Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ lassen. Übrigens liegt die Untersuchung des Verhältnisses der frühromantischen zu der Kantischen Kunsttheorie nicht im Rahmen dieser Monographie über den romantischen Begriff der Kunstkritik, weil von hier aus jenes Verhältnis nicht erfaßt werden kann. – In vielen Wendungen hat auch Novalis zu verstehen gegeben, daß die Grundstruktur der Kunst die des Reflexionsmediums sei. Der Satz: »Dichtkunst ist wohl nur willkürlicher, tätiger, produktiver Gebrauch unserer Organe – und vielleicht wäre Denken selbst nicht viel etwas anderes – und Denken und Dichten also einerlei«153 ähnelt sehr dem oben angezogenen Schlegelschen Ausspruch in den Vorlesungen, und weist in jene Richtung. Ganz deutlich faßt Novalis die Kunst als das Reflexionsmedium κατ’ ἐξοχὴν auf, verwendet das Wort Kunst geradezu als terminus technicus für dasselbe, wenn er sagt: »Der Anfang des Ich ist bloß idealisch … der Anfang entsteht später als das Ich; darum kann das Ich nicht angefangen haben. Wir sehen daraus, daß wir hier im Gebiet der Kunst sind«.154 Und wenn er fragt: »Gibt es eine Erfindungskunst ohne Data, eine absolute Erfindungskunst?«,155 so ist dies einerseits die Frage nach einem absoluten neutralen Ursprung der Reflexion und andererseits hat er selbst in seinen Schriften oft genug die Dichtkunst als jene absolute Erfindungskunst ohne Data gekennzeichnet. Er legt gegen die Theorie der Brüder Schlegel von der Künstlichkeit Shakespeares Verwahrung ein und erinnert sie, daß die Kunst »gleichsam die sich selbst beschauende, sich selbst nachahmende, sich selbst bildende Natur ist«.156 Dabei ist weniger die Meinung, daß die Natur das Substrat der Reflexion und der Kunst sei, als daß die Integrität und Einheit des Reflexionsmediums gewahrt bleiben solle. Für diese scheint Novalis an dieser Stelle Natur ein besserer Ausdruck als Kunst, und so soll man es nach ihm auch für die Erscheinungen der Poesie bei dieser Bezeichnung, die doch nur für das Absolute steht, belassen. Oft aber wird er ganz übereinstimmend mit Schlegel die Kunst für den Prototyp des Reflexionsmediums halten und dann sagen: »Die Natur zeugt, der Geist macht. Il est beaucoup plus commode d’être fait que de se faire lui-même (sic!)«.157. Also ist Reflexion das Ursprüngliche und Aufbauende in der Kunst wie in allem Geistigen. So entsteht Religion nur, indem »das Herz … sich selbst empfindet«,158 und für die Poesie gilt, daß sie »ein sich selbst bildendes Wesen ist«.159

      Die Erkenntnis in dem Reflexionsmedium der Kunst ist die Aufgabe der Kunstkritik. Für sie gelten alle diejenigen Gesetze, welche allgemein für die Gegenstandserkenntnis im Reflexionsmedium bestehen. Die Kritik ist also gegenüber dem Kunstwerk dasselbe, was gegenüber dem Naturgegenstand die Beobachtung ist, es sind die gleichen Gesetze, die sich an verschiedenen Gegenständen modifiziert ausprägen. Wenn Novalis sagt: »Was zugleich Gedanke und Beobachtung ist, ist ein kritischer … Keim«,160 so spricht er – zwar in tautologischer Rede, denn die Beobachtung ist ein Denkprozeß – die nahe Verwandtschaft zwischen Kritik und Beobachtung aus. Kritik ist also gleichsam ein Experiment am Kunstwerk, durch welches dessen Reflexion wachgerufen, durch das es zum Bewußtsein und zur Erkenntnis seiner selbst gebracht wird. »Die echte Rezension sollte … das Resultat und die Darstellung eines philologischen Experiments und einer literarischen Recherche sein.«161 Wiederum nennt Schlegel eine »sogenannte Recherche … ein historisches Experiment«162, und im Rückblick auf seine kritische Tätigkeit, den er 1800 anstellte, sagte er: »ich werde es mir nicht versagen, mit den Werken der poetischen und der philosophischen Kunst, wie bisher, so auch ferner für mich und für die Wissenschaft zu experimentieren«.163 Das Subjekt der Reflexion ist im Grunde das Kunstgebilde selbst, und das Experiment besteht nicht in der Reflexion über ein Gebilde, welche dieses nicht, wie es im Sinn der romantischen Kunstkritik liegt, wesentlich alterieren könnte, sondern in der Entfaltung der Reflexion, d. h. für den Romantiker: des Geistes, in einem Gebilde.

      Sofern Kritik Erkenntnis des Kunstwerks ist, ist sie dessen Selbsterkenntnis; sofern sie es beurteilt, geschieht es in dessen Selbstbeurteilung. Die Kritik geht in dieser letzten Ausprägung über die Beobachtung hinaus, es zeigt sich in dieser die Verschiedenheit des Kunstgegenstandes von dem der Natur, der keine Beurteilung zuläßt. Der Gedanke der Selbstbeurteilung auf der Grundlage der Reflexion ist auch außerhalb des Gebietes der Kunst den Romantikern nicht fremd. So liest man bei Novalis: »Die Philosophie der Wissenschaften hat … drei Perioden. Die thetische der Selbstreflexion der Wissenschaft, die andere der entgegengesetzten, antinomischen Selbstbeurteilung der Wissenschaft und die synkritische Selbstreflexion und Selbstbeurteilung zugleich«.164 Was die Selbstbeurteilung in der Kunst betrifft, so heißt es in der für Schlegels Theorie der Kritik bezeichnenden Rezension des »Wilhelm Meister«: »Glücklicherweise ist es eben eins von den Büchern, welche sich selbst beurteilen«.165 Novalis sagt: »Rezension ist Complement des Buchs. Manche Bücher bedürfen keiner Rezension, nur einer Ankündigung; sie enthalten schon die Rezension mit«.166

      Eine Beurteilung ist allerdings diese Selbstbeurteilung in der Reflexion nur uneigentlich zu nennen. Es ist nämlich in ihr ein notwendiges Moment aller Beurteilung, das Negative, durchaus verkümmert. Zwar erhebt sich der Geist in jeder Reflexion über alle früheren Reflexionsstufen und negiert sie damit – gerade dies gibt der Reflexion zunächst die kritische Färbung –, aber das positive Moment dieser Bewußtseinssteigerung überwiegt das negative bei weitem. Diese Einschätzung des Reflexionsvorgangs spricht aus Novalis’ Worten: »Der Akt des sich selbst Überspringens ist überall der höchste, der Urpunkt, die Genesis des Lebens … So hebt alle Philosophie da an, wo der Philosophierende sich selbst philosophiert, d. h. zugleich verzehrt … und wieder erneuert … So hebt alle lebendige Moralität damit an, daß ich aus Tugend gegen die Tugend handle; damit beginnt das Leben der Tugend, durch welches vielleicht die Kapazität ins Unendliche zunimmt«.167 Genau ebenso positiv bewerten die Romantiker die Selbstreflexion im Kunstwerk. Für die Bewußtseinssteigerung des Werkes durch Kritik hat Schlegel einen höchst bezeichnenden Ausdruck in einem Witz gefunden. In einem Briefe an Schleiermacher bezeichnet er nämlich seinen Athenäumsaufsatz »Über Goethe’s Meister« kurz als den »Übermeister«,168 ein vortrefflicher Ausdruck für die letzte Intention dieser Kritik, welche mehr als jede andere mit seinem Begriff Kunstkritik überhaupt zusammenhängt. Auch sonst gebraucht er gern ähnliche Prägungen, ohne daß man entscheiden könnte, ob dabei die gleiche Stimmung zugrunde liegt, weil sie nicht in einem Worte geschrieben sind.169 Das Moment der Selbstvernichtung, die mögliche Negation in der Reflexion kann also nicht ins Gewicht fallen gegenüber dem durch und durch Positiven der Erhöhung des Bewußtseins im Reflektierenden. So führt eine Analysis des romantischen Kritikbegriffs alsbald auf jenen Zug, der sich in ihrem Fortgang immer deutlicher zeigen und vielseitiger begründen wird: die völlige Positivität dieser Kritik, in der sie von ihrem modernen Begriff, welcher in ihr eine negative Instanz erblickt, sich radikal unterscheidet.

      Jede kritische Erkenntnis eines Gebildes ist als Reflexion in ihm nichts anderes, als ein höherer selbsttätig entsprungener Bewußtseinsgrad desselben. Diese Bewußtseinssteigerung in der Kritik ist prinzipiell unendlich, die Kritik ist also das Medium, auf die Unendlichkeit der Kunst bezieht und endlich in sie in dem sich die Begrenztheit des einzelnen Werkes methodisch übergeführt wird, denn die Kunst ist, wie es sich von selbst versteht, als Reflexionsmedium unendlich. Novalis hat die mediale Reflexion, wie oben angeführt, allgemein als Romantisieren bezeichnet und dabei gewiß nicht nur an die Kunst gedacht. Doch ist, was er so beschreibt, genau das Verfahren der Kunstkritik. »Absolutierung, Universalisierung, Klassifikation des individuellen Moments … ist das eigentliche Wesen des Romantisierens.«170 »Indem ich … dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.«171 Auch vom Kritiker aus, denn als solcher ist der »wahre Leser« der folgenden Bemerkung aufzufassen, bezeichnet er die kritische Aufgabe: »Der wahre Leser muß der erweiterte Autor sein. Er ist die höhere Instanz, die die Sache von der niederen Instanz schon vorgearbeitet erhält. Das Gefühl … scheidet beim Lesen wieder das Rohe und Gebildete des Buchs, und wenn der Leser das Buch nach seiner Idee bearbeiten würde, so würde ein zweiter Leser noch mehr läutern, und so wird … die Masse endlich … Glied des wirksamen Geistes«.172 Das heißt, es soll das einzelne Kunstwerk im Medium der Kunst aufgelöst werden, dieser Prozeß kann aber durch eine Vielheit einander ablösender Kritiker nur dann sinngemäß dargestellt sein, wenn diese nicht empirische Intellekte, СКАЧАТЬ