Название: Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte
Автор: Louise Otto
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204908
isbn:
Und wie lustig war es an erleuchteten Fenstern des Abends vorüberzufahren in Dorf und Stadt – welche Ausbeute von Genrebildern, welche Blicke in das Haus auf den Heerd, in das Familienleben! – all dies machte das damalige Reisen so unterhaltend, gab Stoff zum Schauen, zum Plaudern, Sinnen, Denken, gewiß auch zum Malen und Schreiben – mehr als man das jetzt in unserm modernen Reiseleben findet, das so oft nichts weiter ist, als eine Fahrt von Hôtel zu Hôtel.
Wie anders auch war es beim Besuch von schönen Gegenden, bei Fußreisen und Gebirgstouren. Wurde man doch nicht wie jetzt schubweise auf einer bestimmten Station ausgesetzt, wo dann gleich ein langer Menschenzug den Weg zu der oder jener berühmten Höhe oder Ruine antritt und dabei verpflichtet ist, keinen »Schritt vom Wege« zu thun, weil man sonst die fahrplanmäßige Stunde der Rückkehr zum Bahnhof versäumen könnte, wo man doch nur die Alternative hat entweder athemlos und abgehetzt zur rechten Zeit anzukommen oder die Zeit statt sie in Gottes freier Natur zu genießen im Wartesaal in eingeschlossener Luft oder auf dem Perron im Locomotivenqualm und -Lärm zu verbringen.
Wanderte man damals auf einsamen Gebirgspfaden nur den Wegweisern und den Specielkarten folgend, die man in der Tasche trug zu irgend einen berühmten Aussichtspunkt, so grüßten die Wandernden einander, man winkte sich fröhlich zu, gleichsam die Wanderfreude zusammen theilend, nun auch zur ersehnten Stätte pilgern zu können – zur Wartburg, zum Kyffhäuser – man war in der glücklichen Stimmung, in der man in allen Menschen Brüder und Schwestern sah, sie alle Kinder desselben allliebenden Gottes, der seine Erde so schön geschaffen. Man war eben auf Reisen ein anderes Wesen, hatte den Alltagsmenschen und noch mehr die herkömmliche Salonmiene daheim gelassen, man war einfach seelenvergnügt und nickte den Landleuten so herzlich zu als diese selbst ihr trauliches »Grüß Gott!« uns boten. Die zum selben Ziele zogen oder von dem unsern schon zurückkehrten, die wunderten sich nicht vornehm abweisend wie jetzt, wenn man um Auskunft bat oder sie selbst gefällig bot, das Eine ward, wie das Andere fröhlich dankend angenommen und gegeben.
Aber freilich war es eine Seltenheit, daß Damen allein reisten und nun vollends zum Vergnügen, und vollends junge! Was jetzt ein Alltägliches, war, wie schon erwähnt, damals ein Wagniß, es war ein Emanzipationsversuch beinahe der bedenklichsten Art.
Ich erinnere mich noch mit Vergnügen meiner ersten
Reise, die ich nach begonnener Schriftstellerlaufbahn als ich vierundzwanzig Jahre alt war, unternahm, – weil mir großstädtische literarische Freunde so oft gesagt hatten, ich dürfe nicht immer so ruhig in meiner Kleinstadt sitzen, ich müßte mehr hinaus in's Leben und in der Welt mich ein Bischen umsehen. Der Culturhistoriker Gustav Klemm in Dresden, Oberbibliothekar der königlichen Bibliothek daselbst, den ich dort kennen gelernt, der sich für alle strebsamen Frauen interessirte und der mich meiner deutschen und fortschrittlichen Gesinnung willen schon damals nicht anders als die »Bürgerin« Louise Otto nannte (wozu noch kam, daß ich damals Besitzerin des von meinen Eltern mir hinterlassenen Hauses geworden) und in keinem Brief mich anders anredete als »Verehrte Bürgerin«, drang besonders darauf, daß ich eine selbstständige Reise mache, erbot sich, mir Plan und Empfehlungen mitzugeben. Diese erste Reise galt denn dem romantischen Thüringen. Zog doch die Sehnsucht zu den Dichterhäusern und Gräbern in Weimar, zur Wartburg! Doch bestimmte mich dies nicht allein. Ich konnte die Reise von meinem Meißen aus mit der »Vetternstraße« in Leipzig und Naumburg beginnen – ich hatte weniger Einreden von Verwandten und Bekannten zu befürchten, wenn mein Ausflug diesen »weiblichen« Anfang nahm. Zum Reisegeld diente das Honorar für meinen Roman »Die Freunde«, der schon mit auf der Wartburg spielte, noch ehe ich sie gesehen und zu dessen Helden, dem Herrnhuter-Jüngling Ulrich, ich das Modell auf einer vorjährigen Tour von Leipzig nach Naumburg kennen gelernt und von ihm einen Theil der Geschichte seines Lebens wie der seines Freundes, des Burschenschaftler Karl, erfahren. Es war damals ja eben die Zeit als in Leipzig verschiedne Relegationen wegen burschenschaftlicher Verbindungen stattgefunden und das heilige deutsche Schwarz-roth-gold beinahe bei Lebens- und Todesstrafe verboten war, weshalb es mir auch eine schmerzlich-süße Genugthnung, meinen gesinnungsverwandten Freunden schwarz-roth-goldne Brieftaschen oder Cigarrenetuis oder Spiegelscheiden mit Perlen oder Chenille zu sticken, die doch nicht gar so gefährlich waren, wie die verpönten Bänder und Mützenränder. Jener Ulrich aber, der aus der Herrnhuter Gemeinde von Neudietendorf stammte und damals von Leipzig heimreiste, war mein Nachbar in der Wagenfahrt von Leipzig nach Naumburg gewesen und da in jenen Zeiten jeder Hauterer, dem seine Pferde lieber waren als seine Passagiere, bei jedem Berg, den es hinanging, an die Thierfreundlichkeit derselben appellirte: ob sie nicht lieber aussteigen und den Berg hinaufgehen wollten – der Weg gehe sich viel besser, als daß er sich fahre! (d.h. so sagten die »gemüthlichen« mit jovialen Lächeln, die andere Sorte öffnete den Wagenschlag und rief kurz und gut hinein: »Hier wird ausgestiegen! 's kommt a großer Berg!« und damit wurde man denn an die Luft gesetzt und höchstens mit unsereins unter der wohl volkswitzigen Bemerkung; »Die leichten Mamsellchen können sitzen bleiben!« eine Ausnahme gemacht.) Und so war ich denn mit Ulrich mehrfach ausgestiegen, den Wagen nebenher oder auch vorausgewandert, wenn der Hauterer in den zu passirenden Städtlein allzulange hielt, und er hatte mir so viel gesprochen vom romantischen Thüringen, dessen Sohn er war, daß es mir leid that, die Fahrt in Naumhurg abbrechen zu müssen. Von dort aus hatte ich dann wohl mit der Freundin und ihrem Gatten, in dessen gastlichen Haus ich wochenlang weilte, die Umgegend zu Fuß und Wagen durchstreift, aber ich war doch eigentlich nur bis an die Pforte von Thüringen und nicht hinein gekommen. Wie sehnte ich mich nach dem Schauplatz eines eignen Romans – der schon geschrieben und gedruckt vor mir lag und es hatte seinen besonderen Reiz, das Honorar dafür eben dort zu verbrauchen.
Der Cultur-Klemm also, der um meine Cultur freundlich besorgt war, hatte mir vorgeschrieben: Jena, Weimar, Erfurt, Gotha, Reinhardsbrunn, Liebenstein, Wartburg Eisenach, Kassel, Minden, Weserfahrt bis zur Porta Westfalika, Hannover, Braunschweig, Magdeburg, Leipzig.
Es war dies eine »große Reise« von Meißen aus 1845, denn in Leipzig endete die Eisenbahn und in Hannover begann sie erst wieder. Auch gab es zum Führer noch keinen »Bädecker« – Ludwig Bechstein's »Thüringen« im »malerischen Deutschland« mit den schönen Stahlstichen war mein Vorstudium. Das von Klemm angegebene Programm fuhr ich denn gewissenhaft ab. Ueber das grauwollne gestreifte Reisekleid ward ein ecru-Staubmantel gezogen, für Nachtfahrten ein graues Mäntelchen, wattirt und mit blauer Seide gefüttert, ein italienischer Strohhut mit blauem Schleier, ein schwarzseidnes Kleid und die nöthigste Wäsche in der Reisetasche, den größten Theil der Baarschaft an Geld in's Corsett genäht: so begab ich mich statt eines fahrenden Schülers oder Musensohns, eine fahrende Schülerin oder warum nicht auch eine Musentochter? von Naumburg aus, nachdem ich schon in Kösen wie auf der alten Nudelsburg fast heimisch gewesen, nach Jena, der Musenstadt. Frei wie die Lerche kam ich mir vor – und doch beschlich mich ein sonderbares Gefühl nun plötzlich unbekannt unter lauter Unbekannten zu sein! aber ich sprach mir Muth zu, nicht ein Pendant zum Peter in der Fremde abzugeben! Man hatte mir daheim genug abgeredet von dem Wagniß, dem Unpassenden, dem Abenteuerlichen einer solchen Reise – ich hatte widersprochen СКАЧАТЬ