Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking страница 126

Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

isbn:

СКАЧАТЬ fing mich, wie einen flüchtigen Neger, mit einem Bluthund ein. Dann schleppte man mich in einem geschlossenen Wagen hierher; mir gegenüber saß in diesem Wagen dieselbe Dame Gebharde ... aber ich beantworte Ihnen statt einer Frage ein halbes Dutzend, das ist gegen den Vertrag.«

      »Und mir sagte sie, daß sie in Köln ihre kranke Cousine, die Stiftsdame im Kapitol, besuchen wolle, und daß sie auf der Rückreise diesen Menschen krank und wund im Graben am Wege gefunden habe!«

      Diese Worte sprach der Reichsfreiherr nicht laut aus, er murmelte sie vor sich hin, während er mit seinen großen Kirchenfensteraugen den Studenten anstarrte; der Student aber schwieg, da er sah, daß der Alte, in Gedanken versunken, ihm nicht mehr zuhörte.

      Der Reichsfreiherr nahm nach einer Weile die Karten wieder auf und sagte: »Spielen wir jetzt weiter.« »Ja, fahren wir fort; hoffentlich kommt die Reihe zu fragen jetzt an mich.«

      Das Spiel begann wieder; der Freiherr wurde wieder vom Glück begünstigt... Hubert Bender stieg der Verdacht auf, daß der Alte ihn betrüge, so auffallend war dessen Glück ... am Ende hatte Lactantius den Stich.

      »Ich frage«, sagte er.

      »Und ich muß antworten«, versetzte Hubert.

      »Wer sind Sie eigentlich?«

      »Wer ich bin? Ein Student der Medizin im dritten Semester; rite immatrikuliert auf der Hochschule zu Köln.«

      »So, so; aber damit ist meine Frage nicht erschöpfend beantwortet; wie heißen Sie, woher sind Sie?«

      »Sie sollen vollständige Auskunft haben. Ich bin der Sohn eines Chirurgus, der in einem großen Dorfe, in einer menschenarmen Gebirgsgegend an dem obern Teile der Ruhr wohnte. Ich muß wenigstens annehmen, daß ich sein Sohn bin, obwohl mir nie in seinem kleinen Hause eine Spur aufgestoßen ist, daß dieser brave und gutmütige Mann jemals etwas wie eine Frau besessen; neben welchen Umstand als zweiter Gegenstand nachdenklicher Überlegung für mich der tritt, daß der gute Gregorius, wie ihn unser Dorf nannte, mir niemals eigentlich väterliche Gefühle bewies, sondern mich wild und roh unter den barfüßigen Buben aufwachsen ließ. Ich will ihm nichts Übles nachreden; er war ein guter, weichherziger redlicher Mann, und vielleicht glaubte er, daß sein Beispiel hinreichen würde, mich zum Fleiße, zur Schonung meiner Beinkleider und zu allen übrigen Tugenden anzuleiten; aber gewiß ist, daß etwas strengere Aufsicht mir nicht geschadet haben würde. Als ich nun ein ziemlich wilder Taugenichts geworden, ließ mein Vater sich eines Tages verleiten, bei keiner dringendern Veranlassung als dem Beinbruch eines Bauern in Sturm und Regen stundenweit über die Berge zu gehen, um sich auf diese mühsame Weise von so weit her eine Erkältung zu holen, aus der bald eine tödliche Krankheit wurde, an welcher der arme Gregorius Todes verblich. So jung, kindisch und roh ich war, machte doch dieses Ereignis einen tiefen Eindruck auf mich; und zwar am meisten deshalb, weil einige wohlwollende Seelen sich fanden, die mir die eigentliche Bedeutung der Sache dahin aufklärten, daß der liebe Gregorius aus dem Grunde in den weiten Himmel gegangen, weil ich ihm in seinen engen vier Wänden zu viel Lärm gemacht und zu viel Ärger verursacht, als daß er es länger darin habe aushalten wollen. Sie können sich denken, welche beruhigende Wirkung dies auf die Phantasie eines, wenn auch lebhaften, doch gutmütigen Knaben ausüben mußte; aber gottlob! diese Wirkung ist mir doch eigentlich zum Heile ausgeschlagen, denn ich bin von jenem Zeitpunkte an ein im ganzen ziemlich solider Mensch geworden.«

      »Und was geschah mit Ihnen?« fragte der Reichsfreiherr.

      »Der Pfarrer des Dorfes nahm mich zu sich. Er behauptete, ich könne, wenn man das Häuslein meines Vaters verkaufe, von dem Ertrage studieren, was wegen meines ›offenen Kopfes‹ in hohem Grade wünschenswert sei; er ließ sich obendrein Beiträge von seinen wohlhabendern Pfarrkindern versprechen und nahm mich zu sich. Man verkaufte also das Haus, übergab dem geistlichen Herrn das Geld, und der Pfarrherr, nachdem er mich ein paar Jahre selbst unterrichtet, sandte mich gen Köln auf das Montaner Gymnasium. Von diesem bin ich mit erträglichen Zeugnissen auf die Universität übergegangen.«

      »Und Medizin studieren Sie?«

      »Die Disziplinen der edlen Heilkunst.«

      »Haben Sie denn gar keine Verwandten?«

      »Nein.«

      »Gar keine?« wiederholte der Freiherr und sah den Studenten dabei an, als ob er sich im stillen mit dem Problem beschäftige, wie ein Mensch gar keine Verwandten haben könne. Bald darauf aber zeigten seine Mienen, daß er es aufgegeben, eine so schwierige Frage zu lösen; er stand auf, und seine lange Gestalt wandelte dem Ofen zu, an den er sich stellte, wie um den Rücken zu wärmen, die Arme auf der Brust verschlungen, das Haupt mit der hohen Zipfelmütze niedergesenkt, als ob es sich unter der Last eines neuen und sehr bedrückenden Gedankens beuge.

      »Wenn ich Verwandte besitze,« sagte Hubert jetzt, dem daran gelegen war, den langen Reichsfreiherrn festzuhalten, »dann müssen sie wenigstens sehr geringe Sorge um mich haben. Es hat sich nie einer bei mir gemeldet! Ich habe unter meinen Sachen daheim ein kleines goldenes Kreuz, auf dessen Rückseite der Name Walrave eingraviert steht. Es wird vielleicht der Hausname meiner Mutter sein. Ich weiß es jedoch nicht. Ich habe einen Menschen, der alle Familiennamen und Zusammenhänge im Lande kennen soll, einen Maler in Köln, gebeten, mir Auskunft darüber zu verschaffen, was Walrave sei. Er hat mir auch versprochen, danach zu forschen. Aber bis heute habe ich nichts weiter von ihm gehört. ›Es gab Edelleute,‹ sagte er, ›die so hießen‹. Mit ihnen habe ich schwerlich etwas zu tun!«

      Der Freiherr Lactantius erhob sein sinnendes Haupt bei diesen Worten, als ob der Name Walrave ihn betroffen mache; er antwortete jedoch nicht.

      »Sie sind mir aber jetzt Revanche schuldig, Reichsfreiherrliche Gnaden«, hub der Student nach einer Weile wieder an.

      Der Freiherr schüttelte schwermütig den Kopf.

      »Morgen, morgen, mein Freund,« sagte er; »teilen Sie niemand mit, daß Sie mich gesehen haben. Morgen spielen wir weiter.«

      Damit trat er an Huberts Bett heran, ergriff seine Karten, nahm seinen Leuchter vom Nachttisch, und indem er ein Stück der alten Ledertapete, das lose an der Wand niederhing, aufhob, verschwand die lange Figur ganz in derselben lautlosen, gespenstischen Weise, wie sie gekommen war, und überließ Hubert Bender den aufregenden Gedanken, worein ihn diese Erscheinung und ihre Mitteilungen versetzen mußten.

      Sechstes Kapitel

       Worin dem Studenten Aussichten in die Zukunft eröffnet werden

       Inhaltsverzeichnis

      Am nächsten Morgen trat der liebenswürdige Krankenwärter Huberts mit einem besonders scharf ausgeprägten menschenfreundlichen Zug um seine verdrießlich hängenden Mundwinkel ein. Nachdem er das Frühstück auf den Nachttisch gestellt, setzte er sich auf den Stuhl, den während der Nacht der Reichsfreiherr Lactantius eingenommen hatte, und sagte:

      »Man ist endlich wieder bei Kräften, will mich bedünken?«

      Hubert Bender fühlte sich nicht versucht, durch eine bejahende Antwort den teilnehmenden Gefühlen Baptists eine kleine Freude zu machen. Er sah ihn schweigend an.

      »Daß man Ihn ruhig Seines Wegs heimgehen lasse, daran ist nicht zu denken«, fuhr jener fort. »Man hat Ihn zu nachtschlafender Zeit in einem fremden Hause umherschleichend betroffen. Was hat Er da anders beabsichtigt, als zu СКАЧАТЬ