Название: Gesammelte Werke
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813475
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Die Liebe zur Gerechtigkeit flammte in Carter Watson auf. »Herr Wachtmeister, ich protestiere.«
Aber im selben Augenblick packte der Schutzmann seinen Arm mit einem kräftigen Ruck, dass er fast gefallen wäre. »Los, Sie sind verhaftet.«
»Verhaften Sie ihn auch«, schrie Watson.
»Dazu liegt kein Grund vor«, lautete die Antwort. »Was müssen Sie ihn auch überfallen, wenn er friedlich seine Suppe isst?«
II
Carter Watson war ernstlich böse. Nicht allein, dass er aus reinem Übermut überfallen, dass ihm übel mitgespielt und er zur Polizei geschleppt worden war, die Morgenzeitungen brachten ausnahmslos unheimliche Artikel über seine Betrunkenheit und den Streit mit dem Besitzer des bekannten »Vendôme«. Sie brachten nicht eine einzige wahrheitsgetreue Zeile. Patsy Horan und seine Trabanten beschrieben den Kampf in allen Einzelheiten. Es wurde als eine unbestreitbare Tatsache festgestellt, dass Carter Watson betrunken war. Dreimal war er aus dem Lokal hinaus in den Rinnstein geworfen und dreimal wutspeiend wiedergekommen und sollte dabei erklärt haben, dass er die Bude ausräuchern wolle. »Carter Watson kriegt sein Teil ab«, lautete die erste Überschrift, die er nebst einem großen Bild auf der ersten Seite sah. Andere fette Überschriften lauteten: »Carter Watson trachtet nach den Ehren der Meisterschaft«; »Bekannter Soziologe versucht berüchtigtes Café zu räumen«; »Carter Watson von Patsy Horan in drei Gängen k.o. geschlagen«.
Am nächsten Morgen erschien Carter Watson vor dem Polizeigericht, um sich zu verteidigen. Die Anklage lautete: Carter Watson ist beschuldigt, einen Überfall auf einen gewissen Patsy Horan verübt zu haben. Aber der Staatsanwalt, der bezahlt wird, um gegen jeden vorzugehen, der sich gegen die Staatsgewalt vergangen hat, zog ihn beiseite und sprach unter vier Augen mit ihm.
»Sollen wir nicht die Sache lieber fallenlassen?« meinte der Staatsanwalt. »Ich will Ihnen sagen, was Sie tun müssen, Herr Watson. Reichen Sie Herrn Horan die Hand und vergleichen Sie sich mit ihm, dann lassen wir die Sache sofort fallen. Ein Wort an den Richter, und die Geschichte ist aus der Welt geschafft.«
»Aber ich wünsche sie nicht aus der Welt zu schaffen«, antwortete Watson. »Ihre Aufgabe ist es, mich anzuklagen, und nicht, mich zu einem Vergleich mit diesem – diesem Kerl aufzufordern.«
»Oh, ich werde Sie schon anklagen«, erwiderte der Staatsanwalt.
»Sie werden auch diesen Patsy Horan anklagen«, sagte Watson, »denn jetzt glaube ich ihn wegen Überfalls verhaften lassen zu können.«
»Sie tun wohl am besten, sich zu vergleichen«, wiederholte der Staatsanwalt, und diesmal klang seine Stimme drohend.
Beide Männer kamen eine Woche später vor das von Richter Witberg geleitete Polizeigericht.
»Du hast gar keine Chance«, sagte ein alter Jugendfreund, der frühere Chefredakteur der größten Zeitung der Stadt, zu Watson. »Gott und alle Welt wissen, dass du von diesem Mann überfallen wurdest. Er hat den schlechtesten Ruf. Aber das hilft dir nicht im geringsten. Beide Klagen werden gegeneinander aufgehoben. Und das geschieht auch nur, weil du der bist, welcher du bist. Jeder andere würde verurteilt werden.«
»Aber das verstehe ich nicht«, wandte der verblüffte Watson ein. »Ich bin ohne weiteres von diesem Mann überfallen und misshandelt worden. Ich habe ihm nicht einen einzigen Schlag versetzt. Ich –«
»Das spielt gar keine Rolle«, unterbrach ihn der andere.
»Was spielt denn eine Rolle?«
»Das will ich dir sagen. Du bist jetzt in den Krallen der hiesigen Polizei und des politischen Bandenwesens. Wer bist du denn eigentlich? Du bist nicht einmal Bürger dieser Stadt. Du wohnst irgendwo auf dem Lande. Du hast hier kein Stimmrecht und noch weniger Einfluss auf andere Stimmen. Dieser Kneipenwirt aber beherrscht in seinem Bezirk eine ganze Reihe von Stimmen – eine lange Reihe, eine lange Reihe von Stimmen.«
»Willst du mir einreden, dass dieser Richter Witberg die Heiligkeit seines Amtes und seines Eides verletzen und diesen brutalen Burschen laufen lassen würde?« fragte Watson.
»Du wirst schon sehen«, lautete die unheimliche Antwort. »Oh, er wird seine Sache schon gut machen. Er wird ein durchaus gesetzmäßiges Urteil fällen!«
»Aber die Zeitungen«, rief Watson.
»Die bekämpfen die Verwaltung augenblicklich nicht. Sie werden sich nicht die Finger für dich verbrennen. Du siehst ja, was sie schon über dich geschrieben haben.«
»Und diese Schnösel von Reporter werden also nicht die Wahrheit schreiben?«
»Sie werden etwas schreiben, das der Wahrheit so sehr gleicht, dass das Publikum es glaubt. Sie erhalten ihre Richtlinien, wie sie die Dinge verdrehen und färben sollen, und wenn sie erst ihre Artikel geschrieben haben, ist nicht mehr viel von dir übrig.«
»Aber der Termin ist doch schon angesetzt.«
»Du brauchst nur ein Wort zu sagen, und die Sache wird niedergeschlagen. Man kann nicht mit einer unterirdischen politischen Organisation kämpfen. Es sei denn – man hätte eine ähnliche Organisation hinter sich.«
III
An jenem Morgen, an dem der Termin angesetzt war, machte der Staatsanwalt noch einen Versuch, die Sache beizulegen.
»Wenn Sie die Sache so ansehen, hätte ich Lust, einen Rechtsanwalt mit der Verfolgung der Angelegenheit zu betrauen«, sagte Watson.
»Nein, das hätte keinen Zweck«, sagte der Staatsanwalt. »Ich werde dafür bezahlt, um anzuklagen, und anklagen werde ich. Aber das sage ich Ihnen, Sie haben keine Chance. Wir legen beide Sachen zusammen, und dann werden Sie was erleben.«
Richter Witberg machte einen guten Eindruck auf Watson. Er war ein angenehmer junger Mann, nicht groß, aber ganz kräftig gebaut, glatt rasiert und mit СКАЧАТЬ