Schattenkinder. Marcel Bauer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Schattenkinder - Marcel Bauer страница 3

Название: Schattenkinder

Автор: Marcel Bauer

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783898019002

isbn:

СКАЧАТЬ hing.

      Eine Schlüsselrolle bei der Rettung von tausenden Kindern spielte Andrée Geulen, die aus katholischem Umfeld kam, aber schon als Kind glaubte, herausgefunden zu haben, »dass es keinen Gott geben konnte« und sich daher früh der kommunistischen Bewegung angeschlossen hatte.

      Als an ihrer Schule, wo sie als pädagogische Praktikantin arbeitete, die ersten Kinder mit einem gelben Stern auftauchten, war sie so schockiert, dass sie ihren Beruf an den Nagel hing und als Erzieherin in ein jüdisches Waisenhaus wechselte. Als die Gestapo dort die Direktorin, ihren Ehemann und alle jüdischen Kinder festnahm, beschloss sie, etwas dagegen zu unternehmen.

      Sie trat dem Comité de Défense des Juifs (CDJ) bei. Dort machte sie Bekanntschaft mit Ida Sterno, einer gebürtigen Rumänin, die im CDJ für die Unterbringung und Betreuung der verlassenen Kinder zuständig war und Ausschau nach einer verlässlichen und unverdächtigen Partnerin hielt. Bald sprach man im jüdischen Untergrund von »einem blonden Engel mit blauen Augen«.

      Geulen und Sterno gingen allen verfügbaren Adressen nach, um ausgesetzte und verwaiste Kinder einzusammeln und sie dem Roten Kreuz und dem Nationalen Kinderhilfswerk zu übergeben, die sie wiederum an private und staatliche Einrichtungen weiterreichten oder bei Familien in Pflege gaben.

      Als alle Mittel und Möglichkeiten des CDJ erschöpft schienen, wandte sich das Komitee an die katholische Kirche, die über eine Vielzahl von sozialen und karitativen Werken verfügte. Der Kontakt kam über Priester zustande, die dem Widerstand angehörten und ähnliche Hilfsnetze betrieben.

      Der Benediktinermönch Henri Reynders (Dom Bruno) baute mit dem Segen seines Ordens ein Netzwerk auf, das 390 jüdischen Kindern das Leben retten sollte. Der Jugendvikar Joseph André unterhielt auf dem Engelsplatz von Namur direkt gegenüber der örtlichen Kommandantur ein Auffanglager für verwahrloste Kinder, das bald zu einer Anlaufstelle jüdischer Kinder wurde. Dom Bruno und Abbé André standen ständig in Kontakt mit dem Komitee zur Verteidigung der Juden, obwohl deren führende Köpfe Kommunisten oder linke Zionisten waren. Der Einsatz der beiden Priester diente dem Bischof von Lüttich als Vorbild für die Stiftung eines eigenen Netzwerks zur Rettung der Kinder.

      Die Nationalsozialisten täuschten sich nicht, wenn sie in ­Louis-Joseph Kerkhofs einen ihrer schlimmsten Widersacher sahen. Die Abteilung der deutschen Sicherheitspolizei in Lüttich, die mit der Judenfrage betraut war, war im gleichen Büro untergebracht wie die, die für die Überwachung der katholischen Kirche zuständig war. Wiederholt hatte sich SS-Gruppenführer Eggert Reeder, Stellvertreter von Generalleutnant Alexander von Falkenhausen, dem Chef der deutschen Militärverwaltung, bei Kardinal Van Roey über dessen feindselige Umtriebe beschwert. Doch der Kardinal ließ den eigenwilligen Mitbruder gewähren.

      Im Juli 1942 ergriff Bischof Kerkhofs erste Maßnahmen zur Rettung jüdischer Kinder. Mit der praktischen Durchführung des Hilfsnetzes beauftragte er seinen Vertrauten, den Rechtsanwalt Van den Berg. Der Junggeselle genoss als hochdekorierter Kriegsinvalide hohes Ansehen. Außerdem war er ein rühriges Mitglied des Gebetsbundes für Israel, dessen Sekretär er war. Als Verantwortlicher der Sozialwerke im Bistum, zu denen viele karitative und kulturelle Einrichtungen gehörten, verfügte er über organisatorische Erfahrungen. Van den Berg nahm Kontakt zum Komitee zur Verteidigung der Juden auf, das sich kurze Zeit später im August 1942 bildete.

      Van den Berg konnte sich auf freiwillige Helfer stützen, von denen viele aus dem Umkreis des Gebetsbundes kamen und die bereit waren, für die Rettung der Juden Kopf und Kragen zu riskieren. Bei ihnen handelte es sich in erster Linie nicht um politische Überzeugungstäter und notorische Weltverbesserer, sondern meistens um einfache, anständige Leute, die nicht tatenlos zusehen wollten, wie andere Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Abstammung diskriminiert, verfolgt und mit dem Tode bedroht wurden.

      Mit Hilfe seines Sekretärs Pierre Coune legte Van den Berg – nach einem Modell, das Andrée Geulen für den CDJ entwickelt hatte – ein Register mit Namenslisten der versteckten Kinder an. Fünf Listen wurden an unterschiedlichen Stellen versteckt. In einem Heft war der Name des Kindes mit einer persönlichen Chiffre vermerkt, in einem anderen der neue Name mit dem Geburtsdatum. Im dritten Heft waren Name und Anschrift der Eltern, im vierten die der Gastfamilien oder ihrer Unterkünfte. Im fünften Heft, das Van den Berg im Kamin seines Hauses versteckte, waren noch einmal die Namen der Gastgeber mit den jeweiligen Chiffren aufgeführt.

      Das bedeutete, dass jedes Kind eine neue Identität brauchte. Da der Jurist Van den Berg in Lüttich gut vernetzt war, konnte er sich beim Einwohnermeldeamt die nötigen Dokumente besorgen. Die Behörden waren in der Regel zu jeder Schandtat bereit, wenn dies den Besatzern zu schaden versprach. Kennkarten für Kinder waren leicht zu erstellen, da es nur eines amtlichen Stempels und zweier Zeugen bedurfte. Seine Vorräte an amtlichen Dokumenten deponierte der Anwalt an Orten, die nur Eingeweihten bekannt waren.

      Van den Berg ging hohe Risiken ein, indem er sich an Rettungsaktionen beteiligte. Als 1942 in Banneux eine Razzia drohte, half er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ein Dutzend jüdischer Kinder in die Wälder von St-Remacle zu bringen, um sie so lange der Résistance zu übergeben, bis neue sichere Quartiere gefunden waren. Nach seiner Verhaftung 1943 übernahmen sein Schwager Michel Fosny und seine Ehefrau Germaine, eine Schwester Van den Bergs, die Leitung der Organisation.

      Die Zahl der Schattenkinder, die in christlichen Familien und in kirchlichen Einrichtungen überlebten, ist umstritten. Einige Quellen sprechen von mindestens 3.800. Neben Van den Berg gab es noch andere kirchliche Netzwerke wie das der oben genannten beiden Priester und das der Journalistin Jeanne de Moulienaere in Brüssel. Auch die katholischen Orden versteckten Hunderte von Kindern.

      Die Entscheidung des CDJ, die Kinder in die Obhut der Kirche zu geben, sollte nach dem Krieg zu einem unrühmlichen Gerangel zwischen Synagoge und Kirche um das Seelenheil der geretteten Kinder führen. Die einen pochten auf die Kraft des Blutes, die anderen beriefen sich auf die Freiheit des Geistes.

      Die Argumente, die beide Seiten ins Feld führten, waren stichhaltig. Die einen verwiesen auf die Notlage der Kinder und darauf, dass die Täuflinge auch nach kirchlichem Verständnis die Einwilligung ihrer Eltern bedurft hätten. Die anderen sagten, dass das bei den herrschenden Zuständen schwierig gewesen sei und gaben an, die Konversionen seien aus freiem Willen erfolgt, weil viele Kinder und Jugendliche auch nach jüdischem Gesetz volljährig waren.

      Louis-Joseph Kerkhofs erkrankte 1950 so schwer, dass er bis zu seinem Tod im Jahre 1961 seine Amtsgeschäfte nicht mehr ausüben konnte. So blieb ihm die hässliche Auseinandersetzung, die sich in jenen Jahren um die scheinbare oder wirkliche Bekehrung von Schattenkindern entspann, erspart. Unabhängig von diesem peinlichen Streit wurden nach jahrelangen Querelen alle Protagonisten, auch die umstrittensten unter ihnen, von Israel in die Liste Yad Vaschems der »Gerechten unter den Völkern« aufgenommen. Die Rettung der jüdischen Kinder war nicht nur ein Verdienst einzelner couragierter Christen sondern das Ergebnis einer Maßnahme der Kirchenleitung, die die Rettungsaktion plante und durchführen ließ.

      Als mit Beginn der Razzien viele Kinder dringend ein sicheres Versteck brauchten, bot sich der Wallfahrtsort Banneux als Auffanglager an, weil dort seit Ausbruch des Krieges viele Pilger- und Pflegeheime leer standen. Zwei der fünfzig bis sechzig Schattenkinder, die im Spätsommer 1942 nach Banneux kamen, waren der elfjährige Joshua Rozenberg und sein zwei Jahre älterer Bruder Menahim.

      Auftakt

      Obwohl er die Nase fest ans Fensterglas der Straßenbahn drückte, um zu erkennen, was da draußen vor sich geht, nahm ­Joshua nur fliehende Schatten wahr. Obwohl er mehrmals mit dem Ärmel den Dunst abwischte, den sein Atem verursacht hatte, blieb die Scheibe beschlagen.

      Joshua war früh am Morgen aufgebrochen, weil er mittags in Stoumont2 sein wollte. Die Kleinbahn mit der Nummer 17 hatte nur wenige Fahrgäste und rumpelte durch menschenleere СКАЧАТЬ