Название: Gesammelte Werke
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 4064066388829
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Entstanden auch die großen Vermögen nur in einem kleinen Kreise von Finanzleuten, so erfaßte die Sucht nach Gewinn, womöglich leichtem Gewinn durch Spekulation, alle Kreise. Nicht Luther allein, alle Reformatoren und Gelehrten beobachteten es mit Entrüstung und Schrecken. »Es hat die Welt«, sagt Luther, »nichts anderes gelernt als schätzen, schinden, öffentlich rauben und stehlen durch Lug, Trug, Wucher, Überteuern, Übersetzen.« Ebenso sagt Sebastian Franck, daß nichts mehr regiere als Geld, des Zankens und Rechtens um zeitliche Güter sei kein Ende. Man betrachtete allgemein die schamlose Geldgier und die rücksichtslose Art, Geld an sich zu bringen, als ein Zeichen nahen Unterganges oder, wie Melanchthon es ausdrückt, des wahnsinnigen Greisenalters der Welt. Es ist begreiflich, daß im Maße wie alle sich auf Gelderwerb einstellten, die Heilighaltung der Armut abnahm. Wie fremdartig klang in dieser Atmosphäre das Wort Gregors des Großen: Den Armen sollst du nicht als Dürftigen verachten, sondern als Patron verehren. Damit man Gelegenheit habe, sich mildtätig zu erweisen, linderte man die Armut, ohne sie beseitigen zu wollen. Diese Auffassung änderte die Reformation grundsätzlich.
Hielt Luther in der Bewertung des Reichtums den mittelalterlichen Standpunkt fest, so verließ er ihn in der Bewertung der Armut. Das hing schon mit seiner Stellung zu den Klöstern und den Klostergelübden zusammen. Die ursprüngliche kirchliche Bestimmung, daß der vierte Teil des Kirchengutes den Armen gehöre, ein Überbleibsel des Gemeinbesitzes der ersten Christen, war zwar schon lange nicht mehr in Übung; aber bei aller Verweltlichung und Entartung des Klerus blieb doch die Heilighaltung der Armut in Geltung. Mochte man lächeln, wenn der Kaiser, wie es üblich wurde, an einem bestimmten Tage armen Leuten die zuvor gewaschenen Füße wusch; es war doch ein Symbol dafür, daß in Gestalt der Armen der Herr über die Erde gehe, daß man im Bettler den Herrn aufnehme. Zu den sieben Werken der Barmherzigkeit gehörte es, die Hungrigen zu speisen, die Gefangenen zu besuchen; Armut war, ohne daß man ihren Ursprung untersuchte, des Almosens würdig. Diese Auffassung hatte sich bereits etwas geändert, seit in den Städten die weltliche Obrigkeit sich mit der Fürsorge für die Armen und Kranken beschäftigte. Durch die Reformation wurde sie in den protestantischen Ländern vollständig eine staatliche Angelegenheit. Daraus ergab sich wohl eine bessere Ordnung und Abnahme des Bettels; aber der Arme wurde aus dem Fremdling, in dem ein Gott sich verhüllte, allmählich eine überlästige Person und beinah ein Verbrecher.
Luther hat persönlich wie irgendein mittelalterlicher Bischof, ohne engherzig nach Verdienst zu forschen und ohne sein Vermögen zu veranschlagen, den Bedürftigen gegeben. Dennoch machte sich seine Ansicht vom Werte der Arbeit bemerkbar. Schon in seinen ersten Predigten betonte er, daß die gewöhnlichen irdischen Handlungen, das Leben in der Familie und im Beruf, eher gute Werke zu nennen seien als das Beten des Rosenkranzes und die Wallfahrten. Im Gottesdienst wurde die Predigt die Hauptsache, außerhalb des Gottesdienstes hörten die Protestanten auf, die Kirchen zu besuchen. Das Licht der ewigen Anbetung erlosch auf ihren Altären. Einst waren die Kirchen immer erfüllt vom Summen der Gebete, von den Klagelauten altheiliger Gesänge, vom Duft des Weihrauchs, andächtige Augen erhoben sich immer zu den Bildern der Heiligen, des Gekreuzigten. Anstatt dessen sollte nun das Hämmern der Schmiede, das Schaben des Holzes und was es immer für Arbeitsgeräusche gibt, das Lob des Herrn verkünden. Von dieser Art der guten Werke war der Arme und Kranke, der Arbeitsunfähige, ausgeschlossen.
Bei Calvin ist die Rücksicht auf das Nützliche viel mehr betont als bei Luther. Luther zog nicht nur die Aussprüche der Heiligen Schrift herbei, die zu Fleiß und Arbeit ermuntern, sondern auch die, welche mahnen, daß wir nicht Schätze sammeln und nicht für den folgenden Tag sorgen sollen. Seine glücklichsten Augenblicke waren die, wo er sich im Anschauen der schönen Wunderdinge der Natur verlor, wo er sich in die Fülle Gottes versenkte, wo er spielte und träumte. In der Musik pflegte er eine Kunst, die er der Theologie gleichsetzte, die keinen anderen Zweck habe als in überschwenglicher Gotteslust das Lob des Höchsten zu singen. Er befeuerte durch sein ganzes Wesen mehr den Glauben als den Willen, während Calvins Persönlichkeit seine Anhänger zur Tätigkeit reizte. Wesentlich unterschied er sich von Luther dadurch, daß er, aus einem Lande mit verhältnismäßig entwickelter Geldwirtschaft stammend, vom Zinsverbot nichts wissen wollte und dadurch das Erwerbsleben von einer sehr hindernden Schranke befreite. Bedenkt man das, so wird klar, warum in den Niederlanden, die auf Handel und Industrie angewiesen waren, nicht das Luthertum, sondern der Calvinismus eindrang. Nicht als hätten sie ihn ergriffen, weil er gegen das Zinsverbot war; aber es war nichts in ihm, was seine Aufnahme gehemmt hätte, sie spürten in seiner Betriebsamkeit, in seiner auf weltliche Frömmigkeit gerichteten Lehre etwas Verwandtes. Sie konnten als Calvinisten ihre ganze Kraft auf den Erwerb, auf kaufmännische oder gewerbliche Tätigkeit richten und sich zugleich als Auserwählte Gottes fühlen, wenn sie nur redlich und bescheiden waren. Sie dienten Gott damit, daß sie in ihrer Tätigkeit aufgingen und den Katholizismus bekämpften, der die Bettelei pflegte und beim Reichwerden auf Schleichwegen ein Auge zudrückte.
Das Luthertum eignete sich mehr für agrarische Länder, was nicht hinderte, daß auch in der Landwirtschaft der beginnende Kapitalismus sich auswirkte. Auch die Gutsherren strebten danach, ihre Einnahmen zu vermehren, und zwar nicht in Naturalien, sondern in Geld. Sie wendeten sich mehr dem Export von Vieh, Getreide und Wolle zu und zogen es deshalb vor, so viel Land wie möglich in Eigenbetrieb zu nehmen, anstatt Stücke davon an Bauern zu verpachten. Im Großbetrieb konnte mehr verdient werden. Die Folge war, daß sie die Bauern, denen sie Land verpachtet hatten, unter allerlei Vorwänden davonzudrängen suchten. Das sogenannte Bauernlegen fing schon im 15. Jahrhundert an und wurde rücksichtslos im sechzehnten betrieben. Die Landesherren, die wegen der Besteuerung ein anderes Interesse hatten und die hätten einschreiten können, begünstigten doch den Adel zu sehr, um ihm etwas in den Weg zu legen, wenn er sich bereichern wollte. Anfangs wurden klagende Bauern wohl von den Juristen am Reichskammergericht unterstützt, aber wie es zu gehen pflegt, hörte der Rechtsschutz auf im Maße, wie das Übergewicht der Unrechttuenden und die Machtlosigkeit der Unrechtleidenden sich als selbstverständliche Tatsache erwies. Vor dem Dreißigjährigen Kriege sollen in 50 Jahren 400 Bauern ausgekauft sein. Da die Gutsherren zur Bewirtschaftung der vergrößerten Güter abhängige Leute brauchten, wurde der Gesindezwang eingeführt, wurden die Dienste der Bauern als ungemessene betrachtet, wurden sie schließlich für leibeigen erklärt. Die willkürliche Verschlechterung der Lage des Bauernstandes fand am meisten im Nordosten Deutschlands statt, wo sie ursprünglich sehr günstig gewesen war. In Süddeutschland, wo es mehr Streubesitz, weniger große zusammenhängende Güter gab, erhielten sich noch kleine, persönlich freie Bauern; ebenso in Niedersachsen.
Als die geistlichen Güter nach Aufhebung der Klöster in die Rapuse gingen, wie Luther sich ausdrückte, das heißt größtenteils von Fürsten und Adel gerafft und zu weltlichen Zwecken СКАЧАТЬ