die Hüterin des Waldes und wolle den Studenten durchaus nicht weiter hineinlassen, sondern lieber alle Toten aus ihren Gräbern aufschreien, als zugeben, daß solch ein Menschenkind in ihren stillen Forst dringe.
Der Weg durch den Wald – wenn von Weg die Rede sein konnte, wo Hubert nur immer aufs Geratewohl vorwärts eilte, bald durch Hochwald, bald durch Unterholz, doch zumeist unter hohen Stämmen her – der Weg also führte anfangs eine gute Strecke aufwärts; dann in ebener Richtung fort; dann bergab.
Hubert überfiel, als er so weit gekommen war, das Gefühl einer fürchterlichen Ermüdung. Es ging nämlich bergab über steile Hänge, über Geröll und Geschiebe, das unter seinen Füßen wegkollerte – mehr als einmal fiel er rückwärts nieder und rutschte eine Strecke hinab; mehr als einmal geriet er in eine unentwirrbare Wildnis von Geisblatt- und Brombeerranken und anderm Gestrüpp; und dann waren da scharf zutage tretende Felskanten; feuchte moosige Stellen, wo der Fuß wie in einen Morast einsank. Mit einem Wort, es war eigentlich eine völlige Unmöglichkeit, den Berg hinunterzukommen. Niemand wäre auch hinuntergekommen, der nicht so gewichtige Gründe, vorwärts zu eilen, gehabt hätte wie unser armer flüchtiger Student.
Zum Glücke waren an dieser Seite des Berges die Bäume viel dünner und sparsamer gestellt als vorher jenseits; sie wechselten ab mit niederm Holzaufschlag, und deshalb war die Dunkelheit nicht von so ganz verzweifelter, den Aberglauben eines Türken beschämender Schwärze; Hubert sah jetzt wenigstens so weit, wie sein Arm reichte, ja wohl einige Schuh darüber hinaus; und so erblickte er endlich einen breiten hohen Gegenstand, der für einen Baum zu breit, für ein Haus zu schmal und für einen Haufen aufgeklaftertes Holz zu hoch war. Indem er ihm so nahe trat, um tastend die Hand danach ausstrecken zu können, überzeugte er sich, daß er ein kleines Mauerwerk vor sich habe, welches hier einsam auf dem Bergabhange stand, Hubert nahm an, daß es etwas wie ein Heiligenhaus, ein Kapellchen sei, und als er um die Ecke bog, sah er wirklich eine runde Bogenöffnung vor sich: er trat darunter und befand sich in einem geschützten, gedeckten Raume; mit dem Fuße stieß er an eine Kniebank, todmüde setzte er sich darauf, wickelte sich in den ihm geschenkten Mantel und lehnte sich mit dem Rücken an die nächste Wand. Es war in СКАЧАТЬ