Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ als ein erhabenes Weib im zerrissenen Gewande, so elend und herabgekommen, daß, wer es sieht, von Schauder und Mitleid ergriffen wird, wenn auch ein blendender Glanz von ihrem lorbeergekrönten Haupte ausgeht. In allen Kreisen wurde das Unhaltbare der Verfassung Deutschlands gefühlt und erkannt, und die Notwendigkeit der Reformation beschäftigte die Gebildeten; gelang sie nicht, so glaubte man den Zerfall und das Ende des Reiches vor Augen zu sehen. Auseinander fielen Kaisertum und Papsttum, die gemeinsam die Spitze des Reiches bilden sollten, auseinander fielen Kaiser und Reich, die, ursprünglich eins, nun als das monarchische Haupt und der Kreis der Fürsten sich feindlich oder wenigstens mit entgegengesetzten Interessen gegenüberstanden, auseinander fielen die Stände: Klerus, Adel, Städte und Bauern; ein bald schleichender, bald offener Krieg aller gegen alle war im Gange. Das Streben der Deutschen nach Unabhängigkeit hatte den Willen zur Gemeinsamkeit so überwuchert, daß nichts Ganzes bestehen konnte. Da erlebten die einzelnen, daß die erträumte Selbständigkeit, sowie sie erreicht war, Ohnmacht wurde, eine Erfahrung, die wohl erschütterte, ohne doch im allgemeinen Einsicht und Heilung zu bringen.

      Den klarsten, überzeugendsten Reformplan tat ein großer deutscher Denker, einer der größten seiner Zeit, Nikolaus von Cusa, in seiner Schrift De concordantia catholica im Jahre 1433 entworfen. In Cues an der Mosel war er geboren, ein Graf von Manderscheid, dessen Namen zwei stolze Ruinen in der Eifel verherrlichen, nahm den Knaben auf, der, man weiß nicht warum, das väterliche Haus verließ, und schickte ihn auf die berühmte Schule von Deventer zur Erziehung. Später studierte er die Rechte und Mathematik in Padova, dann in Heidelberg; der Zufall, daß er infolge eines Formfehlers seinen ersten Prozeß, den er in Mainz führte, verlor, soll die Ursache gewesen sein, daß er in den geistlichen Stand trat.

      Wie die meisten bedeutenden Geistlichen im Anfange des 15. Jahrhunderts hing Nikolaus von Cusa der Richtung an, die die durch ein Konzil vertretene Kirche über den Papst stellte. Er beklagte es, daß die Kirche zu einem römischen Patriarchat zusammengeschrumpft sei; einem allgemeinen Konzil, sagte er, müsse der Papst sich unterwerfen. Später kam er von diesen Ansichten ab; während er früher angenommen hatte, die Gewalt sei dem Papst von der Gesamtheit übertragen, sagte er nun, der Papst sei absolut und sein Prinzipat in der Kirche enthalten. Was jede demokratische Regierung erschwert, daß sich die Meinungen und Strebungen vieler vereinigen müssen, bevor man handeln kann, daß auch dann das Handeln nicht so schnell und straff vollzogen werden kann, wie es die Umstände manchmal erfordern, und es der menschlichen Ungeduld wünschbar erscheint, zeigte sich auf dem Konzil zu Basel und stimmte viele um: die Herrschaft der vielen erschien unbequemer und unleidlicher als die Herrschaft des einen. Als junger Mann jedoch glaubte Cusa, Einigkeit unter den Bischöfen würde leicht zu erreichen sein, und wollte die Autorität des Konzils von der Übereinstimmung aller abhängen lassen. Nur der allgemeinen Kirche, nicht dem römischen Bischof habe Christus den heiligen Geist und die Unfehlbarkeit verheißen. Auch das Kaisertum und die Rechte der Kurfürsten leitete er nicht vom Papst ab. Der Kaiser habe seine Macht durch die Wahl der Kurfürsten, die Kurfürsten hätten ihr Wahlrecht durch die gemeinsame Zustimmung der Reichsuntertanen. Erhaben über alle irdischen Mächte sei die Macht des christlichen Kaiserreichs, als ein Gottesreich stehe es ebenbürtig neben der Kirche. Seiner unvergleichlichen Macht halber heiße der Kaiser Dominus mundi, Schirmherr des orthodoxen Glaubens. So wenigstens sollte es sein; tatsächlich war die kaiserliche Macht verschlungen von den weltlichen und geistlichen Fürsten. In der Stärkung der kaiserlichen Zentralgewalt sah Cusa die Rettung des verderbten Reiches. Er ging zurück auf die blühenden Zeiten unter einem mächtigen Kaiser, die ihm gefestigter, vollendeter vorschwebten, als sie gewesen waren, die aber allerdings der herrschenden Anarchie als ein Vorbild majestätischer Ordnung gelten konnten. Damals scharten sich die Fürsten um den Kaiser und bildeten mit ihm zusammen das Reich, gaben mit ihm zusammen die Gesetze, die geachtet wurden, denen sich niemand, auch der Höchste nicht, entziehen konnte; ungehorsamen Fürsten nahm der Kaiser ihre Lehen. Fürsten, Grafen und Herren wußten, daß sie für ihre Tätigkeit verantwortlich waren; diese Abhängigkeit, durch die das Volk vor Gewalttat und Ungerechtigkeit geschützt war, ging verloren, als sich die Erblichkeit ausbildete und der hohe Adel nicht mehr zu fürchten brauchte, das Verliehene könne ihm genommen werden. Seit jeder unabhängig geworden war und ungehindert nur seinen Vorteil suchte, wurden die Gesetze nicht mehr geachtet; Cusa verglich sie Spinnweben, in denen sich nicht eine einzige Mücke mehr fängt. Der Gehorsam gegen die Gesetze, sagt er, müsse erzwungen werden können, und zwingen könne nur ein Mächtiger; dem Kaiser müsse ein Reichsheer zur Verfügung stehen, mit dem er das Reich nach außen verteidigen könne, das ihn im Innern gefürchtet mache. Schrecklich hatten die Hussitenkriege die Untauglichkeit der Reichsheeresverfassung offenbart. Die für die damalige Zeit, wo man Besteuerung als Zeichen der Knechtschaft ansah, heikele Frage des Aufbringens der Geldmittel zur Besoldung eines solchen Heeres löste Cusa durch den Vorschlag, sie aus den Zöllen zu ziehen, die vom Reich oder vom Kaiser den Fürsten verliehen seien. Nur auf ein ständiges Heer sich stützend könne der Kaiser wieder wie einst ein Erhalter der Freiheit, ein Schirm der Unterdrückten, ein Ahnder der Störungen des Friedens sein. Als verhängnisvollen Schaden bezeichnete Cusa die Zugeständnisse, die die Kaiser vor der Wahl den Kurfürsten zu machen pflegten, die sie hinderten, unrechtmäßig angeeignete Zölle aufzuheben und andere Ungerechtigkeiten abzustellen. Damit der allgemeinen Rechtlosigkeit gesteuert werde, wünschte er die Errichtung von Gerichtshöfen in allen Ländern des Reiches, an denen, entsprechend den drei Ständen, drei Richter zu fungieren hätten; sie sollten aus öffentlichen Mitteln besoldet werden. Die höchste Instanz bildete eine jährliche Reichsversammlung, der der Kaiser in Person oder, falls er verhindert sei, ein Kurfürst vorsitzen solle. Als Ort der Versammlung schlug er Frankfurt vor. Was sich die Gerichte hauptsächlich sollten angelegen sein lassen, sei die Abstellung des Fehdewesens, durch welches, seit ein jeder sich erlaube, auf eigene Faust, ohne vorausgegangenen richterlichen Spruch, Fehde anzusagen, das Reich verwüstet werde. Den Gerichten sollten die Geistlichen so gut wie die Weltlichen unterworfen sein, wenn es sich um weltlichen Besitz handele. Überhaupt erinnerte sich Cusa mit Genugtuung der Zeit, wo deutsche Kaiser auch in kirchlichen Angelegenheiten Bestimmungen trafen; wenn er die Meinung ausspricht, der Kaiser dürfe mit einem ihm unterworfenen Konzil es unternehmen, die Kirche zu reformieren, so schrieb er Sigismund eine Macht und einen Einfluß zu, wie sie kaum Karl der Große und Otto der Große besessen hatten. »O Gott«, ruft er aus, hingerissen von der Vision eines solchergestalt verjüngten Reiches, »wenn alle, die solchen Gedanken Beifall geben, auch zur Ausführung eilten, dann würde noch in unseren Tagen das Reich eine neue Blüte erleben!« Im innersten Herzen glaubte er nicht daran; prophetisch zürnend und trauernd malt er aus, wie es kommen werde. »Man wird das Reich in Deutschland suchen und nicht finden, und die Folge wird sein, daß Fremde unsern Boden an sich reißen, daß wir unter uns zerteilt werden und so unter die Botmäßigkeit einer fremden Nation kommen!« Ähnlich sagte der fränkische Ritter Gregor von Heimberg in einer Rede: »O blindes und unvernünftiges Deutschland, einen einzigen Kaiser weigerst du dich zu ertragen und unterwirfst dich dafür tausend Herren! Vielleicht ist schon das Ende unseres Ruhmes da! Denn keine Macht auf Erden läßt Gott auf ewige Dauer bestehen. Ich fürchte, ich fürchte, es kommen die Fremden und nehmen Land und Leute hinweg.«

      Wäre es aber selbst bei mehr gutem Willen und geringerem Eigennutz aller Beteiligten möglich gewesen, das mittelalterliche Reich wieder zur Blüte zu bringen? Ließen sich die Verhältnisse zurückbringen, auf Grund deren Karl der Große, Otto der Große und Friedrich Barbarossa geherrscht hatten? »Keine Macht auf Erden läßt Gott auf ewige Dauer bestehen.« Alle Ideen, die sich unter Menschen, in einem Volke auswirken, wachsen, bis sie alles, was in ihnen lag, hervorgebracht und ausgebildet haben. Da das niemals alles sein kann, was in der menschlichen Natur oder in einem Volke als Keim liegt, werden sich ergänzende und entgegengesetzte Kräfte einstellen, die das Entstandene und zur Herrschaft Gelangte angreifen, desto heftiger angreifen und zersetzen, je mehr es einseitig auf die Spitze getrieben ist, wozu die herrschenden Ideen naturgemäß geneigt sind. So waren im Schoße des Reiches Kräfte erwachsen, die anfangs nicht beachtet oder als ketzerisch unterdrückt wurden, die allmählich in alle Lücken und Ritzen eindrangen, die das, was unerschütterlich schien, zertrümmerten, und in deren Frische sich das Alte als schadhaft, mängelvoll, sinnlos spiegelte. Nikolaus von Cusa beschwor den Kaiser Sigismund, seinen Plan ins Werk zu setzen. Aber war dieser Weltherrscher, СКАЧАТЬ