Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter Benjamin страница 49

Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9789176377444

isbn:

СКАЧАТЬ Moment in der lebendigen transzendentalen Form sein. Indem es sich in seiner Form beschränkt, macht es sich in zufälliger Gestalt vergänglich, in vergehender Gestalt aber ewig durch Kritik.308

      Die Romantiker wollten die Gesetzmäßigkeit des Kunstwerks zur absoluten machen. Aber das Moment des Zufälligen ist nur mit der Auflösung des Werkes aufzulösen oder vielmehr in ein Gesetzmäßiges zu verwandeln. Daher haben die Romantiker folgerecht eine radikale Polemik gegen die Goethesche Lehre von der kanonischen Geltung der griechischen Werke führen müssen. Sie konnten Vorbilder, selbständig in sich geschlossene Werke, endgültig geprägte und der ewigen Progression enthobene Gebilde nicht anerkennen. Am übermütigsten und geistreichsten hat sich gegen Goethe Novalis gewandt: »Natur und Natureinsicht entstehen zugleich309, wie Antike und Antikenkenntnis; denn man irrt sehr, wenn man glaubt, daß es Antiken gibt. Erst jetzt fängt die Antike an zu entstehen … Der klassischen Literatur geht es wie der Antike; sie ist uns eigentlich nicht gegeben – sie ist nicht vorhanden – sondern sie soll von uns erst hervorgebracht werden. Durch fleißiges und geistvolles Studium der Alten entsteht erst eine klassische Literatur für uns – die die Alten selbst nicht hatten«.310 »Man glaube nur auch nicht allzu steif, daß die Antike und das Vollendete gemacht sei; gemacht, was wir so gemacht nennen. Sie sind so gemacht, wie die Geliebte durch das verabredete Zeichen des Freundes in der Nacht, wie der Funken durch die Berührung der Leiter oder der Stern durch die Bewegung im Auge.«311 Das heißt, sie entsteht nur, wo ein schöpferischer Geist sie erkennt, sie ist kein Faktum im Goetheschen Sinn. Die gleiche Behauptung lautet an anderer Stelle: »Die Antiken sind zugleich Produkte der Zukunft und der Vorzeit«.312 Unmittelbar darauf: »Gibt es eine Zentralantike oder einen Universalgeist der Antiken?« Die Frage berührt sich mit Schlegels These von der werkhaften Einheit der antiken Poesie, und sie beide sind antiklassizistisch zu verstehen. – Wie die antiken Werke, so gilt es für Schlegel auch die antiken Gattungen in einander aufzulösen. »Umsonst war es, daß die Individuen das Ideal ihrer Gattung vollständig ausdrückten, wenn nicht auch die Gattungen selbst, streng und scharf isoliert, … waren. Aber sich willkürlich bald in diese, bald in jene Sphäre … versetzen … das kann nur ein Geist, der … ein ganzes System von Personen in sich enthält, und in dessen Innerem das Universum … reif … ist.«313 Also: »Alle klassischen Dichtarten in ihrer strengen Reinheit sind jetzt lächerlich«.314 Und endlich: »Man kann niemand zwingen, die Alten für klassisch zu halten oder für alt; das hängt zuletzt von Maximen ab«315.

      Die Romantiker bestimmen die Relation der Kunstwerke zur Kunst als Unendlichkeit in der Allheit – das heißt: in der Allheit der Werke erfüllt sich die Unendlichkeit der Kunst; Goethe bestimmt sie als Einheit in der Vielheit – das heißt: in der Vielheit der Werke findet sich die Einheit der Kunst immer wieder. Jene Unendlichkeit ist die der reinen Form, diese Einheit die des reinen Inhalts.316 Die Frage des Verhältnisses der Goetheschen und der romantischen Kunsttheorie fällt also zusammen mit der Frage nach dem Verhältnis des reinen Inhalts zur reinen (und als solcher strengen) Form. In diese Sphäre ist die angesichts des Einzelwerks oft irreführend gestellte und dort niemals genau zu lösende Frage nach dem Verhältnis von Form und Inhalt zu erheben. Denn diese sind nicht Substrate im empirischen Gebilde, sondern relative Unterscheidungen an ihm, auf Grund notwendiger reiner Unterscheidungen der Kunstphilosophie getroffen. Die Idee der Kunst ist die Idee ihrer Form, wie ihr Ideal das Ideal ihres Inhalts ist. Die systematische Grundfrage der Kunstphilosophie läßt sich also auch als die Frage nach dem Verhältnis von Idee und Ideal der Kunst formulieren. Die Schwelle dieser Frage kann die vorliegende Untersuchung nicht überschreiten, sie konnte allein einen problemgeschichtlichen Zusammenhang soweit ausführen, bis er auf den systematischen mit völliger Klarheit deutete. Noch heute ist dieser Stand der deutschen Kunstphilosophie um 1800, wie er in den Theorien Goethes und der Frühromantiker sich darstellt, legitim. Die Romantiker so wenig wie Goethe haben diese Frage gelöst, ja auch nur gestellt. Sie wirken zusammen, um sie dem problemgeschichtlichen Denken vorzustellen. Nur das systematische kann sie lösen. – Die Romantiker haben es, wie schon betont wurde, nicht vermocht, das Ideal der Kunst zu erfassen. Es erübrigt zu bemerken, daß Goethes Lösung des Formproblems an philosophischer Tragweite seine Bestimmung des Inhalts der Kunst nicht erreicht. Die Kunstform interpretiert Goethe als Stil. Er hat jedoch im Stil nur dadurch das Formprinzip des Kunstwerks gesehen, daß er einen mehr oder weniger historisch bestimmten Stil ins Auge faßte: die Darstellung typisierender Art. Für die bildende Kunst repräsentierten ihn die Griechen, für die Poesie strebte er selbst dessen Vorbild aufzustellen. Aber trotzdem der Inhalt des Werkes das Urbild ist, braucht dennoch der Typus seine Form keineswegs zu bestimmen. Im Stilbegriff hat also Goethe nicht eine philosophische Klärung des Formproblems, sondern nur einen Hinweis auf das Maßgebende gewisser Vorbilder gegeben. Damit ist die Intention, die ihm die Tiefe des Inhaltsproblems der Kunst erschlossen hat, vor dem Formproblem zur Quelle eines sublimen Naturalismus geworden. Indem auch der Form gegenüber ein Urbild, eine Natur sich ausweisen sollte, mußte zum Urbild der Form – da die Natur an sich dies nicht sein konnte – gleichsam eine Kunstnatur – denn das ist der Stil in diesem Sinne – gemacht werden. Sehr scharf hat Novalis das gesehen. Ablehnend nennt er es Goethisch: »die Antiken sind aus einer anderen Welt, sie sind wie vom Himmel gefallen«317. Er bezeichnet damit in der Tat das Wesen dieser Kunstnatur, die Goethe im Stil als Urbild vorstellt. Der Begriff des Urbildes verliert aber für das Formproblem, sobald er als dessen Lösung gedacht werden soll, seinen Sinn. Das Problem der Kunst nach seinem ganzen Umfang, nach Form und Inhalt durch den Begriff des Urbildes zu umschreiben, ist das Vorrecht der antiken Denker, welche die tiefsten Fragen der Philosophie bisweilen in Gestalt mythischer Lösungen stellen. Einen Mythus erzählt letzten Endes auch Goethes Stilbegriff. Der Einwand gegen ihn ließe sich auch auf Grund der in ihm waltenden Ungeschiedenheit von Darstellungsform und absoluter Form erheben. Denn von dem erwogenen Formproblem als der Frage nach der absoluten Form bleibt die nach der Darstellungsform zu unterscheiden. Es bedarf übrigens kaum der Betonung, daß diese letzte bei Goethe eine gänzlich andere Bedeutung hat, als bei den Frühromantikern. Sie ist das die Schönheit begründende Maß, welches in Erscheinung tritt im Gehalt. Der Begriff des Maßes liegt der Romantik, welche kein a priori des Inhalts, kein Abzumessendes in der Kunst achtete, fern. Sie verwirft mit dem Begriff der Schönheit nicht allein die Regel, sondern auch das Maß, und nicht sowohl regellos als maßlos ist ihre Dichtung.

      Goethes Kunsttheorie läßt nicht nur das Problem der absoluten Form ungelöst, sondern auch das der Kritik. Während sie aber das erste in verschleierter Form anerkennt und berufen ist, die Größe dieser Frage auszudrücken, scheint sie das letzte zu negieren. Kritik am Kunstwerk ist in der Tat nach Goethes letzter Intention weder möglich noch notwendig. Nötig mag allenfalls ein Hinweis auf das Gute, Warnung vor dem Schlechten sein, und möglich ist das apodiktische Urteil über Werke dem Künstler, der eine Anschauung vom Urbild hat. Aber die Kritisierbarkeit als ein wesentliches Moment am Kunstwerk anzuerkennen, verweigert Goethe. Methodische, d. h. sachlich notwendige, Kritik ist von seinem Standpunkt aus unmöglich. In der romantischen Kunst aber ist Kritik nicht allein möglich und notwendig, sondern unausweislich liegt in ihrer Theorie die Paradoxie einer höheren Einschätzung der Kritik als des Werkes. Die Romantiker kennen denn auch in ihren Kritiken kein Bewußtsein von dem Range, welchen der Dichter über dem Rezensenten einnimmt. Die Ausbildung der Kritik und der Formen, in welchen beiden sie die größten Verdienste erworben haben, sind als tiefste Tendenzen in ihrer Theorie angelegt. Sie haben also hierin Einhelligkeit in Tat und Gedanken völlig erreicht und eben das erfüllt, was ihnen als das Höchste nach ihren Überzeugungen galt. Der Mangel dichterischer Produktivität, mit dem man besonders Friedrich Schlegel bisweilen zeichnet, gehört im strengen Sinne in sein Bild nicht hinein. Denn er wollte in erster Linie nicht Dichter im Sinne des Werkbildners sein. Die Absolutierung des geschaffenen Werkes, das kritische Verfahren, war ihm das Höchste. Es läßt sich in einem Bilde versinnlichen als die Erzeugung der Blendung im Werk. Diese Blendung – das nüchterne Licht – macht die Vielheit der Werke verlöschen. Es ist die Idee.

      —————

      ~Quellenschriften318 СКАЧАТЬ