Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ sein kann, ist auch die Einheit des Werkes gegenüber der der Kunst nur eine relative; das Werk bleibt mit einem Moment der Zufälligkeit behaftet. Diese besondere Zufälligkeit als eine prinzipiell notwendige, d. h. unvermeidliche einzugestehen, sie durch die strenge Selbstbeschränkung der Reflexion zu bekennen, ist die genaue Funktion der Form. Praktische, d. h. bestimmte Reflexion, Selbstbeschränkung bilden Individualität und Form des Kunstwerks. Denn damit die Kritik, wie oben (s. o. p. 67) ausgeführt wurde, Aufhebung aller Begrenzung sein könne, muß das Werk auf dieser beruhen. Ihre Aufgabe erfüllt die Kritik, indem sie, je geschlossener die Reflexion, je strenger die Form des Werkes ist, desto vielfacher und intensiver diese aus sich heraustreibt, die ursprüngliche Reflexion in einer höheren auflöst und so fortfährt. In dieser Arbeit beruht sie auf den Keimzellen der Reflexion, den positiv formalen Momenten des Werkes, die sie zu universal formalen auflöst. So stellt sie die Beziehung des einzelnen Werkes auf die Idee der Kunst und damit die Idee des einzelnen Werkes selbst dar.

      Friedrich Schlegel gibt zwar, besonders um 1800, auch über den Inhalt des wahren Kunstwerks Bestimmungen, sie beruhen jedoch auf jenen schon genannten Überdeckungen und Trübungen des Grundbegriffs des Reflexionsmediums, in denen er seine methodische Kraft verliert. Wo er das absolute Medium nicht mehr als Kunst, sondern als Religion bestimmt, erfaßt er das Kunstwerk von der Seite seines Inhalts nur unklar, er vermag sich seine Ahnung von einem würdigen Inhalt trotz aller Mühe nicht zu verdeutlichen, dieser bleibt Tendenz; er verlangt in ihm186 die eigentümlichen Züge seines religiösen Kosmos wiederzufinden, während zugleich, zum Zeichen jener Unklarheit, seine Idee der Form um nichts gewinnt.187 Vor dieser Veränderung seines Weltbildes und wo die älteren Lehren noch ferner wirksam blieben, hat er gemeinschaftlich mit Novalis einen strengen Begriff des Werkes in Verbindung mit einem Formbegriff, der auf der Philosophie der Reflexion beruht, als neue Errungenschaft im Namen der romantischen Schule vertreten: »Was Ihr in den philosophischen Büchern von der Kunst und von der Form gesagt findet, reicht ungefähr hin, um die Uhrmacherkunst zu erklären. Von höherer Kunst und Form findet Ihr auch nirgends nur die leiseste Ahnung«.188 Die höhere Form ist die Selbstbeschränkung der Reflexion. In diesem Sinne handelt das 37. Lyzeumsfragment von »Wert und … Würde der Selbstbeschränkung, die doch für den Künstler wie für den Menschen … das Notwendigste und das Höchste ist. Das Notwendigste: denn überall, wo man sich nicht selbst beschränkt, beschränkt einen die Welt; wodurch man ein Knecht wird. Das Höchste: denn man kann sich nur in den Punkten und an den Seiten selbst beschränken, wo man unendliche189 Kraft hat; Selbstschöpfung und Selbstvernichtung … Ein Schriftsteller …, der sich rein ausreden will und kann, … ist sehr zu beklagen. Nur vor … Fehlern hat man sich zu hüten. Was unbedingte Willkür … scheint und scheinen soll, muß dennoch im Grunde auch wieder schlechthin notwendig … sein; sonst … entsteht Illiberalität, und aus Selbstbeschränkung wird Selbstvernichtung«. Diese »liberale Selbstbeschränkung«, die Enders mit Recht »eine strenge Forderung romantischer Kritik«190 nennt, leistet die Darstellungsform des Werkes. Nirgends findet sich das Wesentliche dieser Anschauung klarer ausgesprochen als in einem Fragment des Novalis, welches sich nicht auf die Kunst, sondern auf die staatliche Sitte bezieht: »Da nun in der höchsten Belebung der Geist zugleich am wirksamsten ist, die Wirkungen des Geistes Reflexionen sind, die Reflexion aber, ihrem Wesen nach, bildend ist, mit der höchsten Belebung also die schöne oder vollkommene Reflexion verknüpft ist, so wird auch der Ausdruck des Staatsbürgers in der Nähe des Königs Ausdruck der höchsten zurückgehaltenen Kraftfülle, Ausdruck der lebhaftesten Regungen, beherrscht durch die achtungsvollste Besonnenheit … sein«.191. Hier ist nur für den Staatsbürger das Kunstwerk, für den König das Absolutum der Kunst einzusetzen, um aufs klarste gesagt zu finden, wie die bildende Kraft der Reflexion die Form des Werkes nach der Anschauung der Frühromantik prägt. Der Ausdruck »Werk« ist für das also bestimmte Gebilde von Friedrich Schlegel mit Betonung gebraucht worden. Der »Lothario« des »Gesprächs über die Poesie« spricht von dem Selbständigen, Insichvollendeten, wofür er »nun eben kein anderes Wort finde, als das von Werken, und es darum gern für diesen Gebrauch behalten möchte«.192 Im gleichen Zusammenhang liest man die folgende Wechselrede: »Lothario: … Nur dadurch, daß es Eins und Alles ist, wird ein Werk zum Werk. Nur dadurch unterscheidet sich’s vom Studium. Antonio: Ich wollte Ihnen doch Studien nennen, die dann in Ihrem Sinne zugleich Werke sind«.193 Hier enthält die Antwort einen berichtigenden Hinweis auf die Doppelnatur des Werkes: es ist nur eine relative Einheit, bleibt ein Essay, in welchem Ein und Alles sich angelegt findet. Noch in der Anzeige von Goethes Werken aus dem Jahre 1808 heißt es bei Schlegel: »… an Fülle der inneren Durchbildung geht der ›Meister‹ vielleicht jedem andern Werke unseres Dichters vor, keines ist in dem Grade ein Werk«.194 Zusammenfassend bezeichnet Schlegel die Bedeutung der Reflexion für Werk und Form mit folgenden Worten: »Gebildet ist ein Werk, wenn es überall scharf begrenzt, innerhalb der Grenzen aber grenzenlos … ist, wenn es sich selbst ganz treu, überall gleich und doch über sich selbst erhaben ist«195. Wenn kraft seiner Form das Kunstwerk ein Moment des absoluten Mediums der Reflexion ist, so hat Novalis’ Satz: »Jedes Kunstwerk hat ein Ideal a priori, eine Notwendigkeit bei sich, da zu sein«196 nichts Unklares an sich; eine Formulierung, in der die prinzipielle Überwindung des dogmatischen Rationalismus in der Ästhetik vielleicht am deutlichsten ist. Denn dies ist ein Standpunkt, zu dem eine Einschätzung des Werkes nach Regeln niemals führen konnte, ebensowenig wie eine Theorie, welche das Werk nur als Produkt eines genialischen Kopfes verstand. »Halten Sie es etwa für unmöglich, zukünftige Gedichte a priori zu konstruieren?«197 fragt ganz übereinstimmend der Ludoviko bei Schlegel.

      Neben der Shakespeareübersetzung ist die bleibende dichterische Leistung der Romantik die Eroberung der romanischen Kunstformen für die deutsche Literatur gewesen. Ihr Streben war mit vollem Bewußtsein auf die Eroberung, Ausbildung und Reinigung der Formen gerichtet. Doch war ihr Verhältnis zu ihnen ein ganz anderes als das der vorhergehenden Generationen. Die Romantiker faßten nicht, wie die Aufklärung, die Form als eine Schönheitsregel der Kunst, ihre Befolgung als eine notwendige Vorbedingung für die erfreuliche oder erhebende Wirkung des Werkes auf. Die Form galt ihnen weder selbst als Regel noch auch als abhängig von Regeln. Diese Auffassung, ohne welche das wahrhaft bedeutende italienische, spanische und portugiesische Übersetzungswerk A. W. Schlegels undenkbar ist, hat sein Bruder philosophisch intentioniert. Jede Form als solche gilt als eine eigentümliche Modifikation der Selbstbegrenzung der Reflexion, einer andern Rechtfertigung bedarf sie nicht, weil sie nicht Mittel zur Darstellung eines Inhalts ist. Das romantische Bemühen um Reinheit und Universalität im Gebrauch der Formen beruht auf der Überzeugung, in der kritischen Auflösung ihrer Prägnanz und Vielfältigkeit (in der Absolutierung der in ihnen gebundenen Reflexion) auf ihren Zusammenhang als Momente im Medium zu stoßen. Die Idee der Kunst als eines Mediums schafft also zum ersten Male die Möglichkeit eines undogmatischen oder freien Formalismus, eines liberalen Formalismus, wie die Romantiker sagen würden. Die frühromantische Theorie begründet die Geltung der Formen unabhängig vom Ideal der Gebilde. Die ganze philosophische Tragweite dieser Einstellung nach ihrer positiven und negativen Seite zu bestimmen, ist eine Hauptaufgabe der vorliegenden Abhandlung. – Wenn also Friedrich Schlegel von der Denkweise über die Gegenstände der Kunst verlangt, daß sie »absolute Liberalität mit absolutem Rigorismus vereinigt«198 enthalte, so darf man diese Forderung auch auf das Kunstwerk selbst, hinsichtlich seiner Form, beziehen. Eine solche Vereinigung hieße ihm in »dem edleren und ursprünglichen Sinne des Worts korrekt, da es absichtliche Durchbildung … des Innersten … im Werke nach dem Geist des Ganzen, praktische199 Reflexion des Künstlers bedeutet«.200

      Dies ist die Struktur des Werkes, für das die Romantiker eine immanente Kritik verlangen. Dieses Postulat birgt eine eigentümliche Paradoxie in sich. Denn es ist nicht abzusehen, wie ein Werk an seinen eigenen Tendenzen kritisiert werden könnte, weil diese Tendenzen, soweit sie einwandfrei feststellbar, erfüllt, und soweit sie unerfüllt, nicht einwandfrei feststellbar sind. Diese letzte Möglichkeit muß im extremen Falle die Gestalt annehmen, daß innere Tendenzen überhaupt fehlen und sonach die immanente Kritik unmöglich werden würde. Der romantische Begriff der Kunstkritik ermöglicht die Auflösung dieser beiden Paradoxien. Die immanente Tendenz des Werkes und demgemäß der Maßstab СКАЧАТЬ