Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke
Автор: Walter Benjamin
Издательство: Ingram
Жанр: Контркультура
isbn: 9789176377444
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Die Konzeption der Idee der Poesie als der Prosa bestimmt die ganze romantische Kunstphilosophie. Aus dieser Bestimmtheit heraus ist sie historisch folgenreich gewesen. Sie hat sich nicht nur mit dem Geiste der modernen Kritik verbreitet, ohne in ihren Voraussetzungen und ihrem eigentlichen Wesen agnosziert worden zu sein, sondern sie ist auch in mehr oder weniger ausgeprägter Gestalt in die philosophischen Grundlagen späterer Kunstschulen eingegangen, wie der ausgehenden französischen Romantik, der deutschen Neuromantik. Vor allem aber stiftet diese philosophische Grundkonzeption eine eigentümliche Beziehung innerhalb eines weiteren romantischen Kreises selbst, dessen Gemeinschaftliches ebenso wie das der engeren Schule, wie man allgemein zugibt, unauffindbar bleibt, solange es nur in der Dichtung und nicht ebensosehr in der Philosophie gesucht wird. Unter jenem Gesichtspunkt rückt in diesen weiteren Kreis, um nicht zu sagen in seine Mitte, ein Geist, der durch seine bloße Einschätzung als Dichter im modernen Sinne des Wortes (so hoch dieser auch gegriffen werden muß) nicht erfaßt werden kann, und dessen ideengeschichtliches Verhältnis zur romantischen Schule im Unklaren verharrt, wenn seine besondere philosophische Einheit mit ihr unbeachtet bleibt. Dieser Geist ist Hölderlin, und die These, welche seine philosophische Beziehung zu den Romantikern stiftet, ist der Satz von der Nüchternheit der Kunst. Dieser Satz ist der im wesentlichen durchaus neue und noch unabsehbar fortwirkende Grundgedanke der romantischen Kunstphilosophie, die vielleicht größte Epoche in der abendländischen Philosophie der Kunst wird durch ihn bezeichnet. Wie er mit dem methodischen Verfahren jener Philosophie, der Reflexion, zusammenhängt, liegt auf der Hand. Das Prosaische, in dem die Reflexion als Prinzip der Kunst sich zuhöchst ausprägt, ist ja im Sprachgebrauch geradezu eine metaphorische Bezeichnung des Nüchternen. Als ein denkendes und besonnenes Verhalten ist die Reflexion das Gegenteil der Ekstase, der μανία des Platon. Wie bei den Frühromantikern gelegentlich das Licht als Symbol des Reflexionsmediums, der unendlichen Besinnung auftritt (s. o. p. 37), so sagt auch Hölderlin:
Wo bist du, Nachdenkliches! das immer muß
Zur Seite gehn, zu Zeiten, wo bist du, Licht?275
»Besonnenheit ist die frühste Muse des nach Bildung strebenden Menschen«,276 sagt sogar der unphilosophische A. W. Schlegel, und Novalis nennt das einen treffenden »Lichtstrahl auf die frühste Poesie«.277 In einem sehr eigentümlichen, schönen Bilde spricht er die nüchterne Natur der Reflexion aus: »Ist nicht die Reflexion auf sich selbst … konsonierender Natur?278 … Gesang nach innen: Innenwelt. Rede-Prosa-Kritik«.279 Der ganze Zusammenhang der romantischen Kunstphilosophie auf ihrer höchsten Stufe, wie er zum Teil noch zu entwickeln bleibt, ist in diesen Worten schematisch angedeutet.
Die »heilignüchterne«280 Poesie hat Hölderlin in seinen spätern Schriften in einer Fülle der tiefsinnigsten Gedanken zu erkennen gesucht. Hier soll nur eine hervorragende Stelle angeführt werden, um das Verständnis der weniger klaren, aber gleichstrebenden Sätze von Friedrich Schlegel und Novalis vorzubereiten: »Es wird gut sein, um den Dichtern, auch bei uns, eine bürgerliche Existenz zu sichern, wenn man die Poesie, auch bei uns, den Unterschied der Zeiten und Verfassungen abgerechnet, zur μηχανή der Alten erhebt. – Auch andern Kunstwerken fehlt, mit den griechischen verglichen, die Zuverlässigkeit; wenigstens sind sie bis jetzt mehr nach Eindrücken beurteilt worden, die sie machen, als nach ihrem gesetzlichen Kalkül und sonstiger Verfahrungsart, wodurch das Schöne hervorgebracht wird. Der modernen Poesie fehlt es aber besonders an der Schule und am Handwerksmäßigen, daß nämlich ihre Verfahrungsart berechnet und gelehrt, und wenn sie gelernt ist, in der Ausübung immer zuverlässig wiederholt werden kann. Man hat, unter Menschen, bei jedem Dinge, vor allem darauf zu sehen, daß es Etwas ist, d. h. daß es in dem Mittel (moyen) seiner Erscheinung erkennbar ist, daß die Art, wie es bedingt ist, bestimmt und gelehret werden kann. Deswegen und aus höheren Gründen bedarf die Poesie besonders sicherer und charakteristischer Prinzipien und Schranken. – Dahin gehört einmal eben jener gesetzliche Kalkül«.281 Novalis: »Echte Kunstpoesie ist bezahlbar«.282 »Kunst … ist mechanisch«.283 »Der Sitz der eigentlichen Kunst ist lediglich im Verstande.«284 »Die Natur zeugt, der Geist macht. Il est beaucoup plus commode d’être fait que de se faire lui(sic!)-même.«285 Die Art dieses Machens ist also die Reflexion. Das Zeugnis dieser bewußten Tätigkeit im Werk sind vor allem die »geheimen Absichten, … deren wir beim Genius … nie zu viele voraussetzen СКАЧАТЬ