Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ eine doppelte Bedeutung, in deren einer er in der Tat Ausdruck eines reinen Subjektivismus ist. Allein in dieser ist er bisher in der Literatur über die Romantik aufgefaßt und eben infolge dieser einseitigen Auffassung als Zeugnis des besagten Subjektivismus durchaus überschätzt worden. Die romantische Poesie anerkennt »als ihr erstes Gesetz …, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide«207, heißt es scheinbar ganz unzweideutig. Allein bei genauer Betrachtung erhebt sich die Frage, ob mit diesem Satz eine positive Aussage über die Rechtssphäre des schaffenden Künstlers oder nur eine überschwengliche Formulierung der Forderung, welche die romantische Poesie an ihren Dichter stellt, gegeben sein soll. In beiden Fällen wird man sich entschließen müssen, interpretierend den Satz sinnvoll und verständlich zu machen. Vom zweiten Fall ausgehend, hätte man zu verstehen, daß der romantische Dichter »durch und durch Poesie«208 sein solle, wie Schlegel es an andrer Stelle als paradoxes Ideal ungläubig aufstellt. Ist der Künstler die Poesie selbst, so duldet allerdings seine Willkür kein Gesetz über sich, weil sie nichts anderes ist als eine dürftige Metapher der Autonomie der Kunst. Der Satz bleibt leer. Im ersten Falle dagegen wird man den Satz als ein Urteil über den Machtbereich des Künstlers begreifen, muß sich aber dann entschließen, unter dem Dichter etwas anderes zu verstehen als ein Wesen, das etwas macht, das es selbst ein Gedicht nennt. Man muß unter dem Dichter den wahren, den urbildlichen Dichter verstehen und hat damit unmittelbar die Willkür als Willkür des wahren Dichters verstanden, die begrenzt ist. Der Autor echter Kunstwerke ist in denjenigen Beziehungen eingeschränkt, in denen das Kunstwerk einer objektiven Gesetzlichkeit der Kunst unterworfen ist; wenn man nicht (wie im andern Fall der Interpretation) den Autor als die bloße Personifikation der Kunst verstehen will, was vielleicht in diesem Falle und jedenfalls an mehreren andern Stellen Schlegels Meinung war. Die objektive Gesetzlichkeit, welcher das Kunstwerk durch die Kunst unterworfen ist, besteht, wie dargelegt worden, in dessen Form. Die Willkür des wahren Dichters hat also ihren Spielraum allein im Stoff, und sie wird, soweit sie bewußt und spielerisch waltet, zur Ironie. Dies ist die subjektivistische Ironie. Ihr Geist ist der des Autors, der sich über die Stofflichkeit des Werkes erhebt, indem er sie mißachtet. Es spielt dabei übrigens bei Schlegel der Gedanke hinein, daß etwa der Stoff selbst in solchem Verfahren »poetisiert«, veredelt werden mag, wenn es auch wohl dazu nach seiner Ansicht noch anderer, positiver Momente, der Ideen der Lebenskunst, bedarf, welche im Stoffe dargestellt werden. Richtig nennt Enders Ironie die Fähigkeit, »sich unmittelbar von dem in der Erfindung Dargestellten zum darstellenden Zentrum zu bewegen und von da das erstere zu betrachten«,209 ohne jedoch zu berücksichtigen, daß dieses Verhalten allein dem Stoffe gegenüber nach der romantischen Anschauung stattfinden kann.

      Dennoch gibt es, wie ein Blick auf die poetische Produktion der Frühromantik zeigt, eine Ironie, welche nicht nur die Stoffe angreift, sondern auch über die Einheit der dichterischen Form sich hinwegsetzt. Diese Ironie ist es, welche die Meinung von einem romantischen Subjektivismus sans phrase210 begünstigt hat, weil die vollständige Verschiedenheit dieser Ironisierung der Kunstform von der des Stoffes nicht mit genügender Klarheit erkannt worden ist. Diese beruht auf einem Verhalten des Subjekts, jene stellt ein objektives Moment am Werke dar. Wie an den meisten Unklarheiten, welche über ihre Lehren bestehen, tragen auch an dieser die Romantiker ihren Anteil. Sie selber haben die sachlich deutliche Scheidung als eine solche niemals zum Ausdruck gebracht. – Die Ironisierung der Form besteht in ihrer freiwilligen Zerstörung, wie sie unter den romantischen Produktionen, und wohl in der ganzen Literatur überhaupt, Tiecks Komödien in der extremsten Form zeigen. Die dramatische Form läßt sich im höchsten Maße und am eindrucksvollsten unter allen ironisieren, weil sie das höchste Maß von Illusionskraft enthält und dadurch die Ironie in hohem Grade in sich aufnehmen kann, ohne sich völlig aufzulösen. Von der Zerstörung der Illusion in der aristophanischen Komödie sagt Schlegel: »Diese Verletzung ist nicht Ungeschicklichkeit, sondern besonnener Mutwille, überschäumende Lebensfülle und tut oft gar keine üble Wirkung, erhöht sie vielmehr, denn vernichten kann sie die Täuschung doch nicht. Die höchste Regsamkeit des Lebens … verletzt …, um zu reizen, ohne zu zerstören«.211 Denselben Gedanken gibt Pulver wieder, wenn er schreibt: »Fassen wir zusammen, was Friedrich Schlegel zur höchsten Wertschätzung einer vollkommen gedachten Komödie bewog, so ist es« ihr »schöpferisches Spiel mit sich selbst, ihr rein ästhetischer Staat, den keine Durchbrechung und Verletzung der Illusion zu zerstören vermag«.212 Die Ironisierung der Form greift also nach diesen Äußerungen dieselbe an, ohne sie doch zu zerstören, und auf diese Irritation soll die Illusionsstörung in der Komödie es absehen. Dieses Verhältnis zeigt eine auffallende Verwandtschaft mit der Kritik, welche unwiderruflich und ernsthaft die Form auflöst, um das einzelne Werk ins absolute Kunstwerk zu verwandeln, zu romantisieren.

      Ja, auch das Werk, das teuer erkaufte, es bleibe Dir köstlich;

      Aber so Du es liebst, gib ihm Du selber den Tod,

      Haltend im Auge das Werk, das der Sterblichen keiner wohl endet:

      Denn von des Einzelnen Tod blüht ja des Ganzen Gebild.213

      »Wir müssen uns über unsre eigne Liebe erheben und, was wir anbeten, in Gedanken vernichten können, sonst fehlt uns … der Sinn für das Unendliche«.214 In diesen Äußerungen hat Schlegel sich über das Zerstörende in der Kritik, über ihre Zersetzung der Kunstform deutlich ausgesprochen. Weit entfernt, eine subjektive Velleität des Autors darzustellen, ist also diese Zerstörung der Form die Aufgabe der objektiven Instanz in der Kunst, der Kritik. Und andererseits macht Schlegel genau das gleiche zum Wesen der ironischen Äußerung des Dichters, wenn er die Ironie als eine Stimmung bezeichnet, »welche alles übersieht und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, Tugend oder Genialität«215. Es ist also bei dieser Art der Ironie, welche aus der Beziehung auf das Unbedingte entspringt, nicht die Rede von Subjektivismus und Spiel, sondern von der Angleichung des begrenzten Werkes an das Absolute, von seiner völligen Objektivierung um den Preis seines Untergangs. Diese Form der Ironie stammt aus dem Geiste der Kunst, nicht aus dem Willen des Künstlers. Es versteht sich von selbst, daß sie, wie die Kritik, sich nur in der Reflexion darstellen kann.216 Reflexiv ist auch die Ironisierung des Stoffes, doch beruht diese auf einer subjektiven, spielerischen Reflexion des Autors. Die Ironie des Stoffes vernichtet diesen; sie ist negativ und subjektiv, positiv und objektiv dagegen die der Form. Die eigentümliche Positivität dieser Ironie ist zugleich ihr unterscheidendes Merkmal von der ebenfalls objektiv gerichteten Kritik. Wie verhält sich die Zerstörung der Illusion in der Kunstform durch die Ironie zur Zerstörung des Werkes durch die Kritik? Die Kritik opfert um des Einen Zusammenhanges willen das Werk gänzlich. Dasjenige Verfahren dagegen, welches unter Erhaltung des Werkes selbst dennoch seine völlige Bezogenheit auf die Idee der Kunst zu veranschaulichen vermag, ist die (formale) Ironie. Sie zerstört nicht allein das Werk nicht, das sie angreift, sondern sie nähert es selbst der Unzerstörbarkeit. Durch die Zerstörung der bestimmten Darstellungsform des Werkes in der Ironie wird die relative Einheit des Einzelwerkes tiefer in die der Kunst als des Universalwerkes zurückgestoßen, sie wird, ohne verloren zu gehen, völlig auf diese bezogen. Denn nur graduell ist die Einheit des Einzelwerkes von der der Kunst, in welche sie sich jederzeit in Ironie und Kritik verschiebt, unterschieden. Die Romantiker selbst hätten die Ironie nicht als künstlerisch empfinden können, wenn sie in ihr die absolute Zersetzung des Werkes gesehen hätten. Daher betont Schlegel in der genannten Bemerkung (s. o. p.84) die Unzerstörbarkeit des Werkes. – Um dieses Verhältnis abschließend deutlich zu machen, ist ein doppelter Formbegriff einzuführen. Die bestimmte Form des einzelnen Werkes, die man als Darstellungsform bezeichnen möge, wird das Opfer ironischer Zersetzung. Über ihr aber reißt die Ironie einen Himmel ewiger Form, die Idee der Formen, auf, die man die absolute Form nennen mag, und sie erweist das Überleben des Werkes, das aus dieser Sphäre sein unzerstörbares Bestehen schöpft, nachdem die empirische Form, der Ausdruck seiner isolierten Reflexion, von ihr verzehrt wurde. Die Ironisierung der Darstellungsform ist gleichsam der Sturm, der den Vorhang vor der transzendentalen Ordnung der Kunst aufhebt und diese und in ihr das unmittelbare Bestehen des Werkes als eines Mysteriums enthüllt. Das Werk ist nicht, wie es Herder betrachtete, wesentlich eine Offenbarung und ein Mysterium schöpferischer СКАЧАТЬ