Schweizer Tobak. Albert T. Fischer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Schweizer Tobak - Albert T. Fischer страница 12

Название: Schweizer Tobak

Автор: Albert T. Fischer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783907301005

isbn:

СКАЧАТЬ nervte nicht nur diese Idee, sondern auch die Tatsache, dass sich ihr Bruder André in Paris aus diesen Geschichten völlig heraushielt. Sie reiste dauernd zwischen München und Wirrwil hin und her und führte am Telefon mit ihrer Mutter endlose Gespräche.

      Neben der Sorge um ihre Enkel, besonders um Sonja, entwickelte Irma eine abgrundtiefe Wut gegen deren Mutter. Es half nichts, ihr zu erklären, dass diese Frau kaum 40 Jahre alt war, zu jung, um für den Rest ihrer Jahre ohne Mann zu leben. Irma meinte dazu, sie selbst lebe seit 52 Jahren ohne Mann, wo da das Problem liege? Und wenn schon, dann hätte Silvia wenigstens die Kinder mitnehmen oder sich einen Mann in ihrer Umgebung suchen können! Die 90-Jährige war untröstlich.

      Im Herbst 2001 starb Silvia auf ihrer Tabakplantage an Herzversagen. Grossmutter und Konrads Geschwister erhielten diese Nachricht von den drei Enkeln aus São Paulo, Ines hatte den Brief geschrieben. Silvia wurde in der Nähe von Belize begraben. Eduardo reiste hin, er kam aber zum Begräbnis zu spät. Er wollte jedoch mehr über die Umstände ihres Todes erfahren und musste sich mit dem, was Silvias Mann ihm erzählte, zufrieden geben. Silvia starb gemäss eines Arztzeugnisses trotz ihrer erst 44 Jahre an einem Blutgerinnsel mit nachfolgendem Infarkt. Mehr war laut Eduardo nicht herauszufinden. Er war jedoch überzeugt, dass sie dort im Norden wie viele andere Menschen an Überarbeitung, Tabak, Nikotin und an den mit Flugzeugen über die Felder gesprühten Pestiziden starb.

      Wie sehr die Kinder um ihre Mutter trauerten, war nicht auszumachen, gewiss wurde nicht jedes der drei Geschwister in gleichem Masse davon betroffen. Am meisten Sorgen machte sich die Grossmutter um die 15-jährige Sonja, doch Elisabeth beruhigte, sie sei in ihrer Sippe und in der Klosterschule gut aufgehoben. Irma kommentierte Silvias Tod mit: «Das ist die Strafe!»

      Als Konrad nach Brasilien auswanderte, war André 18 Jahre alt gewesen. Er wohnte als Jüngster, nur unterbrochen durch seinen dreimonatigen Sprachaufenthalt in Frankreich, noch etwas über zwei Jahre alleine bei seiner Mutter und der inzwischen 82-jährigen Grossmutter. Danach studierte er in Bern und kam nur noch selten zu Besuch. Die Geschwister pflegten unter sich kaum Kontakte, wenigstens nicht zu André.

      «Ich fühlte mich nie wirklich als Teil einer Familie. Als ich in den ersten Schuljahren war, waren meine Geschwister beinahe erwachsen. Es gab in unserem Haushalt keinen Mann, keinen Vater und meine Geschwister waren für mich weit weg, weit voraus, sie wohnten einfach bei uns und eigentlich bin ich in einer Frauenwelt aufgewachsen», hatte André seiner späteren Frau erzählt.

      Nur zu einem Mann entwickelte er so etwas wie ein Verhältnis zwischen Junge und Mann oder gar Vater: zu Lorenz Gramper, dem Strassenwischer aus dem kleinen katholischen Nachbardorf.

      Lorenz kam beinahe wöchentlich einmal vorbei, um nach dem grossen Gemüsegarten und den Blumenbeeten zu sehen und den Rasen zu mähen. Irma liebte zwar den Garten, aber nicht die dabei anfallende Arbeit. Der Gramper, so nannte sie ihn, verdiente sich damit ihrer Meinung nach ein gar nicht so kleines Zugeld. Jeweils im Frühling legte er die neuen Beete an, pflanzte das Gemüse, jätete aufkeimendes Unkraut zwischen den Blumen, schnitt die Sträucher, die Beeren, Obstbäume und das Aprikosenspalier an der Hausmauer. Im Herbst erntete er die Äpfel, Birnen und Zwetschgen, räumte die Beete und grub den Gemüsegarten um. Das alles machte er immer nach Feierabend und an Samstagen. André liebte es, ihm dabei zuzusehen und war oft eifrig bemüht, ihm zu helfen. Manchmal, wenn Irma Lorenz sauren Most, Brot, Käse und ab und zu eine Wurst zum Sitzplatz brachte, setzte sich der Kleine zu ihm und freute sich auf die Häppchen, die der Lorenz ihm überliess. Sogar von der rohen Zwiebel, die der Mann über alles liebte, liess er sich etwas geben. Lorenz gab ihm das Gefühl, auch ein Mann zu sein. Den Most verweigerte er dem Knirps.

      Von Lorenz lernte André die Namen der Blumen kennen, durch ihn erlebte er, wie die Amseln beim Umgraben auf die frei gewordenen Würmer lauerten, sie aus ihren Löchern zogen und zu den Nestern trugen. Er zeigte ihm die Blattläuse und wie sich die Ameisen darum kümmerten. Er schwärmte vom Rossmist für die Rosen und bedauerte die zarte Gesundheit dieser wunderbaren Blumen. Als sie blühten, liess er ihn die von Sorte zu Sorte unterschiedlichen Düfte riechen. Durch Lorenz erlebte André, wie die Katze Mäuse fing und danach mit ihnen ihr grausames Spielchen spielte.

      Anfänglich kam Lorenz auch zum Holzspalten, doch das war inzwischen vorbei. Nun wurde das Haus mit einer Ölfeuerung geheizt. Lorenz hatte im Garten die grosse Grube für den Öltank ausgehoben und dabei an einem gewaltigen Durst gelitten.

      Dabei bemerkte André zum ersten Mal in seinem Leben, wie sich ein Mensch veränderte, wenn er über den Durst trank. Lorenz redete langsamer, er lallte ein wenig mit der Zunge und die Worte verloren hin und wieder den Zusammenhang. Nein, betrunken war Lorenz in seiner Gegenwart nie, nur ein wenig angesäuselt, so nannte seine Mutter den Zustand jeweils nachsichtig lächelnd.

      Natürlich lernte André auch einige von Lorenz’ vielen Kindern kennen, vor allem die etwa gleichaltrigen Jungen Felix, Franz, Markus und Peter. Freundschaften wurden daraus nicht, denn die Gramperbuben gingen in Kreuzach zur Schule.

      Hin und wieder kam Felix mit seinem Vater, um da und dort in der Naturwiese seine Mausefallen in die Erde zu stecken. Das war Felix’ grosses Geschäft und er wusste sehr viel über diese angeblich schädlichen Nager. Felix erzählte auch von seinen Kaninchen und lud André ein, sie zu besuchen. Er ging hin und bekam ein Junges geschenkt. Das gab zu Hause einen Aufruhr! Zuletzt kaufte ihm die Mutter einen Kaninchenkasten und die Grossmutter passte auf, dass er den niedlichen Hüpfer ordentlich fütterte. Doch das arme Tierchen lebte auch so nicht lange. André liess es gelegentlich im Garten herumrennen. Einer von Tante Helenes beiden riesigen, aber sonst friedfertigen Hunden brachte dem lustig hoppelnden Häschen mit einem einzigen Biss ein bitteres Ende.

      André bedauerte es, keinen Vater zu haben wie Lorenz einer war, und er beklagte sich darüber auch bei seiner Mutter. Bislang hatte sie das eher geahnt, als dass sie um das Manko ihres Jüngsten wusste. Sie konnte das nicht ändern. In diesen Jahren liess sie André vermehrt zu ihrem Bruder Ernst und ihrer noch immer kinderlosen Schwägerin Helene gehen. Sie hoffte, Ernst könne für den Jungen auch so etwas wie Vaterersatz werden. Zwar gewann André eine gewisse Nähe zu seiner Tante, doch der meistens in seinem Arbeitszimmer oder auf der Terrasse grosse Zigarren rauchende Ernst blieb für ihn irgendwie unnahbar, eher eine Autorität, die ihm imponierte, aber die er auch seiner Stimme und seiner schieren Grösse wegen ein wenig fürchtete.

      In seiner Erinnerung mochte er Tante Helene ganz gern. Sie verwöhnte ihn mit Schokolade und im Sommer mit selbst gemachter Eiscreme. Andererseits fand er das Leben in ihrem Haus eher langweilig. Bei ihr drehte sich alles um ihre Bücher, Schallplatten und Kochrezepte. Sie schrieb dauernd Briefe, offenbar an Freundinnen auf der ganzen Welt – Brieffreundinnen seien das, Frauen, die sie seit ihrer Mädchenzeit kannte, ohne sie jemals gesehen zu haben, und sie rauchte endlos Zigaretten, das mochte er nicht. Sie versprühte immer wieder Parfüm, das mochte er auch nicht, aber im Grossen und Ganzen konnte er sie trotzdem ganz gut leiden.

      Sie liebte seiner Ansicht nach besonders ihre beiden riesigen Hunde, zwei schwarze, langhaarige und ausserordentlich friedfertige Neufundländer, die sie in ihrem Garten frei herumrennen liess und denen sie im Keller einen grossen Raum als Stall eingerichtet hatte. Jeden Tag und beinahe bei jedem Wetter ging sie mit den beiden Tieren in den Wald. Ab und zu kam sie mit ihnen zu Besuch und liess die für ihn bärenähnlichen Wesen auch in Andrés Garten herumtollen. Dass einer der beiden das Kaninchen zu Tode biss, erschreckte den Jungen.

      Wie in all den Jahren, wenn er, selten genug und meistens nur für wenige Stunden, seine Mutter besucht hatte, fand er das Haus und seine Lage schlicht einzigartig. Über dem See am Heimberg mit freier Sicht auf die Alpen, nicht weit vom Wald und doch ganz nahe im Zentrum des inzwischen beinahe zur weiträumigen Siedlung gewachsenen Dorfes, fühlte er so etwas wie nach Hause gekommen zu sein. Hier konnte er Heimat erleben, Frieden, Heilung von den Verletzungen, die er und vermutlich auch Miriam sich, wenn nicht aus СКАЧАТЬ