Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ ihr entspricht dann das Ideal als das a priori des zugeordneten Gehalts. Ein Ideal der Kunst kennen die Romantiker nicht. Sie gewinnen lediglich einen Schein davon durch jene Überdeckungen des poetischen Absolutums, wie Sittlichkeit und Religion. Alle Bestimmungen, die Friedrich Schlegel über den Gehalt der Kunst, besonders im »Gespräch über die Poesie« gegeben hat, entbehren im Gegensatz zu seiner Auffassung der Form jeder genaueren Beziehung auf das Eigentümliche der Kunst, geschweige daß er ein a priori dieses Gehalts gefunden hätte. Von einem solchen a priori nimmt die Kunstphilosophie Goethes ihren Ausgang. Ihr bewegendes Motiv ist die Frage nach dem Ideal der Kunst. Auch das Ideal ist eine höchste begriffliche Einheit, die des Gehalts. Seine Funktion ist also eine völlig andere als die der Idee. Es ist nicht ein Medium, welches den Zusammenhang der Formen in sich birgt und aus sich bildet, sondern eine Einheit anderer Art. Erfaßbar ist es allein in einer begrenzten Vielheit reiner Inhalte, in die es sich zerlegt. In einem begrenzten, harmonischen Diskontinuum reiner Inhalte also manifestiert sich das Ideal. In dieser Auffassung berührt sich Goethe mit den Griechen. Die Idee der Musen unter der Hoheit Apollons ist von der Kunstphilosophie aus gedeutet die der reinen Inhalte aller Kunst. Die Griechen zählten solcher Inhalte neun, und gewiß war weder deren Art noch Zahl willkürlich bestimmt. Der Inbegriff der reinen Inhalte, das Ideal der Kunst, läßt sich also als das Musische bezeichnen. Wie die innere Struktur des Ideals eine unstetige im Gegensatz zur Idee ist, so ist auch der Zusammenhang dieses Ideals mit der Kunst nicht in einem Medium gegeben, sondern durch eine Brechung bezeichnet. Die reinen Inhalte als solche sind in keinem Werk zu finden. Goethe nennt sie die Urbilder. Die Werke können jene unsichtbaren – aber anschaulichen – Urbilder, deren Hüterinnen die Griechen unter dem Namen der Musen kannten, nicht erreichen, sie vermögen nur in mehr oder weniger hohem Grad ihnen zu gleichen. Dieses »Gleichen«, welches die Beziehung der Werke zu den Urbildern bestimmt, ist vor einem verderblichen materialistischen Mißverständnis zu bewahren. Es kann prinzipiell nicht zur Gleichheit führen, und nicht durch Nachahmung kann es erreicht werden. Denn die Urbilder sind unsichtbar und das »Gleichen« bezeichnet eben die Beziehung des höchsten Wahrnehmbaren zum prinzipiell allein Anschaubaren. Dabei ist Gegenstand der Anschauung die Notwendigkeit des im Gefühl sich als rein ankündigenden Inhalts, vollständig wahrnehmbar zu werden. Das Vernehmen dieser Notwendigkeit ist das Anschauen. Das Ideal der Kunst als Gegenstand der Anschauung ist also notwendige Wahrnehmbarkeit – welche niemals im Kunstwerk selbst, als welches Gegenstand der Wahrnehmung bleibt, rein erscheint. – Für Goethe waren die Werke der Griechen unter allen diejenigen, welche den Urbildern am nächsten kamen, sie wurden ihm gleichsam zu relativen Urbildern, zu Vorbildern. Als Werke der Alten weisen diese Vorbilder eine doppelte Analogie zu den Urbildern selbst auf; sie sind wie diese im doppelten Sinn des Wortes vollendet; sie sind vollkommen und sie sind vollbracht. Denn nur das völlig abgeschlossene Gebilde kann Urbild sein. Nicht im ewigen Werden, in der schöpferischen Bewegung im Formenmedium liegt nach Goethes Auffassung der Urquell der Kunst. Die Kunst selbst schafft nicht ihre Urbilder – diese beruhen vor allem geschaffenen Werk in derjenigen Sphäre der Kunst, wo diese nicht Schöpfung, sondern Natur ist. Die Idee der Natur zu erfassen und sie damit tauglich zum Urbild der Kunst (zum reinen Inhalt) zu machen, das war im letzten Grund Goethes Bemühen in der Ermittlung der Urphänomene. In einem tieferen Sinn kann also der Satz, das Kunstwerk bilde die Natur ab, richtig sein, wenn nur eben als Inhalt des Kunstwerks Natur selbst, nicht aber Naturwahrheit verstanden wird. Hieraus folgt, daß das Korrelat des Inhalts, das Dargestellte (also die Natur) nicht mit dem Inhalt verglichen werden kann. Der Begriff des »Dargestellten« ist doppelsinnig. Er hat hier nicht die Bedeutung von »die Darstellung«, denn diese ist ja mit dem Inhalt identisch. Im übrigen faßt diese Stelle den Begriff der wahren Natur – im Anschluß an das oben über Anschauung Gesagte – ohne weiteres als identisch mit dem Bereich der Urbilder oder Urphänomene oder Ideale, ohne sich um den Begriff der Natur als eines Gegenstands der Wissenschaft zu kümmern. Es geht aber nicht an, ganz naiv den Begriff der Natur schlechterdings als einen der Kunsttheorie zu definieren. Vielmehr ist die Frage, wie der Wissenschaft Natur erscheint, dringend, und in ihrer Beantwortung würde der Begriff der Anschauung vielleicht nichts leisten. Er verbleibt nämlich innerhalb der Kunsttheorie (hier an dem Ort, wo das Verhältnis zwischen Werk und Urbild behandelt wird). Das Dargestellte kann nur im Werk gesehen, außerhalb desselben allein angeschaut werden. Ein naturwahrer Inhalt des Kunstwerks würde voraussetzen, daß die Natur der Maßstab sei, an dem er gemessen würde; dieser Inhalt selbst soll aber sichtbare Natur sein. Goethe denkt im Sinn der erhabenen Paradoxie jener alten Anekdote, nach der die Sperlinge auf die Trauben des großen griechischen Meisters flogen. Die Griechen waren keine Naturalisten, und die übermäßige Naturwahrheit, von der die Erzählung berichtet, scheint nur eine großartige Umschreibung für die wahre Natur als Inhalt der Werke selbst. Hier käme nun allerdings alles auf die nähere Definition des Begriffes der »wahren Natur« an, indem diese »wahre« sichtbare Natur, welche den Inhalt des Kunstwerks ausmachen soll, nicht nur nicht mit der erscheinenden sichtbaren Natur der Welt ohne weiteres identifiziert, sondern vielmehr sogar zunächst streng begrifflich von ihr unterschieden werden muß, indem freilich danach dann das Problem einer tiefern essentiellen Identität der »wahren« sichtbaren Natur im Kunstwerk und der in den Erscheinungen der sichtbaren Natur präsenten (vielleicht unsichtbaren, nur anschaubaren, urphänomenalen) Natur sich stellen würde. Und dies würde möglicher und paradoxer Weise so sich lösen, daß nur in der Kunst, nicht aber in der Natur der Welt, die wahre, anschaubare, urphänomenale Natur abbildhaft sichtbar würde, während sie in der Natur der Welt zwar präsent aber verborgen (durch die Erscheinung überblendet) wäre.

      Mit dieser Anschauungsweise ist es aber gesetzt, daß jedes einzelne Werk gewissermaßen zufällig besteht gegenüber dem Ideal der Kunst, mag man ihren reinen Inhalt nun das Musische oder die Natur nennen, weil man wie Goethe in ihr einen neuen musischen Kanon sucht. Denn jenes Ideal ist nicht geschaffen, sondern nach seiner erkenntnistheoretischen Bestimmung Idee im platonischen Sinne, in seiner Sphäre ist Einheit und Anfangslosigkeit, das Eleatisch Ruhende in der Kunst beschlossen. Wohl haben die einzelnen Werke an den Urbildern Anteil, aber einen Übergang aus ihrem Reich zu den Werken gibt es nicht, wie ein solcher im Medium der Kunst, von der absoluten Form zu den einzelnen, wohl besteht. Im Verhältnis zum Ideal bleibt das einzelne Werk gleichsam Torso.302 Es ist eine vereinzelte Bemühung, das Urbild darzustellen, und nur als Vorbild kann es mit anderen seinesgleichen dauern, nie aber vermögen sie zur Einheit des Ideals selbst lebendig zusammenzuwachsen.

      Über das Verhältnis der Werke zum Unbedingten und damit zu einander hat Goethe entsagend gedacht. Im romantischen Denken aber rebellierte alles gegen diese Lösung. Die Kunst war dasjenige Gebiet, in welchem die Romantik die unmittelbare Versöhnung des Bedingten mit dem Unbedingten am reinsten durchzuführen strebte. Friedrich Schlegel hat allerdings in seiner ersten Periode noch Goethes Auffassung nahegestanden und sie sehr prägnant formuliert, wenn er die griechische Kunst als diejenige bezeichnet, »deren besondere Geschichte die allgemeine Naturgeschichte der Kunst wäre«, und unmittelbar fortfährt: »… der Denker … bedarf … einer vollkommenen Anschauung. Teils als Beispiel und Beleg zu seinem Begriff, teils als Tatsache und Urkunde seiner Untersuchung … Das reine Gesetz ist leer. Damit es ausgefüllt … werde, bedarf es … eines höchsten ästhetischen Urbildes … kein anderes Wort als Nachahmung für die Handlung desjenigen … der sich die Gesetzmäßigkeit jenes Urbildes zueignet«.303 Aber was Schlegel diese Lösung, je mehr er zu sich selbst kam, verbot, war, daß sie zu einer höchst bedingten Einschätzung des einzelnen Werkes führt. In der gleichen Abhandlung, in der sein werdender Standpunkt sich zu bestimmen strebt, stellt er Notwendigkeit, Unendlichkeit, Idee im Grunde schon der Nachbildung, der Vollkommenheit, dem Ideal gegenüber, wenn er sagt: »Die Zwecke des Menschen sind teils unendlich und notwendig, teils beschränkt und zufällig. Die Kunst ist daher … eine freie Ideenkunst«.304 Viel entschiedener heißt es dann von der Kunst um die Jahrhundertwende: Es »will … jedes Glied in diesem höchsten Gebilde des menschlichen Geistes zugleich das Ganze sein, und wäre dieser Wunsch wirklich unerreichbar, wie uns … Sophisten glauben machen wollen, so möchten wir nur lieber gleich das nichtige und verkehrte Beginnen305 ganz aufgeben«.306 »Jedes Gedicht, jedes Werk soll das Ganze bedeuten, wirklich und in der Tat bedeuten und durch die Bedeutung … auch wirklich und in der Tat sein«.307 Die Aufhebung der Zufälligkeit, des Torsohaften der Werke ist die Intention in dem Formbegriff СКАЧАТЬ