Название: Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte
Автор: Louise Otto
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204908
isbn:
Von Eisenach bis Kassel mit der Eilpost war damals eine lange Tour – eine Nachtfahrt. Da ich das Unglück hatte, wieder einen artigen alten Herrn darin zum Nachbar zu haben und Aussicht, die letzte Station mit ihm allein zu fahren, indeß vorher noch mehrere Passagiere darin saßen, so ersuchte ich den Schaffner, mich zu sich in's Cabriolett zu nehmen »um dort den Sternenschein besser genießen zu können!« Freilich ward mir da wenig Schutz vor der Nachtluft, aber doch Schutz vor männlichen Flegeleien der widerwärtigsten Art. Mit Tagesgrauen erreichte ich Kassel. Da es am Mittwoch war, so sprangen die Wasser in Wilhelmshöh und da mich an der table d'hôte eine englische Familie, zwei Damen und ein Herr fragten, ob ich in ihrem Wagen dahin die vierte Person abgeben wolle? war mir dies gerade recht. Allein sie machten dann die Sache in englischer Manier ab, fuhren nur zu den Wasserkünsten »um sie gesehen zu haben« und ließen das ganze schöne Wilhelmshöh mit all den herrlichen Parkanlagen im Habichtwald unberücksichtigt. Da beschloß ich denn, noch einen Tag in Kassel zu bleiben und die Partie nochmals, aber zu Fuß zu machen. So geschah es denn; es war ein wundervoller Sommertag für meine Wanderung auf einer vielbesuchten Chaussee. In der Restauration ließ ich mir dann den Weg zur Löwenburg beschreiben und von da zum Herkules dem großen Christoph. Allein der Pfad, der Wald, die Höhe – Alles nahm größere Dimensionen an, als ich erwartet – kein Lüftchen wehte, kein Vogel regte sich im Wald, nur da und dort huschte und guckte ein Eichhörnchen neugierig herab – keine Burg, kein Herkules, kein Mensch ließ sich sehen – doch ja, da stand einer – als wär's der große Christoph selbst, so riesenmäßig und wie jener die mächtige Keule, eine große Art auf der Schulter. Er grüßte und ich fragte, ob ich auf dem rechten Weg zur Löwenburg sei? Er sah mich verdutzt an: »Dahin gehen Sie so allein? – Es war immer dieselbe Frage! auch im Marienthal bei Eisenach hatten sie die Buschweiber gethan und als ich geantwortet: »Warum denn nicht? Ich denke es giebt in Thüringen nur lauter gute Menschen! da fürcht ich mich nicht!« hatten sie geantwortet: »Das schon, aber es ist doch plaisirlicher mit einer Mannsperson!« und da ich gesagt, daß ich das nicht fände, hatten sie mir ein schallendes Gelächter nachgesandt. Also überall derselbe Standpunkt. Jetzt war ich nun nicht mehr im gemüthlichen Thüringen, ich kam mir entsetzlich weit vom Hause vor und als der lebendig gewordene große Christoph weiter erklärte, ich fände mich nicht allein, er müsse mitgehen und mir den Weg zeigen, war ich doch im ersten Augenblick froh darüber und unüberlegt genug, als er mich weiter examnirte ihm wissen zu lassen, daß ich allein gereist und weil er an der Sprache hörte, daß ich keine Kattentochter mich als sächsisches Mädchen verrieth – da erschrak ich plötzlich vor dem Blick mit dem er die Ringe an meiner rechten Hand betrachtete, von der ich den Handschuh abgezogen, eine mir unbekannte Blume zu pflücken – da dachte ich plötzlich: wenn dich der Mann hier erschlägt und ausplündert, denn zerlumpt und grimmig sah er aus, so erfährt kein Mensch etwas davon – er hat dich gewiß auf falsche Fährte gelockt, denn von der Burg ist ja nichts zu sehen! aber umkehren war so gefährlich wie weiter gehen – ich redete nur manchmal sehr laut, wenn doch vielleicht noch ein menschliches Wesen in der Nähe sei – schwül und endlos erschien Weg und Zeit – aber da kamen Stufen, dort oben lag die Burg! Ich athmete auf, bat in meinem Herzen meinem Führer jeden Verdacht ab und gab ihm ein reichliches Trinkgeld, das er freudestrahlend nahm – nur darum war es dem armen Holzfäller zu thun gewesen.
Damals war eben Ernst Bandel mit der Idee des Hermanndenkmals aufgetaucht – in der Keule des »Herkules« wieß man hinüber nach dem Teutoburger Wald. Dorthin solle der Hermann zu stehen kommen – und die beiden mächtigen Gestalten würden einander grüßen können. Wie Wenige glaubten damals daran! Wie konnte aber auch Jemand etwas ahnen von dem Humor der Weltgeschichte, daß erst ein Napoleon Kaiser und dann Gefangener von Wilhelmshöh werden mußte, ehe das Hermannsdenkmal vollendet, aufgerichtet und würdig geweiht werden konnte! Das kleine Dampfschiff, das mich auf der Weser von Münden bis zur Porta stromab trug, hieß »Germania« und eine Büchse zur Sammlung für das erwähnte Denkmal befand sich am Cajüteneingang. Ich steckte mein Scherflein hinein, aber die meisten lächelten darüber und sagten es sei eine romantische Grille. Ich sang in meinem »Weserlied«:
Ist denn kein Hermann da?
Kein Hermann und keine Germanen
Zu Schutz und Trutz bewehrt,
Die heilge Freiheit der Ahnen
Zu wahren mit dem Schwert?
Wie wunderte man sich auch auf dem Dampfschiff über die allein reisende junge Dame und meinte, ich wolle irgendwo in Bremen oder sonst mich einer auswandernden Familie zugesellen!
Von Hannover an gab es dann Eisenbahn und da war ja das Reisen ziemlich so wie jetzt, nur hatte man noch keine Damenconpees eingerichtet – sie sind erst in neuerer Zeit eingeführt worden, – seitdem man sich eben nicht mehr wundert, daß Damen allein reisen.
Ich habe dies hier so umständlich aus meinem eignen Jugendleben erzählt, um der jetzigen Generation zu zeigen, wie es noch vor dreißig Jahren gewaltig anders in der Welt war und wie, was mit Post u.s.w. eine große Reise, jetzt nur eine kleine Tour ist, zu der man kaum so viel Tage als damals Wochen brauchte. Zugleich mag auch daran sich nachweisen lassen – eine Mahnung die auch nicht schaden kann – wie man damals noch unter andern Gesichtspunkten, gleichsam weihevoller, reiste nicht nur um die Mode mit zu machen und auch mit sprechen zu können. Auch meine ich man kann nicht oft genug daran erinnern wie damals engherzige Menschen durch das Alleinreisen die Weiblichkeit gefährdet glaubten und eine gewisse Sorte von Männern geneigt war, solche Damen für vogelfrei zu halten, wie man also von allen Seiten die Frauen von jeden selbstständigen Schritt, jeden Sichselbstgenugsein, jeden kleinsten entschiednen Sich-auf-sich-selbst-stellen und verlassen zurückzuhalten suchte. Gerade auf diesem Gebiet ist die Welt eine ganz andere geworden.
Ich reiste damals wie auch später, nicht um nach Stoffen zu jagen, nicht um bestimmte Studien zu machen, noch um zu dichten – ich reiste aus Liebe zu Gottes schöner Natur, zum deutschen Vaterlande, in reiner, fröhlicher Wanderlust und – um mindestens mir selbst und auch womöglich Andern beweisen zu können, daß auch Frauen dazu ein Recht hätten und nicht erst nöthig haben sollten, zu warten, bis ein Bruder oder später der Gemahl die Güte hätte, unter seinem Schirm sie mitzunehmen. Die deutschen jungen Männer – man war und ist ja noch heute so frech von »der deutschen Jugend« zu reden und dabei nur an Jünglinge, nicht auch an Jungfrauen zu denken – kannten ja kein schöneres Vergnügen und »Bildungsmittel« als zu reisen, warum sollte es den Frauen nicht zugänglich sein? – Freilich, damals wanderten jene noch gern mit dem Nänzchen und Knotenstock ihres Weges, was jetzt kaum noch auf der interessantesten Bergtour geschieht. Daß die Frauen gleiche Strapazen dieser Art wie die Männer aushalten, finden wir nicht für nöthig, obwohl viele es können – und eben darum wurden die Eisenschienen auch zum besten Hilfsmittel »neue Bahnen« einzuschlagen auch für die Frauen. Das Reisen ward dadurch gleich, und gleich leicht für beide Geschlechter.
Wie man uns berichtet, betragen die Schienenwege auf dem Erdenrund jetzt schon mehr als 300,000 Kilometer – und am 27. September 1825 befuhr zum Erstenmale, wie damals ein Berichterstatter der »Times« meldet, »eine nur durch Dampf getriebene Maschine die ohne Pferde auf eisernen Schienen lief und noch 38 mit Kohlen beladene Wagen hinder sich herzog die 41 Kilometer lange Strecke von Stockton bis Darlington in England.« Dasselbe Blatt warnte vor den Uebertreibungen und Hoffnungen, die sich hieran knüpften, denn eine Verallgemeinerung dieser Einrichtung und eine Verbindung großer Strecken in solcher Weise anzunehmen sei doch Ueberspannung. – Freilich waren es nicht die Regierungen, noch Gelehrte, welche diese СКАЧАТЬ