Название: Gesammelte Werke
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 4064066388829
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Nur etwas bleibt einem so leuchtenden Verdienst gegenüber zu wünschen, nämlich es möchte Weyer, der ganz in seine ärztliche und religiös-humanistische Anschauungsweise vertieft war, mehr hervorgehoben haben, daß außer dem Aberglauben der Menge und dem Aberglauben und der krankhaften Veranlagung der angeklagten Frauen auch die Gewinnsucht der Richter und Henker und die Anwendung der Folter Ursache der Hexenprozesse war. Zwar hat er davon gesprochen, aber doch nur gelegentlich. Von einigen Nachfolgern wurde das, was er vernachlässigt hatte, eingehend behandelt, so von Wilhelm Fabricius aus Hilda bei Düsseldorf, nach der damals üblichen Weise Hildanus genannt, der als Stadtarzt in Bern 1634 starb und europäischen Ruf genoß, und von dem ausgezeichneten Westfalen Hermann Wilcken oder Witekind, einem Schüler Melanchthons, der 1603 als Professor der griechischen Sprache in Heidelberg starb. Seine Schrift wider den Hexenwahn »Christlich Bedenken und Erinnerung von Zauberei« ist nicht wie die Weyers lateinisch, sondern deutsch geschrieben und wendete sich also von vornherein an ein größeres Publikum. Allerdings gab er es nicht unter seinem eigenen, sondern unter dem Namen Augustin Lercheimer heraus. Er geht davon aus, daß der Teufel nur das vermag, was Gott zuläßt, und daß die armen, der Hexerei angeklagten Frauen gar nichts Überirdisches vermögen, weshalb sie, da sie höchstens die Absicht, aber nicht das Vermögen haben zu schaden, nicht verbrannt werden dürfen. Die Aussagen verschiedener Frauen, die verbrannt wurden, prüfend, stellt er fest, daß oft die Armut sie auf Irrwege treibt, und ermahnt die Obrigkeiten, dem Übel, das sie grausam bestrafen, zuvorzukommen, indem sie für eine bessere Armenpflege sorgen. Von der Folter sagt er, sie komme aus dem Heidentum und sei gegen Sklaven angewendet worden, für Christen sei sie ganz unzulässig, ihr Gebrauch werde auch von allen verständigen und gutherzigen Männern getadelt. Am grundsätzlichsten ist wohl das Buch des Pfarrers Joh. Greve aus Büderich in Cleve »Reformiertes Tribunal«, der die Abschaffung der Folter fordert. Es erschien 1622, wurde damals nicht beachtet und später vergessen.
Von den katholischen Bekämpfern des Hexenwahns wurde der Holländer Cornelius Loos zum Widerruf gezwungen und der Trierer Jurist Dietrich Flade, kurfürstlicher Rat, ein sehr angesehener und reicher Mann, 1589 stranguliert und dann verbrannt. Er sollte auf der Hetzerather Heide bei Trier mit den Hexen getanzt und das Land mit Schnecken überschwemmt haben.
Unter all den bewundernswerten Männern, die für das geschändete Recht eintraten, erweckt keiner solche Sympathie wie Friedrich Spee oder von Spee, geboren im Jahre 1591 in Kaiserswerth. Keiner schrieb so wie er aus persönlichem Erleben heraus, weil er als Beichtvater der zum Tode verurteilten Hexen die Tätigkeit der Richter und die Leiden der Hexen gründlich kennenlernte. Spee war als Jüngling Jesuit geworden. Leidenschaftlich bestürmte er den General, ihn als Missionar nach Indien zu schicken; es mag ihn beides gelockt haben, die wunderbare Ferne und das Märtyrertum. Blättert man in Spees Gedichten, so ist man überrascht von der Zartheit seines Empfindens und würde vielleicht an der Weichlichkeit seiner Naturbilder und seiner Frömmigkeit Anstoß nehmen, wenn nicht die Wahrhaftigkeit seines Gefühls versöhnte; versetzt man sich aber in die Zeit, wo er lebte, möchte man die in einer so wilden und rohen Epoche aufgrünende Empfindsamkeit fast genial nennen. Ob die Sehnsucht nach Indien die ahnungsvolle Angst vor dem Martyrium war, das ihm in der Heimat bestimmt war? Der General wies ihn wie die vielen anderen, die gern ins Ausland gegangen wären, auf das Indien in Deutschland, die Bekehrung der Ketzer. Zu einer Zeit, als in Würzburg und Bamberg Hexen zu Hunderten verbrannt wurden, übertrugen ihm seine Vorgesetzten die Pflicht, die Verurteilten zum Tode vorzubereiten und zum Scheiterhaufen zu begleiten. Später hat er gesagt, nicht eine von den zahllosen, die er begleitet habe, sei schuldig gewesen. Kaum wagt man nachzufühlen, was für ein entsetzlicher Zusammenbruch für seine empfindliche Seele mit dieser Einsicht verbunden gewesen sein muß. Täglich mit ansehen zu müssen, daß im Namen der Religion und des Rechtes furchtbare Verbrechen begangen wurden, daß die Opfer derselben schuldlose und wehrlose Frauen waren, selbst ein Werkzeug innerhalb eines schändlichen Systems zu sein! Es versteht sich, daß die Erkenntnis nicht mit einem Male kam: sie bildete sich allmählich durch herzzerreißende Erfahrungen. Ohnmächtig gegenüber der Mauer von Dummheit, Grausamkeit und Habsucht, blieb ihm nichts, als die von der Folter zermarterten Frauen, die er einem qualvollen Tode entgegenführte, mit dem Hinweis auf das Märtyrertum der ersten Christen zu trösten. Dann schrieb er sein berühmtes Buch Cautio criminalis; es ist ein verzweifelter Versuch, Wahn und Verbrechen durch Vernunft und Entrüstung zu überwinden. Wenn Spee nicht wie Weyer mit seinem Namen für seine gute Sache eintrat, muß man seine Abhängigkeit als Jesuit bedenken. Zwar haben sich die Jesuiten im allgemeinen nicht an der Hexenverfolgung beteiligt, aber eine öffentliche Herausforderung wie die Spees wagten sie doch nicht zu unterstützen; er würde ohnehin aus dem Orden entlassen oder gezwungen worden sein, freiwillig auszutreten, wenn nicht Ereignisse des Krieges dazwischengekommen wären.
Spees Buch ist durchglüht und durchzittert von leidenschaftlicher Entrüstung und untröstlichem Schmerz, Schmerz auch darüber, daß Deutschland, sein Vaterland, der Schauplatz so ungeheurer Verbrechen sein mußte. »Die Italiener und Spanier«, sagt er, »von Natur nachdenklicher und scharfsinniger, scheint es, überlassen uns dieses Amt des Brennens ganz allein. – Überall in Deutschland lodern die Hexenbrände, eine Schande für die deutsche Nation bei den Feinden Deutschlands. Trotz der Lehre der Naturforscher und Ärzte, daß auch die außergewöhnlichen Naturerscheinungen und Krankheiten natürlichen Ursachen zuzuschreiben seien, schiebt man in Deutschland, besonders auf dem Lande, alle Schuld auf die Hexen, dadurch wächst dann die Menge der Hexen, zumal die Prediger keinen Finger dagegen rühren, sondern vielmehr in dasselbe Horn blasen und keine deutsche Obrigkeit sich gegen solche Verdächtigungen erhebt. Andere Nationen sind vorsichtiger. Zu unserer Schande sind sie in dieser Sache uns voraus. – Haben denn deutsche Fürsten solche deutsche Beamten, die sogar gegen ihr Gewissen prozessieren, nur um ihren Fürsten zu gefallen? – Was werden andere Nationen sagen, die sowieso schon unsere Einfalt zu bespötteln pflegen! – Wehe, Deutschland, die Mutter so vieler Hexen, hat vor Kummer so viel geweint, daß es nicht mehr sehen kann.« Es ist ferner ein leitender Gedanke bei Spee, die Verantwortung für das, was er als Justizmorde ansah, den Fürsten und Obrigkeiten zuzusprechen. An sie wendet er sich immer wieder mit dringenden Mahnungen, eine gründliche Reform der Prozeßführung vorzunehmen, namentlich auch in bezug auf die Methode, Geständnisse durch Folterqualen zu erzwingen. »Wo sind die Augen der Fürsten, daß sie dies nicht sehen, oder wenn sie es sehen und wissen, wo ihr Gewissen, daß sie diesen das Schwert anvertrauen!« Auch Greve hat sein Buch über die Abschaffung der Folter zum Besten der Fürsten geschrieben, wie er sagte, um ihre Tribunale zu reinigen von der Schmach eines solchen Unrechts, und zum Besten der Richter, damit sich ihre Seelen nicht in solchem Pfuhle wälzen. Die Erkenntnis war bei den Erleuchteten, daß es nichts nützen werde, das Volk zu belehren – damals ohnehin ein unmögliches Beginnen –, wenn nicht von den Führern des Volkes das Gute geübt und das Schlechte verhindert würde.
Von allen Büchern gegen den Hexenwahn ist keins mit solcher Eleganz und Schärfe der Beweisführung, mit so schneidender Klarheit geschrieben, durch keines gießt sich so hinreißend der Strom der Liebe und des Zornes. Auch Weyer, Wilcken und andere waren Männer humanistischer Bildung, bei Spee mag die romanisch-humanistische Erziehung dazugekommen sein und vor allem dies, daß er ein Dichter war. Es ist unbegreiflich und sehr traurig, daß eine solche Anklage so wirkungslos verhallte. Doch hatte bekanntlich Spee einen großen persönlichen Erfolg. Als sein Freund, der Domherr Joh. Phil. Schönborn, ihn einmal auf seine früh ergrauten Haare anredete, sagte er, sie seien weiß geworden, weil er das Leiden vieler Unschuldiger und den Sieg der Ungerechtigkeit gesehen habe. Als Erzbischof von Mainz hat Schönborn später wenigstens in seiner Diözese den Hexenprozessen ein Ende gemacht, deren Höhepunkt damals ohnehin schon überschritten war; der Gebrauch der Folter wurde nicht abgeschafft.
Es ist auffallend, daß fast alle die Bekämpfer der Hexenprozesse aus dem Westen Deutschlands, aus dem Gebiet des Rheines stammen. Eine Ausnahme macht der in Jena geborene Johann Mathaeus Meyfart, der Dichter des Liedes: Jerusalem, du hochgebaute Stadt. Er war ein Jahr älter als Spee und СКАЧАТЬ