Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ der Grund dieses Radikalismus – heißt es im Athenäum: »Man glaubt Autoren oft durch Vergleichungen mit dem Fabrikwesen zu schmähen. Aber soll der wahre Autor nicht auch Fabrikant sein? Soll er nicht sein ganzes Leben dem Geschäft widmen, literarische Materie in Formen zu bilden, die auf eine große Art zweckmäßig und nützlich sind?«288 »Solange der Künstler … begeistert ist, befindet er sich für die Mitteilung wenigstens in einem illiberalen Zustande.«289 – An die gemachten, mit prosaischem Geiste erfüllten Werke dachten die Romantiker, wenn sie den Satz von der Unzerstörbarkeit der echten Kunstgebilde aussprachen. Was am Strahl der Ironie zerfällt, ist allein die Illusion, unzerstörbar bleibt aber der Kern des Werkes, weil es nicht in der Ekstase beruht, die zersetzt werden kann, sondern in der unantastbaren nüchternen prosaischen Gestalt. Durch die mechanische Vernunft ist auch noch im Unendlichen – im Grenzwert der begrenzten Formen – nüchtern das Werk konstituiert. Für diese mystische Konstitution des Werkes jenseits der eingeschränkten und in der Erscheinung schönen (im engern Sinn poetischen) Formen ist der Roman der Prototyp. Der Bruch dieser Theorie mit hergebrachten Anschauungen vom Wesen der Kunst manifestiert sich endlich in der Stelle, die sie jenen »schönen« Formen, die sie der Schönheit überhaupt einräumt. Es wurde schon ausgeführt, daß die Form nicht mehr Ausdruck der Schönheit, sondern der Kunst als der Idee selbst ist. Letzten Endes muß der Begriff der Schönheit aus der romantischen Kunstphilosophie überhaupt weichen, nicht nur, weil er nach der rationalistischen Auffassung mit dem der Regel kompliziert war, sondern vor allem, weil die Schönheit als ein Gegenstand des »Vergnügens«, des Wohlgefallens, des Geschmacks, nicht zu vereinigen schien mit der strengen Nüchternheit, die nach der neuen Auffassung das Wesen der Kunst bestimmte. »Eine eigentliche Kunstlehre der Poesie würde mit der absoluten Verschiedenheit, der ewig unauflöslichen Trennung der Kunst und der rohen Schönheit anfangen290 … Flüchtigen Dilettanten ohne Enthusiasmus und ohne Belesenheit … müßte eine solche Poetik vorkommen, wie einem Kinde, das bildern wollte, ein trigonometrisches Buch.«291 »Die höchsten Kunstwerke sind schlechthin ungefällig; es sind Ideale, die nur approximando gefallen können und sollen, ästhetische Imperative.«292 Die Lehre, nach welcher die Kunst und ihre Werke essentiell weder Erscheinungen der Schönheit noch Manifestationen unvermittelter begeisterter Erregung, sondern ein in sich ruhendes Medium der Formen sind, ist seit der Romantik wenigstens im Geiste der Kunstentwicklung selbst nicht mehr in Vergessenheit geraten. Wollte man die Kunsttheorie eines so eminent bewußten Meisters wie Flaubert, die der Parnassiens oder diejenige des Georgeschen Kreises auf ihre Grundsätze bringen, man würde die hier dargelegten unter ihnen finden. Diese Grundsätze waren hier zu formulieren, ihr Ursprung in der Philosophie der deutschen Frühromantik war nachzuweisen. Sie sind dem Geist dieser Epoche so sehr eigen, daß Kircher mit Recht erklären konnte: »Diese Romantiker wollten gerade das ›Romantische‹ von sich abhalten – wie man es damals und heute versteht«.293 »Ich fange an, das Nüchterne, aber echt Fortschreitende, Weiterbringende zu lieben«,294 schreibt Novalis 1799 an Caroline Schlegel. Auch hierfür gibt Friedrich Schlegel die extremste Formulierung: »Das ist der eigentliche Punkt, daß wir uns wegen des Höchsten nicht so ganz allein auf unser Gemüt verlassen«.295

      Es erübrigt, die Erklärung des romantischen Begriffs der Kunstkritik auf Grund der obigen Ausführungen abzuschließen. Nicht mehr um seine methodische Struktur handelt es sich, welche dargestellt ist, sondern lediglich um seine letzte inhaltliche Bestimmung. Von ihr ist schon gesagt worden, daß die Aufgabe der Kritik die Vollendung des Werkes ist. Einen informatorischen oder pädagogischen Zweck weist Schlegel weit zurück: »Der Zweck der Kritik, sagt man, sei Leser zu bilden! – Wer gebildet sein will, mag sich doch selbst bilden. Dies ist unhöflich: es steht aber nicht zu ändern«296. Ebensowenig ist die Kritik, wie erwiesen wurde, essentiell eine Beurteilung, eine Meinungsäußerung über ein Werk. Sie ist vielmehr ein Gebilde, das zwar in seinem Entstehen vom Werk veranlaßt, in seinem Bestehen jedoch unabhängig von ihm ist. Als ein solches kann sie vom Kunstwerk nicht prinzipiell unterschieden werden. Das 116. Athenäumsfragment, das die Synthese an allen Begriffen vornimmt, sagt: »Die romantische Poesie … will und soll auch … Genialität und Kritik … verschmelzen«. Auf dasselbe Prinzip führt auch eine andere Äußerung im Athenäum: »Eine sogenannte Recherche ist ein historisches Experiment. Der Gegenstand und das Resultat derselben ist ein Faktum. Was ein Faktum sein soll, muß strenge Individualität haben, zugleich ein Geheimnis und ein Experiment sein, nämlich ein Experiment der bildenden Natur«.297 Neu ist in diesem Zusammenhange allein der Begriff des Faktums. Dieser findet sich im »Gespräch über die Poesie« wieder. »Ein wahres Kunsturteil, … eine ausgebildete, durchaus fertige Ansicht eines Werks ist immer ein kritisches Faktum, wenn ich so sagen darf. Aber auch nur ein Faktum, und eben darum ist’s leere Arbeit, es motivieren zu wollen, es müßte denn das Motiv selbst ein neues Faktum oder eine nähere Bestimmung des ersten enthalten.«298 Durch den Begriff des Faktums soll die Kritik aufs schärfste von der Beurteilung – als bloßer Meinung – unterschieden werden. Jene bedarf keiner Motivierung, so wenig wie ein Experiment, welches sie ja auch in der Tat am Kunstwerk vornimmt, indem sie seine Reflexion entfaltet. Eine unmotivierte Beurteilung freilich wäre eine Ungereimtheit. – Die theoretische Überzeugung von der höchsten Positivität aller Kritik hat die positiven Leistungen der romantischen Kritiker getragen. Sie haben nicht sowohl einen Kleinkrieg gegen das Schlechte,299 als die Vollendung des Guten und durch sie die Annihilierung des Nichtigen heraufführen wollen. Zuletzt beruht diese Einschätzung der Kritik auf der völlig positiven Bewertung ihres Mediums, der Prosa. Die Legitimation der Kritik, welche diese als objektive Instanz aller poetischen Produktion gegenüberstellt, besteht in ihrer prosaischen Natur. Kritik ist die Darstellung des prosaischen Kerns in jedem Werk. Dabei ist der Begriff »Darstellung« im Sinne der Chemie verstanden, als die Erzeugung eines Stoffes durch einen bestimmten Prozeß, welchem andere unterworfen werden. So hat es Schlegel gemeint, wenn er vom Wilhelm Meister sagt, das Werk »beurteilt sich nicht nur selbst, es stellt sich auch selbst dar«.300 In seinen beiden Bedeutungen wird das Prosaische durch die Kritik erfaßt: durch ihre Ausdrucksform in seiner eigentlichen, wie sie denn in ungebundener Rede sich ausspricht; in seiner uneigentlichen durch ihren Gegenstand, welcher der ewige nüchterne Bestand des Werkes ist. Diese Kritik ist als Prozeß wie als Gebilde eine notwendige Funktion des klassischen Werks.

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      Die Kunsttheorie der Frühromantiker und die Goethes sind in den Prinzipien einander entgegengesetzt.301 Und zwar erweitert das Studium dieses Gegensatzes ungemein die Kenntnis der Geschichte des Begriffs der Kunstkritik. Denn dieser Gegensatz bedeutet zugleich das kritische Stadium dieser Geschichte: in der problemgeschichtlichen Beziehung, in welcher der Kritikbegriff der Romantiker zu demjenigen Goethes steht, tritt unmittelbar das reine Problem der Kunstkritik an den Tag. Der Begriff der Kunstkritik selbst aber steht in einer eindeutigen Abhängigkeit vom Zentrum der Kunstphilosophie. Diese Abhängigkeit formuliert sich am schärfsten im Problem der Kritisierbarkeit des Kunstwerks. Ob diese geleugnet, ob sie behauptet wird, ist durchaus von den philosophischen Grundbegriffen abhängig, welche die Kunsttheorie fundieren. Die ganze kunstphilosophische Arbeit der Frühromantiker kann also dahin zusammengefaßt werden, daß sie die Kritisierbarkeit des Kunstwerks prinzipiell nachzuweisen gesucht haben. Die ganze Kunsttheorie Goethes steht hinter seiner Anschauung von der Unkritisierbarkeit der Werke. Nicht als ob er diese Ansicht anders als gelegentlich betont, nicht als ob er keine Kritiken geschrieben hätte. Er war an der begrifflichen Ausführung dieser Anschauung nicht interessiert, und noch in seiner spätern Zeit, die hier vor allem in Betracht kommt, hat er nicht wenige Kritiken verfaßt. Aber man wird in vielen unter ihnen eine gewisse ironische Zurückhaltung, nicht nur dem Werk, sondern auch dem eignen Geschäft gegenüber finden, und jedenfalls war die Absicht dieser Kritiken nur exoterisch und pädagogisch.

      Die Kategorie, unter der die Romantiker die Kunst erfassen, ist die Idee. Die Idee ist der Ausdruck der Unendlichkeit der Kunst und ihrer Einheit. Denn die romantische Einheit ist eine Unendlichkeit. Alles was die Romantiker über das Wesen der Kunst aussagen, ist Bestimmung ihrer Idee, so auch die Form, welche in ihrer Dialektik von Selbstbegrenzung СКАЧАТЬ