Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ Und hast gedacht, es sei dir schlecht gegangen.«

      Da kamst du kleinlaut heran.

      »Nun?«

      »Note III, Vater.«

      »Aber Georg! Leichtfuß!« –

      »Ach, Vater, die war auch arg schwer. Der Hans . . .«

      »Was ist's mit dem Hans?« rief ich und hatte eine böse Ahnung.

      »Der hat III–IV.« –

      Ich schwieg. Aber diese fatale Note – »fast ungenügend« – hätte ich heute lieber in meinem Hause gesehen, als da drüben. –

      Da streckte unsere Köchin den Kopf zur Thüre herein: »Die Frau Rätin läßt fragen, ob der Hans vielleicht bei uns ist.«

      Wir verneinten. »Er ist heute gar nicht mit uns heimgegangen,« sagtet ihr. »Er hat noch auf den Herrn Professor gewartet.«

      Das Mädchen entfernte sich, und ihr erzähltet, Hans habe sich in der Klasse vor den Lehrer hingeworfen und ihn flehentlich gebeten, ihm doch einen »halben Fehler« nachzulassen; dann hätte er noch die dritte Note. Der Lehrer habe das natürlich nicht thun können, er habe ihn aber aufgehoben, habe ihm freundlich zugesprochen, er solle eben das nächste Mal besser arbeiten. Hans habe die Hände gefaltet, habe gefleht und schrecklich geweint.

      Es ergriff mich Sorge um das Kind. Ich warf meinen Mantel um und eilte über die Straße zur Cousine.

      Die zarte Frau war in großer Aufregung. Sie stand zum Ausgehen gerüstet, und ich bot ihr meine Begleitung an. Auf dem Wege zum Lehrer des kleinen Hans erzählte ich ihr das Gehörte. Da brach sie in krampfhaftes Weinen aus und sagte: »Mein armes, armes Kind! Ich glaube, es thut sich ein Leid an. Es fürchtet seinen Vater. Was wir beide aber in den letzten Wochen ausgestanden haben, das weiß der liebe Gott allein!« –

      Wir kamen zum Lehrer. Er wußte nichts über den Verbleib des Kleinen. Er war sehr bestürzt; denn er liebte den braven Schüler. Wer hätte dieses Kind auch nicht lieben sollen? –

      Wir riefen die nächste Droschke an und fuhren zum Gymnasium. Das große Gebäude lag dunkel und öde. Lange mußten wir vor dem Thore warten, und ich hatte Zeit, mich an jenen sonnigen Herbstmorgen zu erinnern. Endlich kam der Pedell. Auch er wußte nichts von dem Knaben.

      Ich wandte mich zu der zitternden Mutter: »Nun fährst du am besten aufs Bureau zu deinem Mann und bestellst ihn auf die Polizei. Ich gehe die paar Schritte zu Fuß hinüber und mache die Anzeige. Er trifft mich dort.« Wir drückten uns die Hände und trennten uns. –

      Ich nannte dem Beamten den Namen des Kindes und gab eine kurze Beschreibung seiner Person. Nach fünf Minuten eilten Schutzleute in die Winternacht hinaus.

      Jetzt kam ein Wagen angerasselt. Der Vetter stürzte in das Zimmer. Er war totenbleich, und das böse Gewissen sah aus seinen Augen. Ich trat ihm entgegen. Er tastete nach meinen Händen, als wollte er sich daran klammern.

      »Das Nächste ist besorgt,« sagte ich. »Wir können jetzt nichts thun, als warten. Fasse dich!«

      »Warten!« stöhnte er und bedeckte das Antlitz mit den Händen. – –

      Ja, es war ein entsetzliches Warten in jener Nacht. Von fernher drang verworren der Lärm der großen Stadt in das stille Amtszimmer. Alle halben Stunden kam das Dienstmädchen der Cousine, und immer wieder mußte ich es ohne Trost entlassen. Der Vetter hatte sich in die dunkelste Ecke auf ein Sofa gesetzt und starrte vor sich hin. Ich stand an einem der hohen Fenster und schaute in den schwarzen Hof hinaus. Das Feuer im Ofen krachte, der Beamte schrieb an seinem Pulte, und seine Feder fuhr knisternd über das Papier. Die Minuten wurden zu Stunden, und die Stunden wollten sich zu Nächten dehnen. Zuweilen kam ein Schutzmann herein, und mit ihm drang ein eiskalter Luftstrom aus dem Korridore in das Zimmer. Und wieder ward es ganz stille in dem weiten, dunklen Gemache, nur das Feuer krachte, und nur die Feder knisterte. Aber um so geschäftiger, um so lauter war die Phantasie, die entsetzliche Phantasie. Mit Geisterhänden zog sie meine Gedanken hinaus unter den blitzenden Sternenhimmel, hinein in die Gassen der Stadt. Ich sah, wie das verschüchterte Kind, das sich nicht heimzugehen getraute, mit verweinten Augen, müde an den Häusern durch das Gewühle der Menschen hinschlich, ich sah, wie es sich allmählich aus den belebten Straßen in die öden Stadtteile verirrte, ich ging mit ihm immer weiter und weiter, der Schnee knirschte, und aus der Ferne her rauschte der Fluß. Jetzt stand der Knabe zitternd auf der langen, menschenleeren Holzbrücke, und ich sah, wie er sich über das Geländer beugte, wie er kämpfte mit der Todesangst und mit der Angst vor der Strafe. . . . . Immer weiter beugte er sich hinab, die schwarzen Wellen trieben eilig daher und stießen einander und sangen verwirrende Lieder. . . .

      Da! Wieder war ein Schutzmann in das Zimmer getreten, hatte sich das Eis vom Bart gestrichen und sprach flüsternd mit seinem Vorgesetzten. Jetzt kam dieser langsam auf mich zu; er wollte mir etwas sagen – etwas Entsetzliches. Der Verzweifelte auf dem Sofa aber sprang auf und rief heiser: »Sagen Sie's nur! Er ist tot! Ich will alles wissen!« Bekümmert erwiderte der Beamte: »Wir wissen noch gar nichts Bestimmtes; aber ein Schutzmann, der soeben in der Kanalvorstadt abgelöst wurde, erzählt von einem Knaben, den sie aus dem Fluß gezogen haben. Näheres kann er nicht sagen; aber er weiß, wo der Verunglückte hingebracht wurde. Wenn Sie hinausfahren wollen, kann er den Weg zeigen.«

      Die letzten Worte hörten wir kaum mehr. Eine Droschke wurde angerufen, wir sprangen ein, der Schutzmann schwang sich auf den Bock, und im Galopp ging es hinaus in die Vorstadt. Wie lange, wie entsetzlich lange erschien mir die Fahrt! Der Wagen rollte über den pfeifenden Schnee. Die Laternen flogen vorüber. Ich kratzte ein Stück der gefrorenen Scheibe frei und starre hinaus. Seltsam, es war derselbe Weg, den auch vor wenigen Minuten meine Phantasie geführt hatte! Die Straßen wurden öder, die Laternen standen weiter auseinander, jetzt rauschte der Fluß, jetzt fuhren wir langsam über die Holzbrücke, dann ging es wieder im alten Tempo weiter, und endlich hielten wir mit einem Ruck vor einem niedern Hause. Ein Haufe Neugieriger umdrängte die kleinen Fenster, die Vordersten schauten gespannt in die Stube hinein und tauschten leise Bemerkungen. Der Schutzmann bahnte uns den Weg, und wir standen in der warmen, dampferfüllten Stube einer Wäscherin. Eine trübe Lampe hing an der Decke und warf ihr unsicheres Licht über einen Tisch und über den entkleideten, leblosen Körper eines halbgewachsenen Knaben. Ein Blick auf das bleiche Antlitz – es war unser Kind nicht. Aber unwillkürlich blieben wir stehen und sahen dem Arzte zu. Es war ein alter Herr; er hatte den Rock ausgezogen und waltete mit bekümmertem Gesichte seines Amtes. Neben dem Tische kniete ein Weib in dürftigen Kleidern und schluchzte laut. »Es ist ihr Einziger,« sagte ein Mann, der neben uns stand. Sonst war es ganz stille, und nur zuweilen gab der alte Herr kurze Befehle an die Wäscherin und an die Männer, die ihm Handreichung thaten. Es war ein jammervoller Anblick – aber der Jammer in unsern Herzen war gerade so groß. Der Vetter zog mich leise aus der Stube fort, wir stiegen in unsern Wagen und fuhren ab. Da kam plötzlich Bewegung in den Haufen vor den Fenstern. Wir hörten noch schreien: »Er lebt! Er lebt! Ein Hoch dem Doktor!« Der Vetter aber lehnte sich tief in die Kissen zurück und schluchzte laut. –

      Nach einer Viertelstunde saßen wir wieder in dem Zimmer des Beamten und nahmen das schreckliche Warten von neuem auf.

      Ich will sie nicht weiter schildern, jene Nacht, die ich niemals vergessen werde. Es war ja immer dasselbe Einerlei: Ich ging auf und ab, der Vetter saß gebrochen auf dem Sofa, in den Straßen wurde es allmählich totenstill, rapportierende Schutzleute kamen und gingen, die Beamten lösten sich ab – von dem Knaben hatte man keine Spur gefunden.

      Der Morgen dämmerte heran. Ich stand wieder am Fenster und schaute СКАЧАТЬ