Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke
Автор: Walter Benjamin
Издательство: Ingram
Жанр: Контркультура
isbn: 9789176377444
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Es erübrigt, die Erklärung des romantischen Begriffs der Kunstkritik auf Grund der obigen Ausführungen abzuschließen. Nicht mehr um seine methodische Struktur handelt es sich, welche dargestellt ist, sondern lediglich um seine letzte inhaltliche Bestimmung. Von ihr ist schon gesagt worden, daß die Aufgabe der Kritik die Vollendung des Werkes ist. Einen informatorischen oder pädagogischen Zweck weist Schlegel weit zurück: »Der Zweck der Kritik, sagt man, sei Leser zu bilden! – Wer gebildet sein will, mag sich doch selbst bilden. Dies ist unhöflich: es steht aber nicht zu ändern«296. Ebensowenig ist die Kritik, wie erwiesen wurde, essentiell eine Beurteilung, eine Meinungsäußerung über ein Werk. Sie ist vielmehr ein Gebilde, das zwar in seinem Entstehen vom Werk veranlaßt, in seinem Bestehen jedoch unabhängig von ihm ist. Als ein solches kann sie vom Kunstwerk nicht prinzipiell unterschieden werden. Das 116. Athenäumsfragment, das die Synthese an allen Begriffen vornimmt, sagt: »Die romantische Poesie … will und soll auch … Genialität und Kritik … verschmelzen«. Auf dasselbe Prinzip führt auch eine andere Äußerung im Athenäum: »Eine sogenannte Recherche ist ein historisches Experiment. Der Gegenstand und das Resultat derselben ist ein Faktum. Was ein Faktum sein soll, muß strenge Individualität haben, zugleich ein Geheimnis und ein Experiment sein, nämlich ein Experiment der bildenden Natur«.297 Neu ist in diesem Zusammenhange allein der Begriff des Faktums. Dieser findet sich im »Gespräch über die Poesie« wieder. »Ein wahres Kunsturteil, … eine ausgebildete, durchaus fertige Ansicht eines Werks ist immer ein kritisches Faktum, wenn ich so sagen darf. Aber auch nur ein Faktum, und eben darum ist’s leere Arbeit, es motivieren zu wollen, es müßte denn das Motiv selbst ein neues Faktum oder eine nähere Bestimmung des ersten enthalten.«298 Durch den Begriff des Faktums soll die Kritik aufs schärfste von der Beurteilung – als bloßer Meinung – unterschieden werden. Jene bedarf keiner Motivierung, so wenig wie ein Experiment, welches sie ja auch in der Tat am Kunstwerk vornimmt, indem sie seine Reflexion entfaltet. Eine unmotivierte Beurteilung freilich wäre eine Ungereimtheit. – Die theoretische Überzeugung von der höchsten Positivität aller Kritik hat die positiven Leistungen der romantischen Kritiker getragen. Sie haben nicht sowohl einen Kleinkrieg gegen das Schlechte,299 als die Vollendung des Guten und durch sie die Annihilierung des Nichtigen heraufführen wollen. Zuletzt beruht diese Einschätzung der Kritik auf der völlig positiven Bewertung ihres Mediums, der Prosa. Die Legitimation der Kritik, welche diese als objektive Instanz aller poetischen Produktion gegenüberstellt, besteht in ihrer prosaischen Natur. Kritik ist die Darstellung des prosaischen Kerns in jedem Werk. Dabei ist der Begriff »Darstellung« im Sinne der Chemie verstanden, als die Erzeugung eines Stoffes durch einen bestimmten Prozeß, welchem andere unterworfen werden. So hat es Schlegel gemeint, wenn er vom Wilhelm Meister sagt, das Werk »beurteilt sich nicht nur selbst, es stellt sich auch selbst dar«.300 In seinen beiden Bedeutungen wird das Prosaische durch die Kritik erfaßt: durch ihre Ausdrucksform in seiner eigentlichen, wie sie denn in ungebundener Rede sich ausspricht; in seiner uneigentlichen durch ihren Gegenstand, welcher der ewige nüchterne Bestand des Werkes ist. Diese Kritik ist als Prozeß wie als Gebilde eine notwendige Funktion des klassischen Werks.
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Die frühromantische Kunsttheorie und Goethe
Die Kunsttheorie der Frühromantiker und die Goethes sind in den Prinzipien einander entgegengesetzt.301 Und zwar erweitert das Studium dieses Gegensatzes ungemein die Kenntnis der Geschichte des Begriffs der Kunstkritik. Denn dieser Gegensatz bedeutet zugleich das kritische Stadium dieser Geschichte: in der problemgeschichtlichen Beziehung, in welcher der Kritikbegriff der Romantiker zu demjenigen Goethes steht, tritt unmittelbar das reine Problem der Kunstkritik an den Tag. Der Begriff der Kunstkritik selbst aber steht in einer eindeutigen Abhängigkeit vom Zentrum der Kunstphilosophie. Diese Abhängigkeit formuliert sich am schärfsten im Problem der Kritisierbarkeit des Kunstwerks. Ob diese geleugnet, ob sie behauptet wird, ist durchaus von den philosophischen Grundbegriffen abhängig, welche die Kunsttheorie fundieren. Die ganze kunstphilosophische Arbeit der Frühromantiker kann also dahin zusammengefaßt werden, daß sie die Kritisierbarkeit des Kunstwerks prinzipiell nachzuweisen gesucht haben. Die ganze Kunsttheorie Goethes steht hinter seiner Anschauung von der Unkritisierbarkeit der Werke. Nicht als ob er diese Ansicht anders als gelegentlich betont, nicht als ob er keine Kritiken geschrieben hätte. Er war an der begrifflichen Ausführung dieser Anschauung nicht interessiert, und noch in seiner spätern Zeit, die hier vor allem in Betracht kommt, hat er nicht wenige Kritiken verfaßt. Aber man wird in vielen unter ihnen eine gewisse ironische Zurückhaltung, nicht nur dem Werk, sondern auch dem eignen Geschäft gegenüber finden, und jedenfalls war die Absicht dieser Kritiken nur exoterisch und pädagogisch.
Die Kategorie, unter der die Romantiker die Kunst erfassen, ist die Idee. Die Idee ist der Ausdruck der Unendlichkeit der Kunst und ihrer Einheit. Denn die romantische Einheit ist eine Unendlichkeit. Alles was die Romantiker über das Wesen der Kunst aussagen, ist Bestimmung ihrer Idee, so auch die Form, welche in ihrer Dialektik von Selbstbegrenzung СКАЧАТЬ