Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Es war eine seltsame Erscheinung, welche der Freiherr in diesem Augenblicke darbot. Sein Gesicht flammte, seine Augen glühten rotunterlaufen, sein Haar sträubte sich in dünnen weißen Strängen um den entblößten Schädel, von dem die hohe Zipfelmütze gefallen war. So stand er wie völlig bezwungen und bezähmt da – aber nicht lange; er schien sich ermannen zu wollen, er erhob die Hand geballt seinem Weibe gegenüber und dann beide Hände und schrie, ihr um einen Schritt entgegentretend: »Ich bin in Wut, Gebharde! Ich bin in Wut ... Wut ... Wut!«
»Und du glaubst, du könntest mir Furcht einjagen mit dem, was du deine Wut nennst? Du glaubst, ich würde fliehen vor deiner ›Wut‹!« erwiderte die Frau mit einer unsäglichen Verachtung und einer verzweiflungsvollen Kaltblütigkeit. Und dabei schritt sie, ohne ihm weitere Beachtung zu schenken, auf den Tisch vor dem Sofa zu, stützte ihre Hand darauf und blickte mit drohendem Stirnrunzeln auf Hubert, der als stummer Zeuge dieser Szene mit untergeschlagenen Armen zur Seite stand. »Wie kommt dieser Mensch hierhin?« sagte sie, und Hubert glaubte annehmen zu dürfen, daß die gleichmütige Ruhe, womit sie diese Frage stellte, etwas Erheucheltes habe; er bemerkte, daß ihre Stimme ein klein wenig zitterte, ihre Farbe um ein kaum Merkliches bleicher wurde, als sie ihn erblickte und fragte.
»Das wirst du dir am besten selbst beantworten, wie er hierhin kommt«, schrie der Freiherr fast freudig auf, als ob er durch diese Frage wieder einen neuen Strom Wassers auf das Mühlwerk seiner »Wut« bekommen, als ob er es nun plötzlich wieder tosend und brausend von neuem in Gang setzen könne. »Warum hast du diesen Menschen verwunden, überwältigen und gefangen hierher schleppen lassen ... Warum verfolgst du ihn und willst ihn in die Fremde, ins Elend hinausjagen? Warum belügst du mich und gibst an, du habest ihn ...«
Frau Gebharde wandte sich zu ihm. Sie legte ihre Hand um seinen Unterarm, und, wie es schien, mit festem, wie eisernem Griff. »Lactantius!« sagte sie mit ihrer schneidenden Ruhe.
»Was willst du mir?« entgegnete der Freiherr, indem er einen schwachen Versuch machte, sie abzuschütteln.
»Lactantius, es scheint, der Augenblick, den ich lange gefürchtet habe, ist eingetroffen. Du bist wahnsinnig geworden. Ich muß dich für geisteskrank erklären lassen und für deine Unterbringung in einer Anstalt, wo man die Narren zu bändigen weiß, Sorge tragen. Du weißt, daß ich leider seit langem habe vorbereitet sein müssen auf das Eintreten eines solchen Ereignisses ...«
Statt über diese Worte in neue Entrüstung zu geraten, verlor der Freiherr bei ihnen plötzlich seine hochrote Farbe; er ließ seine Arme schlaff niedersinken und sah mit Blicken, die anfingen, nur noch Schrecken und Furcht auszudrücken, seine Gattin an.
»Dein Verstand hat offenbar gelitten«, fuhr diese fort. »Du begreifst die einfachsten Dinge nicht mehr. Gestehe es, in deiner Seele verwirrt sich das Klarste und Offenbarste, und du vergissest, was du noch am vorigen Tage hörtest, oder läßt es aufs abenteuerlichste mit deinen kranken Träumereien sich vermengen.«
»Nein, nein!« rief Lactantius entsetzt dazwischen, »ich begreife alles ...«
»Tu vergaßest, daß ich diesen Menschen dort auf meiner letzten Reise verwundet, bewußtlos, im heftigsten Fieber unter einer Hecke am Wege liegend fand und ihn mit mir nahm, aus bloßer Barmherzigkeit, um ihn zu pflegen, daß ich ihn abgesperrt halten ließ, weil seine Krankheit eine ansteckende sein konnte ...«
»O nein, nein, ich weiß es, ich weiß es, Gebharde«, rief der Reichsfreiherr, sich matt auf einen Stuhl werfend und dann flehentlich seine Hände erhebend, aus.
»Du vergaßest aber, daß ich deshalb verboten hatte, sich ihm zu nähern und sich um ihn zu kümmern ... er ist hier ... du mußt ihn aufgesucht haben!«
»Ja, das vergaß ich allerdings, Gebharde; ich führte ihn hierher, um einen Spielpartner an ihm zu haben ...«
»Ist Marie Stahl nicht bei dir? ...«
»Marie Stahl ... ja, aber du willst sie von hier fortsenden ... willst sie wegschicken, damit ...«
Frau Gebharde fiel ihm ins Wort. »Beginnt dein Wahnsinn wieder?«
»Er sagt's«, wagte Lactantius schüchtern mit einer Kopfbewegung nach Hubert hin einzuwerfen.
»Also ein Wort dieses auf der Straße aufgelesenen Menschen, der die Phantasien seiner Fieberträume hier für Wahrheit auszugeben scheint, reicht hin, dich glauben zu lassen ...«
»Nichts, nichts ...«, rief der Reichsfreiherr dazwischen, »du hast recht, Gebharde, er hat phantasiert und geträumt, du hast recht. Vergib mir!«
»Dir will ich vergeben,« versetzte Frau von Averdonk, »aber nicht denen, die dich in diesen Zustand versetzt haben, die dir Dinge vorschwatzten, welche bei dir zu so verhängnisvollen Anfällen führen ... Marie Stahl!« wandte sie sich an das junge Mädchen, »ich weiß nicht, welchen Anteil du daran hattest, wieviel du tatest, diese abscheuliche Szene hervorzurufen, aber damit ich sicher bin, daß so etwas nicht wiederkehret, verlässest du morgen mein Haus!«
»Tante ... ich bitte Sie, Tante ...« fiel hier entsetzt der junge Mann ein, der sich während des Vorigen Marien genähert und, wie nur Hubert bemerkt, dieser rasch ein paar Worte zugeflüstert hatte.
Die zürnende Frau wandte sich zu ihm; sie maß ihn von oben bis unten mit einem stolzen und kalten Blicke, der die volle Gewalt zu haben schien, jedes weitere Wort auf seiner Lippe ersterben zu machen. Dann richtete sie ihr drohendes, gebieterisches Antlitz Hubert zu.
»Er«, sagte sie, »wird sich sofort dahin zurückbegeben, wohin ich Ihn habe weisen lassen. Für die Lügen, welche Er hier vorgebracht zu haben scheint, werde ich Ihn strafen zu lassen wissen ...«
»Lügen ... strafen?« rief jetzt Hubert mit von Zorn flammendem Gesichte aus und trat der hochmütigen Frau kühn einen Schritt entgegen.
Diese aber wandte ihm den Rücken, und mit den Worten an ihren Neffen: »Franz, rufe augenblicklich Baptist und den Jäger herbei ... augenblicklich ... du, Lactantius, folgst mir!« rauschte sie stolz und heftig zur Tür hinaus. Der junge Mann folgte ihr, um ihren Befehl zu erfüllen, der lange Freiherr aber schritt gebeugt und wie gebrochen hinter ihr drein.
Nur noch Marie Stahl und Hubert standen im Zimmer.
»Dem ist die Komödie, die er aufführen wollte, schlecht bekommen!« rief Hubert mit einem bittern Lächeln des Hohns und der Verachtung aus, als der Freiherr verschwand. »Adieu, Demoiselle Marie – ich hoffe, es ist dies erste nicht das letzte Mal, daß wir uns sehen – ich wäre glücklich, wenn ich denken dürfte, wir sind Freunde von nun an, nach dieser Szene, die wir zusammen erlebten! Daß meine Warnung für Sie nur zu begründet war, haben Sie jetzt gesehen. Adieu, Adieu!« »Wohin wollen Sie?« fragte zitternd vor Aufregung das junge Mädchen.
»Irgendwohin, wo ich vor der Rachsucht dieses gereizten Weibes sicher bin – zu irgendeiner Tür oder einem Fenster hinaus ...«
Hubert eilte bei diesen Worten zum nächsten Fenster und öffnete es hastig, um einen Blick hinauszuwerfen; Regen und Nachtwind schlugen ihm entgegen; dunkle Wolkenmassen, die über den Mond fortgepeitscht wurden, verdoppelten die Schatten der Nacht; es war weiter nichts zu erkennen, als daß unter dem Fenster sich ein Garten befinde. »Läuft nicht ein Spalier an der Wand hinauf, mir scheint es!« СКАЧАТЬ