Schweizer Tobak. Albert T. Fischer
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Название: Schweizer Tobak

Автор: Albert T. Fischer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783907301005

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СКАЧАТЬ wieder war der soziale Frieden gefährdet, waren Streiks und Aussperrungen keine Seltenheit. Doch im Ganzen gesehen veränderte sich die Gesellschaft zum Guten. Selbst die von vielen angefeindete Doktorandin konnte nicht übersehen, dass die Gemeinde noch vor dem Ersten Weltkrieg ein neues grosses Schulhaus mit einer grosszügigen Turnhalle – in jenen Jahren keine Selbstverständlichkeit – gebaut und eine Berufsschule für die meisten handwerklichen Berufe gegründet hatte. Allerdings blieb ihr auch nicht verborgen, dass die Kinder der Kleinverdiener damals kaum die Sekundarschule schafften und die jungen Männer in den meisten Fällen als Hilfsarbeiter und die Frauen bestenfalls als angelernte Zigarrenmacherinnen endeten.

      Die Schüler der höheren Klassen waren in aller Regel Söhne und Töchter der Krämer, Handwerker, Fabrikaufseher und Vorarbeiter, der Büroangestellten und selbstverständlich der Fabrikanten. Nur Einzelne dieser mehr oder weniger durch ihre Herkunft privilegierten Gruppe schafften danach den Eintritt in die Mittelschule in Achstadt.

      Um die Wende zum 21. Jahrhundert war das graue Vergangenheit. Es gab mit zwei Ausnahmen, nämlich je einer in Wirrwil und Kreuzach, in der gesamten Region keine Zigarrenfabriken mehr. Auch viele der übrigen grösseren Industriebetriebe waren in den letzten Jahrzehnten verkümmert oder eingegangen. In Wirrwil allein gingen Hunderte von Arbeitsplätzen verloren. An ihre Stelle waren neue, vorwiegend kleine Betriebe für Spezialitäten und Dienstleistungen getreten. Ein Grossteil der arbeitenden Bevölkerung fuhr inzwischen als Pendler jeden Morgen mit der modernisierten schnellen Strassenbahn oder im eigenen Auto zur Arbeit in und um Achstadt oder zu noch weiter entfernteren Stellen.

      Erstaunlicherweise hatte die Zahl der Einwohner trotzdem leicht zugenommen. Das Dorf hatte sich zu einer Gemeinde mit guter Infrastruktur, modernen Einkaufsmöglichkeiten, Sportanlagen, Kinos und einem Saal für kulturelle Anlässe gemausert. In den 80er Jahren wurde an der Dorfgrenze zu Kreuzach ein erstaunlich grosszügiges, der gesamten Region offenstehendes Wohnheim für Rentner gebaut.

      Dank der Nähe zum Dorf hatte sich an dem Bau ausnahmsweise auch die katholische Gemeinde Kreuzach beteiligt. Das war übrigens nicht die einzige Ausnahme. Auch bei der Wasserversorgung, der gemeinsamen Feuerwehr und bei der Erschliessung von Bauland durch Eindeckung des Kreuzbaches konnte man sich einigen. Letzteres hatte sich vor allem durch den Anschluss des Dorfes an die regionale Abwasserreinigungsanlage aufgedrängt und war ein Projekt, das alle Gemeinden rund um den See einschloss. Nur so wurde es möglich, den See als Ganzes zu sanieren.

      Als Nächstes wurde der Bau einer regionalen Schulanlage insbesondere für die höheren Klassen geplant. Eine Beteiligung Kreuzachs war bei der katholischen Bevölkerung sehr umstritten. Reformierte Lehrer waren der Mehrheit im Dorf trotz aller in den letzten hundert Jahren eingeübten Toleranz noch immer suspekt. Nur wenige Einwohner erinnerten an frühere Zeiten, in denen Mama Brand und ihre Söhne noch Einfluss hatten. Niemand hätte damals daran gedacht, sich von diesem grossen Unternehmen fernzuhalten und die Sekundarschüler per Bus ins bedeutend weiter entfernte Pfaffwil zu schicken.

       André Werths Heimat

      André war einer jener Studenten, die im feuchtfröhlichen Überschwang die Region mit all ihren vergangenen Tabakfabriken in und um Wirrwil Schmauchtal getauft hatten. Er war wohl der Einzige, der diese Erfindung nicht vergass.

      Er selbst war auf den Namen Andreas getauft worden. Der Schweizer Bürger mit süddeutschen Wurzeln, in Wirrwil aufgewachsen, wurde als junger Mann Sekundarschullehrer für Deutsch, Französisch und Geschichte. Während seines Studiums verbrachte er mehrere Monate in Frankreich, um sein Französisch zu vertiefen und alltagstauglich zu machen. Er dachte jedoch nie daran, sein Leben dort zu verbringen, liess sich von da an aber trotzdem André rufen. Er begann seine Zeit als Lehrer in Bern, beinahe unberührt vom Aufbruch der jungen Leute in den späten 60er Jahren. Bern bekam in jenen Jahren einen neuen Bahnhof und im Bundeshaus ärgerten sich die etablierten Politiker über die revoltierende Jugend.

      André hatte in der Stadt ein gutes Netzwerk aus Kolleginnen und Kollegen, Freunden und Freundinnen. Sein ohnehin ansehnliches Einkommen rundete er zusätzlich stundenweise in Privatschulen auf. Er hatte ein gutes Leben, trotzdem …

      Mit 28 Jahren lernte er in einer seiner Klassen die 18-jährige Französin Miriam kennen, eine junge Musikerin, die einen Jahreskurs am Berner Konservatorium belegte und bei André ihr noch sehr fragiles Deutsch aufbessern wollte. Zu seiner eigenen Bestürzung, wie er später immer wiederholte, glaubte er, ohne sie nicht leben zu können. Er folgte ihr nach Versailles, wo ihre Eltern lebten und weiter nach Paris, wo sie zusammenzogen, fand dort anfänglich an verschiedenen privaten Instituten stundenweise Anstellungen als Deutschlehrer und machte sich damit vertraut, dort zu bleiben. André und Miriam heirateten und bekamen zwei Kinder.

      Die Weltstadt lebte in Aufbruchstimmung, der Algerienkrieg war längst überwunden und de Gaulle zog sich nach Colombey-les-deux-Eglises zurück. Paris begann die Zukunft zu planen. Es entstanden das von vielen Franzosen geschmähte Centre Pompidou, im Vorort Défense die französische Version von Lower Manhattan, an Stelle der fehlgeplanten Schlachthöfe Park und Museum der Villette und schliesslich der neue Bahnhof Montparnasse. Zwischen Paris und Marseille wurde die erste TGV-Linie geplant und gebaut.

      Im Lauf der Jahre schaffte André den nicht einfachen Zugang zu Pensa in staatlichen Mittel- und Hochschulen, nicht im Hauptfach Germanistik, sondern vorwiegend für angehende Ingenieure, Chemiker, Biologen, Mathematiker, Physiker und so weiter, die sich mit Deutschkenntnissen bessere Start- oder Karrieremöglichkeiten versprachen.

      Allerdings blieb Deutsch trotz der von de Gaulle und Adenauer durch den Freundschaftsvertrag vorangetriebenen Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich für die meisten Franzosen eine wenig beliebte Fremdsprache. So musste André über Jahre immer wieder um sein Budget bangen und kämpfen. Andererseits wollte ihm niemand seine Jobs streitig machen. Es gab kaum kompetentere Anwärter für dieses Fach auf seiner Stufe. Immerhin entwickelte sich sein Einkommen zwar nie überwältigend, aber durchaus ansehnlich.

      In der Schweiz hätte er weit mehr verdient. Doch Miriam verdiente als Musiklehrerin an einem Lyzeum und mit stundenweise Privatunterricht meist so viel oder gar mehr wie er, trat in wechselnden Orchestern auf und brachte es da und dort gar zur ersten Violinistin mit bescheidener Gage. Sie war überzeugt, in der Schweiz keine Chance zu haben und konnte sich ein Leben in diesem kleinen Land schlicht nicht vorstellen.

      Ihre Kinder, die beiden Mädchen Corinne und Nadine, fuhren hin und wieder zur Grossmutter in die Schweiz, lernten jedoch zum Leidwesen des Vaters nur ein sehr oberflächliches Deutsch. Sie fanden die Sprache kompliziert, Papas Vorhaltungen «déplacé» und das Schweizerdeutsch sorgte zusätzlich für Verwirrung, meinten sie, als sie grösser wurden. Andere Kontakte gab es nicht sehr viele. Zwar gab es eine grosse Sympathie von Andrés Mutter Irma Miriam gegenüber, doch mehr als einmal pro Jahr sah man sich nicht.

      Um das Jahr 2000 wanderte die ältere Tochter mit ihrem Freund nach Kanada aus und die jüngere heiratete einen Ingenieur, der in Toulouse für den Airbus arbeitete, mit dem sie in den Süden Frankreichs zog.

      Ein Jahr danach hatte Miriam ihren Mann endgültig zur Scheidung gedrängt. Die beiden hatten über viele Jahre eine mehr oder weniger liebevolle, später eine eher emotionslose, aber weitgehend spannungsfreie und zuletzt eine ziemlich gleichgültige Ehe geführt, obwohl sie sich, wie er glaubte, nie ganz aufgaben.

      Mit dem endgültigen Weggang der Töchter sah Miriam keine Zukunft mehr in dem doch ziemlich oberflächlich gewordenen gemeinsamen Leben, zudem – sie war kaum 50. Zehn Jahre Altersunterschied machten sich für sie mehr und mehr bemerkbar. Sie konnte sich einen Mann, der in wenigen Jahren zu Hause sass, während sie arbeitete, nicht vorstellen. Auf ihr Drängen hin verkaufte er ihr seinen Anteil an der Wohnung und mietete sich eine bescheidene СКАЧАТЬ