Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ begonnen, es wurden fünfzig, es wurden hundert, und Kerdern schaffte ohne Ruhe. Eine Verbesserung nach der andern ersann er, und eines Tages führte er seinen fürstlichen Freund vor eine kunstvolle Maschine, die von ihm selbst erfunden war, dem ganzen Betrieb eine neue Richtung gab und seinen Namen weit und breit im Reich bekannt machte. –

      Jahre gingen vorüber. Zwei kluge Söhne und eine Tochter wuchsen den Eltern heran, und die Tochter hatte das schöne Antlitz der Mutter. Georg aber konnte schon manches von den bedeutenden Geldern zurückzahlen, die er hatte aufnehmen müssen, und es schien alles sehr gut zu gehen. Da kam das Unglück.

      Hast du schon einmal eine bange Nacht durchwacht? Bist du schon einmal auf deinem Lager gelegen mit offenen Augen, mit klopfenden Pulsen und mit quälenden Gedanken? Hast du schon einmal mit verzehrender Ungeduld die Schläge der Turmuhr gezählt und dem Morgen und dem Tageslichte entgegengeseufzt? Erinnere dich dieser Nacht, und stelle dir vor, daß nach deinem langen Warten keine Dämmerung mit der Dunkelheit gekämpft hätte, daß kein goldenes Sonnenlicht zu deinen Fenstern hereingeflossen, daß alles, alles finster geblieben wäre. Und denke dir, die Nacht hätte zehn lange Jahre gewährt und dann hätte sie noch kein Ende gefunden, und denke dir, du hättest mit deinen klopfenden Pulsen und mit deinem heißen Blute und mit deinen brennenden Augen in dieser Nacht rastlos umhergehen müssen und hättest dabei immer geahnt, daß bei den andern Menschen heller Tag war.

      Denke dir alles dieses. Und jetzt gehe mit mir in das Waldthal.

      Wenn sich über diesem Thal ein Gewitter entladen hätte, wenn ein Blitzstrahl in die hohe Tanne vor dem Herrenhaus gefahren und sein entsetzlicher Funke auf das Dach hinübergesprungen wäre und hätte den Herrn und sein gutes Weib und den älteren Sohn und das Töchterlein erschlagen, und der kleinere Sohn wäre wehklagend aus der brennenden Heimat in den Wald hinausgelaufen – es wäre schrecklich gewesen, und die Leute weit und breit hätten viel darüber gesprochen; aber es wäre ein großes Glück gewesen.

      Ich weiß nicht, war es ein Morgen, war es ein Mittag oder war es ein Abend – da jagte ein Bote auf der Straße von dem alten Städtlein her, jagte durch den Wald im Thale, trieb sein Roß über die Holzbrücke in den Hof des Herrenhauses und rief: »Der Herr Herzog ist vom Schlage getroffen!«

      Ich weiß nicht, war es ein glänzender Morgen, war es ein heißer Mittag oder war es ein stiller Abend – das weiß ich, daß jetzt die lange Nacht anhub, von der ich dir vorhin gesagt habe.

      Kaum hatten sie den gütigen Herzog mit großem Gepränge beigesetzt, kaum hatte die Herzogin-Mutter samt ihrem Beichtvater für den unmündigen Erbprinzen die Regierung in die Hand genommen, da schlichen feindliche Gestalten auf den Hammer draußen im Wald: der Neid und der Ketzerhaß. Die Knechte wurden schwierig, die Köhler verkauften ihre Kohlen außer Lands und fragten nichts nach dem Hammer, Gelder wurden gekündigt, in der Hofkanzlei begann man die Privilegien abzuändern, man beschnitt die Zollfreiheit, und zuletzt hob man alles auf, was der tote Herzog einst »auf ewig« verliehen hatte, und baute unweit vom Kerdernhammer in einem andern Thale einen fürstlichen Hammer.

      Durch das Gebälk des Herrenhauses aber ging ein Knistern und Krachen, und immer härter wurde die Zeit.

      Zu unerschwinglichen Summen wuchsen die Schulden. Es kamen Kriegsjahre, und alles wurde noch schlimmer, es wurde Friede, und nichts besserte sich. Zehn Jahre schleppte der arme Mann sein Elend, und als auch der Bruder im Walde nicht mehr nachhelfen konnte, fiel endlich alles zusammen. – –

      Das dachte ich unter der hängenden Weide, und noch einmal stieg mir vor der träumenden Seele der hohe Giebel des Herrenhauses empor, und ein früh gealterter Mann von fünfzig Jahren mit schneeweißem Haupthaar, mit gebeugtem Rücken und müden Augen trat unter der Thüre hervor. Neben ihm schritt sein Weib, und er suchte ihr zitternd eine Stütze zu geben. Ihre Kinder waren bei ihnen und waren erwachsene Leute geworden. Diese Menschen gingen über die Brücke und verschwanden im Walde. Wohin sie wohl gekommen sind?

       * * *

      Am nächsten Tage waren wir wieder in der kleinen Stadt und saßen in einem stillen Gewölbe des Pfarrhauses. Vor uns lag ein großes Buch mit schweren Deckeln und mit metallenen Spangen und mit krauser Schrift. Und ich schlug vier Seiten auf in diesem Buche und merkte sie mir ein. Dann las ich dem Vater die erste vor. Auf der stand geschrieben:

      »Anno 1752 den 1. Mai wurde begraben mit großem Geläute und auf fürstliche gnädigste Concession zu Nachts nach acht Uhr mit zwölf Fackeln: Herr Georg Kerdern, anfänglich gewester Ingenieuroffizier bei Herrn Herzogs *** hochseliger Durchlaucht, der hernach aber, nachdem er sich in ein weitläufiges und kostbares Hammerwerk eingelassen und darüber in große Schulden verfallen, anfänglich suspendieret und endlich gar kassieret worden. Also ohne Dienst und Gnadengehalt noch einige Jahre in größter Noth gelebet, bis er aus Kummer und Schwäche gestorben seines Alters 52 Jahr, 8 Monat, 8 Tag.«

      Ich schlug die zweite von den vier Seiten auf, die ich mir eingemerkt hatte. Da stand:

      »Anno 1759 den 23. September wurde begraben mit großem Geläute und zwölf Fackeln bei der Nacht: Frau Anna Maria Kerdern, eine geborene von Steineck, weiland Herrn Georg Kerderns, gewesenen aber zuletzt dimmittierten hochfürstlichen Ingenieuroffiziers nachgelassene Frau Wittib, welche durch Schwachheit, Sorg und Kummer entkräftet ihres Alters 54 Jahr, 4 Wochen gestorben in der Bürgerpfründ.«

      Ich schlug die dritte Seite auf und las:

      »Anno 1763 wurde begraben den 20. Aprilis Fräulein Sophie Charlotte Kerdern, des Herrn Georg Kerdern nachgelassene einige Tochter, mit großem Geläut zur Nachtzeit mit acht Fackeln, welche als eine Melancholika im hiesigen Bürgerpfründ seit etlichen Jahren her ihr Leben in der Stille zugebracht hat, an einer Auszehrung, alt 34 Jahr auf den Tag.«

      Da graute uns, und ich schlug die vierte Seite auf und las:

      »Anno 1768 den 5. Juni mit großem Geläut des Nachts bei zehn Fackeln vom Spital aus besungen und getragen: Herr Wolfgang Philipp Kerdern, in jüngeren Jahren gewesener hochfürstlicher Regierungsadvokat. Weiland Herrn Georg Kerderns älterer, lediger Herr Sohn. Ein hochgelehrter Mann, so unterschiedliche berühmte Bücher geschrieben, aber dabei ein singulärer Mann, der die Advokatie aufgeben, weiß niemand warum, glaubt man, dieweil er ein exemplarischer Sohn war, von wegen der Ungerechtigkeiten, so seinem Vater zugefüget worden und so er nicht hat verwinden können, war ein Melancholikus. Ist in der Bürgerpfründ, nachdem er von Lichtmeß an, aller Vorstellung, auch herzoglichem Spezialbefehl ungeacht, außer Wasser und Brot nichts genossen, seines Alters 40 Jahr, 5 Monat, 28 Tag bei gutem Verstand und christlicher Bereitschaft gestorben. Sein Wahlspruch war: Die Liebe höret nimmer auf.«

      Jetzt schloß ich das Buch. Wir gingen aus dem Gewölbe, gingen aus dem Städtlein und fuhren unsere Straße.

      Lange noch tönten die Worte von dem großen Leid in meinen Ohren, diese friedlosen Worte des alten Kirchenbuches. Und doch hörte ich auch aus diesem Leide versöhnend das Rauschen des ewigen Stromes. Verlassen, entehrt, arm, ganz kraftlos waren diese Menschen geworden; aber als das irdische Glück unter ihnen versank – da blieb die Liebe bei ihnen. Bis zum Tode haben sie ihr Elend mit einander getragen und sich abgehärmt für einander – aber sie durften sich auch lieben bis zum Tode. – Die Liebe höret nimmer auf.

       * * *

      Ein weiter Weg lag vor uns; denn es verlangte uns nun sehr, zu erfahren, wie es dem zweiten Sohne des unglücklichen Mannes und seinen Nachkommen ergangen war.

      Das Schloß in der Mark.

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