Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter Benjamin страница 44

Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9789176377444

isbn:

СКАЧАТЬ und auch das Werk ist Idee, wenn es die Begrenztheit seiner Darstellungsform überwindet.232

      Die Darstellung der Idee der Kunst im Gesamtwerk hat Schlegel zur Aufgabe der progressiven Universalpoesie gemacht; diese Bezeichnung der Poesie weist auf nichts anderes als jene Aufgabe hin. »Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie … Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.«233 Von ihr gilt: »… eine Idee läßt sich nicht in einen Satz fassen. Eine Idee ist eine unendliche Reihe von Sätzen, eine irrationale Größe, unsetzbar,234 inkommensurabel … Das Gesetz ihrer Fortschreitung läßt sich aber aufstellen«.235 – An den Begriff der progressiven Universalpoesie kann das modernisierende Mißverständnis sich besonders leicht heften, wenn sein Zusammenhang mit dem des Reflexionsmediums unbeachtet bleibt. Es würde darin bestehen, die unendliche Progression als eine bloße Funktion der unbestimmten Unendlichkeit der Aufgabe einerseits, der leeren Unendlichkeit der Zeit andrerseits, aufzufassen. Aber es ist schon darauf hingewiesen worden, wie sehr Schlegel um Bestimmtheit, um Individualität der Idee, welche der progressiven Universalpoesie die Aufgabe stellt, rang. Die Unendlichkeit der Progression darf also den Blick von der Bestimmtheit ihrer Aufgabe nicht ablenken, und wenn schon in dieser Bestimmtheit nicht eigentlich Schranken liegen, so könnte doch die Formulierung, daß es für »diese werdende Poesie … keine Schranken des Fortschritts, der Weiterentwicklung … gibt«,236 irreführen. Denn sie legt den Ton nicht auf das Wesentliche. Wesentlich ist vielmehr, daß die Aufgabe der progressiven Universalpoesie in einem Medium der Formen als dessen fortschreitend genauere Durchwaltung und Ordnung auf das bestimmteste gegeben ist. »… die Schönheit … ist … nicht bloß der leere Gedanke von etwas, was hervorgebracht werden soll, … sondern auch ein Faktum, nämlich ein ewiges transzendentales.«237 Dies ist sie als Kontinuum der Formen, als ein Medium, dessen Versinnlichung durch das Chaos als den Schauplatz ordnender Durchwaltung schon bei Novalis (s. o. p. 38) begegnet ist. Auch in der folgenden Bemerkung Schlegels ist das Chaos nichts anderes, als das Sinnbild des absoluten Mediums: »Aber die höchste Schönheit, ja die höchste Ordnung ist denn doch nur die des Chaos, nämlich eines solchen; welches nur auf die Berührung der Liebe wartet, um sich zu einer harmonischen Welt zu entfalten …«.238 Also nicht um ein Fortschreiten ins Leere, um ein vages Immer-besser-dichten, sondern um stetig umfassendere Entfaltung und Steigerung der poetischen Formen handelt es sich. Die zeitliche Unendlichkeit, in der dieser Prozeß stattfindet, ist ebenfalls eine mediale und qualitative.239 Daher ist die Progredibilität durchaus nicht das, was unter dem modernen Ausdruck »Fortschritt« verstanden wird, nicht ein gewisses nur relatives Verhältnis der Kulturstufen zu einander. Sie ist, wie das ganze Leben der Menschheit, ein unendlicher Erfüllungs-, kein bloßer Werdeprozeß. Wenn trotzdem nicht zu leugnen ist, daß in diesen Gedanken der romantische Messianismus nicht in seiner vollen Kraft wirkt, so sind sie doch kein Widerspruch gegen Schlegels prinzipielle Stellung zur Ideologie des Fortschritts, die er in der »Lucinde« ausgesprochen hat: »Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann dieser Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menschheit, die im Stillen von selbst wächst und sich bildet, nährenden Saft oder Gestaltung geben? Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart«240.

      Der vielumstrittene Begriff der Transzendentalpoesie ist in diesem Zusammenhange unschwer, dennoch genau, zu erklären. Er ist, wie der der progressiven Universalpoesie, eine Bestimmung der Idee der Kunst. Stellt dieser in begrifflicher Konzentration deren Beziehung zur Zeit dar, so verweist der Begriff der Transzendentalpoesie zurück auf das systematische Zentrum, aus dem die romantische Kunstphilosophie hervorgegangen ist. Er stellt also die romantische Poesie als die absolute poetische Reflexion dar; die Transzendentalpoesie ist in der Gedankenwelt Friedrich Schlegels zur Athenäumszeit genau das, was der Begriff des Ur-Ich in den Windischmannschen Vorlesungen ist. Um das zu beweisen, hat man nur den Zusammenhängen, in denen der Begriff des Transzendentalen bei Schlegel und Novalis steht, genau nachzugehen. Man findet, daß sie überall auf den Begriff der Reflexion führen. So sagt Schlegel über den Humor: »sein eigentliches Wesen ist Reflexion. Daher seine Verwandtschaft mit … allem, was transzendental ist«241. »Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transzendentalen Selbst zu bemächtigen, das Ich seines Ichs zugleich zu sein«242, d. h. sich reflektierend zu verhalten. Die Reflexion transzendiert die jeweilige geistige Stufe, um auf die höhere überzugehen. Daher sagt Novalis mit Beziehung auf den Reflexionsakt in der Selbstdurchdringung: »Jene Stelle außer der Welt ist gegeben, und Archimedes kann nun sein Versprechen erfüllen«243. Der Ursprung der höheren Dichtung aus der Reflexion findet sich im folgenden Fragment angedeutet: »Es gibt gewisse Dichtungen in uns, die einen ganz anderen Charakter als die übrigen zu haben scheinen, denn sie sind vom Gefühle der Notwendigkeit begleitet, und doch ist schlechterdings kein äußerer Grund zu ihnen vorhanden. Es dünkt dem Menschen, als sei er in einem Gespräch begriffen und irgend ein unbekanntes geistiges Wesen veranlasse ihn auf eine wunderbare Weise zur Entwicklung der evidentesten Gedanken. Dieses Wesen muß ein höheres Wesen sein, weil es sich mit ihm auf eine Art in Beziehung setzt, die keinem an Erscheinungen gebundenen Wesen möglich ist. Es muß ein homogenes Wesen sein, weil es ihn wie ein geistiges Wesen behandelt und ihn nur zur seltensten Selbsttätigkeit auffordert. Dieses Ich höherer Art verhält sich zum Menschen wie der Mensch zur Natur oder der Weise zum Kinde«244. Die Dichtungen, welche aus der Tätigkeit des höheren Ich entspringen, sind die Glieder der Transzendentalpoesie, deren Charakteristik sich mit der im absoluten Werk ausgeprägten Idee der Kunst deckt. »Die bisherigen Poesien wirken meistenteils dynamisch, die künftige transzendentale Poesie könnte man die organische heißen. Wenn sie erfunden ist, so wird man sehen, daß alle echten Dichter bisher, ohne ihr Wissen, organisch poetisierten – daß aber dieser Mangel an Bewußtsein … einen wesentlichen Einfluß auf das Ganze ihrer Werke hatte – so daß sie größtenteils nur im einzelnen echt poetisch, im ganzen aber gewöhnlich unpoetisch waren.«245 Die Poesie des ganzen Werkes ist eben nach Novalis’ Ansicht von der Erkenntnis des Wesens der absoluten Kunsteinheit abhängig. – Die Einsicht in diese klare und einfache Bedeutung des Terminus »Transzendentalpoesie« ist durch einen besonderen Umstand außerordentlich erschwert worden. In demjenigen Fragment nämlich, das nach seinem Grundgedanken durchaus als der Hauptbeleg für den erörterten Ideengang anzusehen ist, hat Schlegel den fraglichen Ausdruck anders definiert246 und ihn von einem Terminus, mit dem er nach seinem eigenen und Novalis’ Sprachgebrauch gleichbedeutend sein muß, unterschieden. »Transzendentalpoesie« bedeutet in der Tat bei Novalis – und sollte es sinngemäß auch bei Schlegel – die absolute Reflexion der Poesie, welche Schlegel in dem fraglichen Fragment als »Poesie der Poesie« von ihr unterscheidet: »Es gibt eine Poesie, deren Eins und Alles das Verhältnis des Idealen und des Realen ist, und die also nach der Analogie der philosophischen Kunstsprache Transzendentalpoesie heißen müßte … So wie man aber wenig Wert auf eine Transzendentalphilosophie legen würde, die nicht kritisch wäre, nicht auch das Produzierende mit dem Produkt darstellte, und im System der transzendentalen Gedanken zugleich eine Charakteristik des transzendentalen Denkens enthielte, so sollte wohl auch jene Poesie die in modernen Dichtern nicht seltnen transzendentalen Materialien und Vorübungen zu einer poetischen Theorie des Dichtungsvermögens mit der künstlerischen Reflexion und schönen Selbstbespiegelung … vereinigen und in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein«.247 Die ganze Schwierigkeit, die der Begriff der Transzendentalpoesie der Darstellung romantischer Philosophie bereitet, die Unklarheit, mit der er behaftet erschien, rührt daher, daß im obigen Fragment dieser Ausdruck nicht mit Hinsicht auf das reflexive Moment in der Poesie, sondern mit Hinblick auf die ältere Fragestellung Schlegels nach dem Verhältnis der griechischen zur modernen Poesie gebraucht wird. Da die griechische als real, die moderne als ideal248 von Schlegel bezeichnet wurde, so prägt er, mit mystizistischer Anspielung auf den ganz andersartigen philosophischen Streit zwischen metaphysischem Idealismus und Realismus und dessen Lösung durch die transzendentale Methode bei Kant, den Terminus »Transzendentalpoesie«. Im letzten Grunde kommt hier allerdings dennoch Schlegels Sprachgebrauch mit dem, was Novalis Transzendentalpoesie und er selbst Poesie der Poesie nennt, überein. Denn die Reflexion, welche in den beiden letzten СКАЧАТЬ