Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ werden kann, welche ja selbst unendlich viele Stufen hat. In diesem Sinne heißt es bei Schlegel: »Jede philosophische173 Rezension sollte zugleich Philosophie der Rezensionen sein«174. – Niemals kann dieses kritische Verhalten in Konflikt mit der ursprünglichen, rein gefühlsmäßigen Aufnahme des Kunstwerkes geraten, denn es ist, wie die Steigerung des Werkes selbst, so auch die seines Erfassens und Empfangens. In der Kritik des »Wilhelm Meister« sagt Schlegel: »Es ist schön und notwendig, sich dem Eindruck eines Gedichtes ganz hinzugeben … und etwa nur im Einzelnen das Gefühl durch Reflexion zu bestätigen und zum Gedanken zu erheben und … zu ergänzen … Aber nicht minder notwendig ist es, von allem Einzelnen abstrahieren zu können, das Allgemeine schwebend zu fassen«.175 Dies Erfassen des Allgemeinen heißt schwebend, weil es Sache der unendlich sich erhöhenden Reflexion ist, die sich in keiner Betrachtung dauernd niederläßt, wie es im 116. Athenäumsfragment (s. o. p. 63) von Schlegel angedeutet wird. So erfaßt die Reflexion gerade die zentralen, d. h. allgemeinen Momente des Werkes und versenkt sie in das Medium der Kunst, wie es eben in der Kritik des »Wilhelm Meister« sichtbar sein soll. Bei genauer Betrachtung will Schlegel dort in der Rolle, welche in der Bildung des Helden die verschiedenen Kunstarten spielen, eine Systematik verborgen angedeutet finden, deren deutliche Entfaltung und Einordnung ins Kunstganze eine Aufgabe der Kritik des Werkes sei. Dabei soll diese nichts anderes tun, als die geheimen Anlagen des Werkes selbst aufdecken, seine verhohlenen Absichten vollstrecken. Im Sinne des Werkes selbst, d. h. in seiner Reflexion, soll es über dasselbe hinausgehen, es absolut machen. Es ist klar: für die Romantiker ist Kritik viel weniger die Beurteilung eines Werkes als die Methode seiner Vollendung. In diesem Sinne haben sie poetische Kritik gefordert, den Unterschied zwischen Kritik und Poesie aufgehoben und behauptet: »Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden. Ein Kunsturteil, welches nicht selbst ein Kunstwerk ist, … als Darstellung des notwendigen Eindrucks in seinem Werden176, … hat gar kein Bürgerrecht im Reiche der Kunst«177. »Jene poetische Kritik … wird die Darstellung von Neuem darstellen, das schon Gebildete noch einmal bilden wollen … wird das Werk ergänzen, verjüngen, neu gestalten.«178 Denn das Werk ist unvollständig: »Nur das Unvollständige kann begriffen werden, kann uns weiter führen. Das Vollständige wird nur genossen. Wollen wir die Natur begreifen, so müssen wir sie als unvollständig setzen«.179 Das gilt auch vom Kunstwerk, aber es gilt nicht als Fiktion, sondern in Wahrheit. Jedes Werk ist dem Absolutum der Kunst gegenüber mit Notwendigkeit unvollständig, oder – was dasselbe bedeutet es ist unvollständig gegenüber seiner eigenen absoluten Idee. »Daher sollte es kritische Journale geben, die die Autoren kunstmäßig medizinisch und chirurgisch behandelten und nicht bloß die Krankheit aufspürten und mit Schadenfreude bekannt machten … Echte Polizei … sucht die kränkliche Anlage zu verbessern.«180 Beispiele solcher vollendenden, positiven Kritik schweben Novalis vor, wenn er von einer gewissen Art von Übersetzungen, welche er mythische nennt, sagt: »Sie stellen den reinen, vollendeten Charakter des individuellen Kunstwerks dar. Sie geben uns nicht das wirkliche Kunstwerk, sondern das Ideal desselben. Noch existiert, wie ich glaube, kein ganzes Muster derselben. Im Geist mancher Kritiken und Beschreibungen von Kunstwerken trifft man aber helle Spuren. Es gehört ein Kopf dazu, in dem sich poetischer Geist und philosophischer Geist in ihrer ganzen Fülle durchdrungen haben«.181 Vielleicht denkt Novalis, indem er Kritik und Übersetzung einander nahe rückt, an eine mediale stetige Überführung des Werkes aus einer Sprache in die andere, eine Auffassung, die bei der unendlich rätselhaften Natur der Übersetzung von vornherein ebenso statthaft ist, wie eine andere.

      »Wenn man das Charakteristikum des modernen kritischen Geistes in der Verleugnung alles Dogmatismus, in der Achtung vor der alleinigen Souveränität der produktiven Schöpferkraft des Künstlers und Denkers sehen will und muß, so haben die Schlegel diesen modernen kritischen Geist geweckt und ihn auch zur prinzipiell höchsten Offenbarung gebracht.«182 Bei diesen Worten hat Enders die ganze literarische Familie der Schlegel im Sinn. Friedrich Schlegel ist vor allen anderen Mitgliedern seiner Familie die prinzipielle Überwindung des ästhetischen Dogmatismus zu verdanken und dazu – was Enders hier nicht erwähnt – die ebenso wichtige Sicherung der Kunstkritik gegen die skeptische Toleranz, die aus dem schrankenlosen Kultus der schaffenden Kraft als bloßer Ausdruckskraft des Schöpfers zuletzt hervorgeht. In jener Hinsicht hat er die Tendenzen des Rationalismus, in dieser die zersetzenden Momente, welche in der Theorie der Stürmer und Dränger angelegt waren, überwunden, und in dieser letzten Rücksicht ist die Kritik des 19. und 20. Jahrhunderts durchaus wieder von seinem Standpunkt herabgesunken. Er hat die Gesetze des Geistes in das Kunstwerk selbst gebannt, anstatt dieses zum bloßen Nebenprodukt der Subjektivität zu machen, wie ihn die modernen Autoren dennoch, dem Zuge ihres eigenen Denkens folgend, so überaus oft mißverstanden haben. Es ist nach dem oben Ausgeführten abzuschätzen, welcher geistigen Lebendigkeit und doch auch welcher Zähigkeit es bedurfte, diesen Standpunkt zu sichern, der teilweise, als Überwindung des Dogmatismus, das mühelose Erbe der modernen Kritik geworden ist. Von deren Gesichtskreis aus, den keine Theorie, sondern allein eine deteriorierte Praxis noch bestimmt, ist freilich nicht zu ermessen, welche Fülle positiver Voraussetzungen in die Negierung der rationalistischen Dogmen eingearbeitet ist. Sie übersieht, daß diese Voraussetzungen neben ihrer befreienden Leistung einen Grundbegriff sicherten, der theoretisch vordem mit Bestimmtheit nicht eingeführt werden konnte: den des Werkes. Denn nicht nur die Freiheit von heteronomen ästhetischen Doktrinen errang Schlegels Kritikbegriff vielmehr ermöglichte er diese erst dadurch, daß er ein anderes Kriterium des Kunstwerkes aufstellte, als die Regel, das Kriterium eines bestimmten immanenten Aufbaues des Werkes selbst. Er tat das nicht mit den Allgemeinbegriffen der Harmonie und Organisation, die bei Herder oder Moritz nicht zur Stiftung einer Kunstkritik hatten führen können, sondern mit einer, wenn auch in Begriffen absorbierten, eigentlichen Theorie der Kunst: als eines Reflexionsmediums, und des Werkes: als eines Zentrums der Reflexion. Damit sicherte er von der Objekt- oder Gebilde-Seite her diejenige Autonomie im Gebiete der Kunst, welche Kant der Urteilskraft in ihrer Kritik verliehen hatte. Der Kardinalgrundsatz der kritischen Betätigung seit der Romantik, die Beurteilung der Werke an ihren immanenten Kriterien, ist auf Grund romantischer Theorien gewonnen, welche gewiß in ihrer reinen Gestalt keinen heutigen Denker völlig befriedigen. Schlegel überträgt die Betonung seines schlechthin neuen Grundsatzes der Kritik auf den »Wilhelm Meister«, indem er ihn das »schlechthin neue und einzige Buch, welches man nur aus sich selbst verstehen lernen kann«,183 nennt. Novalis ist auch in diesem Grundsatz mit Schlegel einig: »Formeln für Kunstindividuen finden, durch die sie im eigentlichsten Sinn erst verstanden werden, macht das Geschäft eines artistischen Kritikers aus, dessen Arbeiten die Geschichte der Kunst vorbereiten«.184 Vom Geschmack, auf den sich der Rationalismus für seine Regeln berief, soweit sie nicht rein historisch begründet werden, sagt er: »Der Geschmack allein beurteilt nur negativ«.185

      Ein genau bestimmter Begriff des Werkes wurde also durch diese romantische Theorie zu einem Korrelatbegriff des Begriffs der Kritik.

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      Die romantische Theorie des Kunstwerks ist die Theorie seiner Form. Die begrenzende Natur der Form haben die Frühromantiker mit der Begrenztheit jeder endlichen Reflexion identifiziert und durch diese einzige Erwägung den Begriff des Kunstwerks innerhalb ihrer Anschauungswelt determiniert. Ganz analog zu dem Gedanken, mit welchem in seiner ersten Schrift zur Wissenschaftslehre Fichte die Reflexion an der bloßen Form der Erkenntnis sich manifestieren sieht (s. o. p.20 f.) bekundet den Romantikern das reine Wesen der Reflexion sich an der rein formalen Erscheinung des Kunstwerks. Die Form ist also der gegenständliche Ausdruck der dem Werke eigenen Reflexion, welche sein Wesen bildet. Sie ist die Möglichkeit der Reflexion in dem Werke, sie liegt ihm also a priori als ein Daseinsprinzip zugrunde; durch seine Form ist das Kunstwerk ein lebendiges Zentrum der Reflexion. Im Medium der Reflexion, in der Kunst, bilden sich immer neue Reflexionszentren. Je nach ihrem geistigen Keim umfassen sie größere oder kleinere Zusammenhänge reflektierend. Die Unendlichkeit der Kunst kommt zunächst allein in einem solchen Zentrum als in einem Grenzwert zur Reflexion, d. h. zur Selbsterfassung und damit zur Erfassung überhaupt. Dieser Grenzwert ist die Darstellungsform des einzelnen СКАЧАТЬ