Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Hubert antwortete nicht; er trat an den Tisch zurück und riß die lange grüne Tuchdecke, welche darauf lag, herab, während Marie rasch genug herbeisprang, um einen der beiden brennenden Leuchter zu retten, daß er nicht fortgeschleudert werde, wie die Trümmer des Kronleuchters fortgeschleudert wurden, die auf der Decke lagen. Dann eilte Hubert ans Fenster zurück, wo er in dem geschlossen gebliebenen Flügel eine Scheibe einstieß, sodaß er den Zipfel der Decke an diesen Flügel festknoten konnte.
Er schwang sich ins Fenster.
»Mein Gott, mein Gott, was tun Sie?« rief Marie Stahl aus. »Sie werden umkommen ... nehmen Sie sich in acht ... nehmen Sie sich Zeit... ich werde die Tür schließen«, und zugleich flog sie der Flügeltür zu, um den Nachtriegel vorzuschieben.
Hubert hing bereits mit seinem ganzen Körper frei in der Luft. Er ließ sich an der Decke niedergleiten; sie war lang genug, daß er, ans Ende gekommen, immerhin sich hätte fallen lassen können, ohne sicher zu sein, den Hals zu brechen. Daß seine Füße jedoch in diesem Augenblick die Latten eines Spaliers berührten, war desto beruhigender und erfreulicher für ihn. Er konnte daran niederkletternd den Boden erreichen, ohne sich irgend verletzt zu haben. Die Folgen seiner Flucht trafen bloß einen Spalierbaum, dessen Äste er zerbrach. Als er sicher auf festem Boden stand, blickte er empor. Er sah, wie Marie die Decke wieder hereinzog, das Fenster schloß und dann die Vorhänge dicht vorzog.
»Das schöne Geschöpf hat Geistesgegenwart«, sagte er sich dabei. »Sie will mir den Rücken decken; vielleicht ist sie auch so klug, die Verfolger auf eine unrichtige Fährte zu schicken. Desto besser. Aber nun – wohin?«
Die Frage war allerdings nicht leicht zu beantworten, in einer Nacht, so dunkel wie diese.
Hubert entfernte sich fürs erste mit langen Schritten durch den nächsten Gartenpfad, den er auffand, von dem Schlosse, das bald in breiter umfangreicher Masse hinter ihm lag. Als er ein paar hundert Schritte weit gekommen war, sah er plötzlich eine hohe Mauer vor sich. Die Mauer wollte nicht aufhören; umsonst schaute Hubert ängstlich zu den Obstbäumen auf, welche ihr zunächst standen und deren Kronen sich am Nachthimmel abzeichneten; aber es war keiner da, der einen starken Ast so über die Mauer gestreckt hätte, daß er dem Studenten eine Möglichkeit geboten, den Mauerrand zu erreichen. Und doch wurde es mit jeder Minute dringlicher, da hinüberzukommen.
Sicherlich suchte man Hubert Bender jetzt noch im Gebäude selbst – es irrten Lichter hastig an den Fenstern vorüber, in dem Gebäudeflügel, an dessen Ende seine Krankenstube lag. Wenn man jedoch von dem vergeblichen Suchen, da oben abließ, wenn man anfing, die Umgebung des Schlosses zu durchsuchen und dazu die Hunde entfesselte – Hubert hörte jetzt schon vom Hofe und von den Vordergebäuden her Hunde anschlagen und es klang ihm durch Mark und Bein ... er hatte vor diesen Bestien einen ganz eigentümlichen Respekt bekommen – dann war es um seine Freiheit geschehen.
Schon zum zweiten Male war er beinahe die ganze Länge der Mauer entlang gelaufen; er hatte nichts gefunden, als dicht am Schloßgebäude eine schwere Tür von Eichenbohlen, an welcher er bereits beim eisten Rundlauf an dieser verzweifelten Mauer entlang gerüttelt hatte. Sie schien den einzigen Ausgang aus dem Garten zu bilden, mit Ausnahme einer nicht weit davon entfernten, in das Gebäude selbst führenden Glastür, durch welche Hubert jedoch nicht denken konnte zu dringen. In der Nähe dieser Glastür glaubte er jetzt einen dunkeln Gegenstand wahrzunehmen, der mit einem auf der Lauer stehenden menschlichen Wesen eine höchst beunruhigende Ähnlichkeit hatte. Und in der Tat, er hatte sich nicht getäuscht ... Die Gestalt bewegte sich, sie mußte ihn ebenfalls wahrgenommen haben, denn sie kam einige Schritte näher auf ihn zu.
Hubert nahm die Flucht. Er lief davon, er lief so schnell, wie seine Glieder ihn tragen wollten. Leider waren diese Glieder geschwächt von der Krankheit; leider waren sie bald ermattet, um so mehr, als für ohnehin zusammenbrechende Knie der Lauf über weiche, vom Regen durchtränkte Gartenbeete eine höchst lähmende Aufgabe ist. Er hörte mit Schrecken, wie der Verfolger ihm immer näher kam.
»Um Gottes willen,« rief er halblaut hinter ihm, »stehen Sie doch! Ich will Ihnen ja helfen ... stehen Sie doch und vertrauen mir!«
»Wenn das wahr ist, warum sagten Sie es nicht gleich?« versetzte Hubert, der jetzt, an der Stimme zumeist, den jungen Mann erkannte, welcher vorhin mit Frau von Averdonk zugleich in das Zimmer des Freiherrn getreten war.
»Weil ich erst wissen wollte, ob es nicht einer von unsern Leuten sei, der nach Ihnen spähe. Ich habe keine Lust, mich zu verraten, daß ich mich hierhin geschlichen habe, um Ihnen mit einer Leiter über die Mauer zu helfen.
»Mit einer Leiter?«
»Sie steht dort hinten in der Ecke. Kommen Sie, aber machen Sie rasch, ich höre Stimmen, man kommt ...«
In der Tat wurden jetzt jenseit der Mauer, in der Gegend eben jenes Tores Stimmen laut, dazu Geheul und Gekläff von Hunden, und ein Lichtschimmer fiel über die Mauer herüber.
Der Fremde zog Hubert hastig nach dem nächsten Winkel der Gartenmauer fort. »Hier habe ich die Leiter aufgestellt,« sagte er, als sie dort angekommen waren. »Aber warten Sie noch, nehmen Sie dies erst.« Und mit diesen Worten warf der Fremde Hubert einen leichten Radmantel, den er trug, um die Schultern, setzte ihm seine eigene Jagdmütze auf und indem er flüsterte: »In der Tasche des Mantels ist etwas Geld ... flüchten Sie zum Vogt von Elsen, verbergen Sie sich bei dem, bis Sie weiter können, vertrauen Sie sich ihm an«, unterstützte er den Studenten, bis dieser den Mauerrand erklommen hatte; dann schob er ihm die Leiter nach, die, oben von Hubert gefaßt, rasch von ihm nach der äußern Seite hinabgelassen wurde.
»Wohin, sagten Sie, soll ich gehen?« flüsterte Hubert jetzt von oben herunter.
»Zum Vogt von Elsen, Mariens Vater; sagen Sie ihm, das junge Mädchen habe Sie an ihn gewiesen!« antwortete der Fremde und entfernte sich rasch.
Wenn er bei seinem Rettungswerke nicht ertappt sein wollte, so war es freilich hohe Zeit, daß er sich aus dem Staube machte. Durch das Gartentor waren eben mehrere dunkle, von dem Schein einer Laterne beleuchtete Gestalten eingedrungen, und eine Anzahl wüster Rüden stürzte sich in toller Aufregung daher.
Hubert dankte seinem Schöpfer, daß er geborgen sei. Er war die Leiter jenseits hinabgestiegen, er stand am Fuße der Mauer, und jetzt lag zwar eine dunkle Tiefe vor ihm, eine Art Abgrund; als er aber ohne sich lange zu besinnen, diesen Abgrund hinunterstieg, nahm er wahr, daß nichts Gefährliches und Schreckliches an demselben sei; wenn auch der Boden, aus losem Geschiebe und Steingeröll bestehend, unter seinen Füßen wegkollerte, so war doch Gestrüpp und Holzaufschlag genug da, um sich daran festhalten zu können, und so kam der flüchtige Student wohlbehalten in der Tiefe an, übersprang hier einen schmalen Bach, einen höchst bescheidenen Wasserfaden, in welchem er auf keinen Fall hätte ertrinken können, wenn er auch das Unglück gehabt hätte, mitten hineinzufallen, und klomm an der andern Seite eine von Hochwald bedeckte Hügelwand empor.
Siebentes Kapitel
Frau Gebharde und ihr Neffe
Der Retter Huberts trat nach einer Weile, wie von einer ganz andern Seite des Gartens herkommend, den heraneilenden Leuten mit den Hunden und der Laterne entgegen.
»Ihr werdet nichts von ihm entdecken,« sagte er zu den Leuten, »im Garten ist er nicht, ich habe überall gesucht – ist das Baptist, der da die Laterne trägt? Leuchte Er mir, Baptist, СКАЧАТЬ