Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ gefallen, aus dem er oft stöhnend emporfuhr und fragte: »Noch nichts?« – »Noch nichts,« lautete meine immer gleiche Antwort.

      Es war um acht Uhr. Da hörte ich auf einmal von fernher Stimmen und eilige Schritte. Ich lauschte. Die Schritte kamen näher. Die Thüre wurde aufgerissen. Der Beamte von gestern stand auf der Schwelle; hinter ihm sah ich Schutzleute. »Herr Rat!« rief er in die Stube. »Herr Rat! da ist er!«

      Der Schläfer erwachte und starrte auf die Thüre. Der Beamte aber zog aus dem dunklen Korridore den Knaben herein. Ich hätte jubeln können – es war Hans.

      Stille stand er da, das Haupt ein wenig auf die Seite geneigt, als zaudere er, weiter zu gehen, und angstvoll schaute er auf seinen Vater hinüber. Der aber sprang empor, eilte auf das Kind zu, schloß es in seine Arme, bedeckte sein Antlitz mit Küssen, streichelte seine Locken und konnte nichts hervorstoßen als: »Mein Sohn! Mein Sohn!«

      Jetzt ließ er ihn aus den Armen, hielt ihn von sich ab und sah ihm lange in die Augen. Das Kind aber öffnete mit Anstrengung die Lippen und sagte langsam: »O Papa, ich habe ›fast ungenügend‹.«

      Und wieder schloß der Vater seinen Knaben ans Herz. –

      Wie er gerettet worden war? Nach der Schule hatte ihn die Angst zur Stadt hinausgetrieben. »Nur nicht heim, nur nicht heim!« Das war sein einziger Gedanke gewesen. Und so lief er immer fort auf der Landstraße, immer fort in den frühen Abend, in die Nacht hinein. Draußen endlich, dort, wo die Straße durch den großen Wald geht, konnte er nicht mehr weiter vor Kälte und Erschöpfung. Er setzte sich auf einen Stein am Wege und wollte nur ein wenig ausruhen. Dort wurde er halberstarrt von einem Milchbauern bemerkt, der aus der Stadt heimfuhr. Der Mann hob den Knaben auf seinen Wagen, brachte ihn in sein Dorf, gab ihm zu essen und steckte ihn in ein Bett. In aller Frühe nahm er ihn wieder mit sich in die Stadt und lieferte ihn auf der Polizei ab; denn der Knabe hatte ihm um keinen Preis die Wohnung seines Vaters gesagt.

      Der Vetter hat seinen Knaben nicht mehr gescholten oder geschlagen, wenn er einmal eine schlechtere Note heimbrachte. Auch verlangte er nicht mehr von ihm, daß er »glänze«. Er überließ ihn von nun an dem sanften Einfluß der Mutter; denn es mochte ihm in den qualvollen Stunden jener schrecklichen Nacht wohl die Erkenntnis von seiner erzieherischen Unfähigkeit gekommen sein. –

      Für seine eigene Person nahm er keine Lehre aus jenen Erfahrungen. Im Gegenteil, es war, als wollte er durch doppeltes Streben ersetzen, was er an Hoffnung auf eine glänzende Zukunft seines Kindes verloren zu haben glaubte.

      So jagte und hastete er weiter. Vor ihm rollte auf der glänzenden Kugel seine Göttin. Viele rannten neben ihm, vor ihm, hinter ihm. – –

      Da warf man einen kleinen Stein in die Bahn vor seine Füße, und er stürzte, gerade als er die Hand nach dem höchsten Posten ausstrecken wollte. Es war nur ein kleiner Stein, doch er kam durch ihn zu Fall. Er hätte den Posten verdient, er hätte das nächste Anrecht darauf gehabt – ein Günstling wurde ihm vorgezogen. Eine so einfache, selbstverständliche Sache, eine Sache, die alle Tage vorkommt. Dem armen Menschen aber brach sie das Herz; denn er kannte ja nichts auf Gottes weiter Erde als den Ehrgeiz.

      Sie suchten ihn zu zerstreuen, sie unternahmen eine Reise in die Alpen mit ihm; es half alles nichts, er wurde krank. Das kranke Herz machte auch den Körper krank. Er kehrte heim, ich hätte ihn kaum wieder erkannt. Er war nur von einem Gedanken beherrscht: »Ich bin übergangen!« Und der Gedanke nagte wie ein Wurm an seinem Mark. Tagelang saß er da in dumpfem Brüten. Er konnte sich nicht emporreißen. Er sah nur auf den staubigen Weg, auf dem die Göttin in der Ferne verschwand, seine Göttin.

      Da kam ein Mächtiger. Der streckte seine eisigen Hände aus und rührte ihn an. Da verdunkelten sich seine Augen, und seine Pulse stockten. – –

      Ich stand lange vor seiner Leiche und schaute in das tote Antlitz. Die Züge waren noch härter, noch schärfer als ehedem. Der Mund war krampfhaft geschlossen, auf der wachsgelben Stirne waren tiefe Furchen zu sehen. »Dies Leichenantlitz ist so friedlos,« dachte ich bei mir.

      Und wie friedlich hätte dieser Mensch leben können, wenn er bei Zeiten das wahre Erdenglück erkannt hätte. Er war gewiß nicht unedel gewesen, dieser hochbegabte Mann; aber er hatte sein Leben in einem Wahn vergeudet.

      Ich stand und dachte an die Verblendeten, die keuchend einherlaufen hinter der Göttin, und ich wünschte, sie möchten einen Augenblick innehalten und auf diesem friedlosen, starren Antlitz ihr Spiegelbild schauen können.

      Und den andern, den Streber, wünschte ich zum Bahrrecht her an diesen Schragen, den Günstling, für den man dem Toten das Steinchen in den Weg geworfen hatte. Auch wäre es gut, wenn solche Menschen den Jammer ihrer Opfer ansehen müßten, sie sollten dabei sein, wenn diese sich totwund verkriechen und zum Sterben legen! –

      »Du Thor!« wird da der eine oder der andere sagen. »Du Thor! das ist eben einmal so im Leben, das ist der Kampf ums Dasein, das ist die Carriere!«

      »Ja wohl,« sage ich, »du Thor, das ist die Carriere!«

      »Vater,« begann ich, nachdem wir lange schweigend neben einander hergegangen waren. »Vater, hältst du also das Verlangen nach Auszeichnung überhaupt für verwerflich? Diese Geschichte, die ich in ihrem ganzen Zusammenhange nie gekannt habe, hat mich erschüttert. Aber ich glaube, daß es doch auch ein Streben gibt, das sehr achtenswert ist.«

      »Gewiß, mein Sohn,« erwiderte der Vater. »Ich habe deinen Einwand erwartet. Höre weiter:

      »Es liegt dem Menschen im Blute, sich zur Geltung zu bringen, sich hervorzuthun, und dieser Drang ist eine der mächtigsten Triebfedern der menschlichen Gesellschaft. Wer die Kraft in sich fühlt, hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, nach der Stellung im Staate zu ringen, die ihm volle Entfaltung möglich macht; denn das Wort vom vergrabenen Pfunde ist ein furchtbar ernstes Wort, und der Zweck unseres Daseins ist nicht die Beschaulichkeit, sondern die Arbeit.

      »Aber gleichwie alle großen, gottgewollten Einrichtungen, so kann auch dieser Trieb mißbraucht und zu Knechtsdiensten herabgewürdigt werden, und das rechtschaffene Streben verwandelt sich in eine wilde Jagd nach dem Glück!

      »›Nit eitel Ruhm!‹ hat vor Zeiten einer unseres Geschlechts in das Spruchband seines Wappens als Wahlspruch geschrieben. ›Nit eitel Ruhm!‹ möchte auch ich dir auf deine Frage antworten.

      »Arbeite, ringe, kämpfe – steig' auch meinetwegen, aber thue alles um der Sache willen; nur dann wirst du Frieden haben. Niemals strebe um deiner selbst willen; denn das ist ein jämmerlicher Lebenszweck, bei dem das Herz verdorrt, bei dem die Augen blöde werden. Und wenn du nicht lediglich um der guten Sache willen arbeitest, so wirst du auch wohl dann und wann im stande sein, das gute Recht des unbequemen Nächsten deinem Ich zu opfern.

      »Ich mag es nicht hören, das welsche Wort Carriere, dieses Wort, das so viele unserer besten Geschlechter seit Generationen vergiftet, das schon so manchen kraftvollen Jüngling unvermerkt zum gefügigen Ja-Herrn gemacht hat.

      »Ein anderer unseres Geschlechtes, ein Mann vom Scheitel bis zur Sohle, der unter den widrigsten Verhältnissen durch treue Arbeit zu hoher Stellung emporgestiegen war und zuletzt in stolzer Bescheidenheit einen Ministerstuhl ausschlug, hat, als er sich zum Sterben legte, seinem Sohne gesagt: ›Du sollst mir kein Ja-Herr werden.‹

      »Hüte auch du dich, mein Sohn, jemals das letzte Ziel alles unseres Strebens aus den Augen zu verlieren. Dann wird alles, was du thust, einen großen Hintergrund bekommen, dann wirst du dir von selbst klar über die unendlich feinen Grenzen, die zwischen dem Guten und dem Bösen gezogen sind. – –

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