Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ er sonst sich's heimlich mache. –

      Merkwürdige, schneidende Gegensätze! Ich weiß ja gar wohl, sie müssen vorhanden sein, sie sind in der Natur der menschlichen Unvollkommenheit tief begründet; ich weiß auch sehr wohl, daß gerade in den großen Städten unendlich viel geschieht zu ihrer Ausgleichung. Und doch besuche ich sie nicht gerne, diese großen Metropolen. Wenn ich so fremd hereinkomme, dann sehe ich nur die Gegensätze in dem schrecklichen Gewühle und höre mitten in dem sinnverwirrenden Lärm des Verkehrs gar viel halbunterdrücktes Weinen und Klagen. Das verleidet mir alle Freude an dem bunten Treiben, ich sehe das Bild, aber ich sehe nur die häßlichen Schatten. Ich gehe durch die breiten Straßen als ein Fremder, ich blicke empor an den hohen Häusern, ich trete vielleicht auch dann und wann in die engen, düsteren Höfe und betrachte die massigen Hinterhäuser, ich beobachte, wie die Glücklichen so unbekümmert durch die Menge der Unglücklichen hinschreiten, ich schaue, und es graut mir.

      Ich weiß freilich, daß das ganze Leben eine lange, lange Kette solcher unsäglich harter Gegensätze bildet. Die Stadt schuf all den Zwiespalt nicht, der ist viel älter, der war schon da, lange ehe die erste Stadt gebaut wurde. Im Dorfe sind diese Gegensätze, in der Familie sind sie, ach, im eigenen Herzen liegen sie dicht neben einander: hier, in diesem Winkel, sitzt die Freude, dort kauert das Elend, hier wohnen die guten Gedanken, dort, dicht daneben, schlafen die bösen Geister, du darfst sie nur wecken, dann stehen sie auf, mächtig groß, und erschrecken dich und verderben dich vielleicht. Ja, nicht nur in den großen Städten gibt es dunkle Plätze und Gassen.

      Wir saßen in einem der Weinhäuser in Mitte der Stadt. Längst hatten wir gegessen. Es war schon ziemlich vorgerückte Zeit. Der Vater las in einem Blatte, ich musterte von unserer Ecke aus das bunte Treiben in dem großen Raume.

      Plaudernd, lachend, lesend, essend, trinkend saß die Menge rings umher. Die Kellner glitten geräuschlos zwischen hindurch. Ich beobachtete die Kolporteure, die von Zeit zu Zeit mit ihren Waren durch den Saal gingen, Gestalten, die sich in großen Städten immer und immer wiederholen: dort die alte Frau mit den Zeitungen; sie geht etwas gebückt, aber noch immer entbehrt ihr Gang nicht einer gewissen Anmut; vielleicht war sie einst eine gefeierte Tänzerin. Hier der graue Mann mit den Zigarren und Meerschaumspitzen, die er offen zum Kaufe anbietet, und mit den häßlichen Bildern, die er mit widerlichem Grinsen verstohlen anpreist. Er geht umher mit langsamen, schleichenden Schritten. Ich höre seine heisere Stimme, ich sehe, wie er lauernd über die Gläser seiner Brille herübersieht und sich seine Leute mustert. – Hier das halbgewachsene Mädchen mit seinen blühenden Veilchen und Rosen und mit dem frechen Blick. Dort der braune Italiener mit seinen weißen Gipsfiguren und seinem schwermütigen Gesicht. Hier die Kinder alle mit ihrem hundertfältigen Tand und mit ihren verkommenen Gestalten. O du entsetzliche Großstadt!

      So saß ich und sann. Da kam ein Knabe in den Saal. Er nahm seine Mütze ab und strich sich das Haar aus der Stirne. Dann begann er seine Wanderung an den Tischen. Ich folgte ihm mit den Augen; er unterschied sich von den andern Kindern, die ihre Waren anboten. Lange ging er umher, doch niemand nahm ihm etwas ab. Was er verkaufen wollte, sah ich nicht. Ich bemerkte nur, daß er eine kleine Mappe in den Händen hielt.

      Er kam uns näher, und ich vermochte seine Züge genauer zu unterscheiden. Er hatte sehr große, dunkle Augen und braune Locken. Seine Wangen waren zart gerötet, aber ein düsterer Ernst lag auf dem Antlitz.

      Jetzt schritt er langsam an die Tische in unserer Nachbarschaft. Ich hörte, was er sprach:

      »Wappen, meine Herren, Wappen von allen Adelsfamilien und von allen bürgerlichen Geschlechtern auf Bestellung nach diesen Mustern.«

      Die meisten achteten nicht auf ihn, wenige sahen im Gespräch einen Augenblick auf die Mappe, die er schüchtern zur Ansicht darreichte, dann kehrten sie sich wieder gleichgültig um. Der Knabe sagte seinen Spruch zu Ende:

      »Auf Bestellung nach diesen Mustern von einem armen Familienvater, dem beide Beine fehlen, die Federzeichnung zu sechs Kreuzern, die Farbenskizze einen halben Gulden, alles nach den Regeln der Wappenkunst.«

      Man kaufte ihm nichts ab. Der Schatten auf seinem Gesichtchen wurde tiefer. Er kam an den Tisch, der uns zunächst stand. An dem saßen etliche junge Leute, die Glühwein tranken. »Wappen, meine Herren, Wappen,« begann der Kleine wieder und bot seine Blätter hin.

      »Was, Wappen, du kleine Kröte?« sagte der eine und strich ihm mit der Hand über die Haare. Der Knabe wich einen Schritt zurück und warf trotzig die Lippen auf. »Da geh' her,« rief ein anderer und hielt ihm sein dampfendes Glas vor den Mund, »da trink!« Der Knabe wandte den Kopf weg und sagte leise: »Ich danke, ich nehme nichts.«

      »Wappen auf Bestellung nach diesen Mustern von einem armen, bedrängten Familienvater, dem beide Beine fehlen.«

      »Ach was, du kleiner Tagedieb,« rief jener, vor dem der Knabe zurückgewichen war, »pack' dich mit deinen Lügen! Wir brauchen keine Wappen, wir sind Neuseeländer, die haben keine Wappen.«

      Und die andern lachten über den Witz.

      Der Knabe wandte sich traurig ab und sah zögernd in unsere Ecke herüber. Ich winkte ihm; sein Gesicht rührte mich.

      Da kam er heran. Er war reinlich gekleidet, aber sehr ärmlich. Ich schätzte sein Alter auf neun Jahre.

      »Was hast du denn zu verkaufen, Kleiner?« sagte ich. »Laß doch sehen! Setze dich auf diesen Sessel und lege deine Sachen auf!«

      Das Kind entfaltete eifrig die Mappe und breitete die Blätter mit den gemalten und gezeichneten Wappen auf dem Tisch aus, während es wieder seinen Spruch sagte:

      »Wappen von allen Adelsfamilien und von allen bürgerlichen Geschlechtern.«

      Dann stockte auf einmal seine Stimme, es legte den Kopf auf den Arm und weinte bitterlich.

      Jetzt mischte sich der Vater darein und sagte:

      »Ei, wer wird denn weinen? Komm, zeige uns lieber deine schönen Blätter! Malt die dein Vater? Sag! Wir wollen dir etwas davon abkaufen.«

      Da richtete sich der Knabe in die Höhe, lächelte in seinen Thränen und sagte stoßweise: »Der Vater malt sie, und dem fehlen beide Beine. O bitte, bestellen Sie etwas. Ich habe heute und gestern noch gar keine Bestellung bekommen.« »Die meisten Leute verspotten mich wegen der Wappen,« setzte er leise hinzu und sah verstört umher. »Und wir sind in Not und sind sechs Geschwister,« sagte er nach einer kleinen Pause mit dem Ernst eines gereiften Mannes.

      »Und deine Eltern lassen dich nachts so allein auf den Straßen umherziehen? Fürchtest du dich denn nicht?«

      »O, die Mutter ist ja bei mir. Die wartet immer vor der Thüre.«

      »Wie lange gehst du denn schon in den Wirtshäuern umher?«

      »Erst seit acht Tagen,« sagte er leise.

      »Wo wohnst du? Wohnst du weit von hier?«

      »Fast eine Stunde habe ich zu gehen.«

      »Und wie heißt du denn?«

      Da bedeckte eine tiefe Röte das feine Gesicht.

      »Ich darf's nicht sagen, der Vater hat mir's verboten. Die Leute spotteten sonst.«

      »Ja, wie sollen wir denn das Wappen bekommen, das wir bestellen werden?«

      Der Knabe zog ein Kärtchen aus der Tasche und reichte es uns herüber. Darauf СКАЧАТЬ