Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ Satz über den Ehrgeiz findet vor allem in einem schönen Pferderennen oder in einem Hahnenkampf ganz prächtige Bilder.« – –

      Wir waren am Ziele. Unter dem großen Thore des Gymnasiums schoben und drängten sich die Haufen. Ich gab euch die Hand. Der kleine Hans blickte ängstlich aus seinen großen Augen zu seinem Vater empor. Der hatte die Linke schwer auf des Knaben Schulter gelegt und hob drohend den Zeigefinger der Rechten.

      Ich stand und sah euch lange nach, und wieder wollten die schweren Gedanken kommen – aber es waren nicht mehr eure Krausköpfe, um die ich mich sorgte.

      Zwei Jahre waren ins Land gegangen. Der Vetter war an der goldenen Leiter eine Sprosse höher gestiegen.

      Ihr Knaben saßet in der dritten Lateinklasse, aber Hans hatte längst seine roten Backen verloren. Denn er mußte den Lebensanschauungen seines Vaters entsprechen und nicht nur ordentlich lernen, sondern auch glänzen, glänzen in den Lehrfächern der Schule, glänzen in der Musik, glänzen in der französischen Sprache – und auffallend oft erkundigte sich damals der Vetter bei mir über die Beweise unserer adeligen Herkunft. Ich bin überzeugt, er hatte seinen Hans zum Diplomaten bestimmt.

      Es war in der That erstaunlich, welche Kenntnisse der überreizte Knabe in Dingen besaß, die sonst weit über die Fassungskraft dieses Alters hinausgehen. Ich habe mich durch dieses Strohfeuer nie blenden lassen, sehr oft aber den Kopf darüber geschüttelt.

      Auch ihr hattet euch brav emporgelernt; aber ungestört befandet ihr euch noch im Besitze eurer Gesundheit; denn ich verlangte von euch das Glänzen ebensowenig, wie ich euch auferlegte, auf dem Seile zu tanzen. –

      An einem Abend gegen Ende Oktober war ich in Gesellschaft gewesen und bog um halb zwölf Uhr in meine Straße ein. Alles war still, die meisten Fenster lagen dunkel da, und ein leiser Regen ging zur Erde nieder.

      Ich hüllte mich fester in meinen Mantel, summte ein Liedlein vor mich hin und kam so allmählich an unser Haus.

      Eben wollte ich den Schlüssel anstecken, da hörte ich aus dem Hause gegenüber eine kreischende Stimme. Ich wandte mich um. In der Wohnung des Vetters im zweiten Stock brannte noch Licht. Die weißen Vorhänge waren herabgelassen, und ich sah zuweilen einen dunklen Schatten an ihnen, der sich hastig hin und herbewegte. Ich ging mitten auf die Straße. Der Schatten bewegte sich immer noch, und ich vermochte nun auch einzelne Worte aus den geschrieenen Sätzen zu unterscheiden. Der große Pädagoge nahm mit seinem Kinde griechische Vokabeln durch.

      Ich stand regungslos. Die feinen Tropfen fielen auf mich herab, und in meinen Ohren gellte das entsetzliche Geschrei. Wie gebannt sah ich zu den Fenstern empor, der Schatten ging auf und nieder, ich glaubte, ein wutbebendes Menschenantlitz zu sehen, ich dachte an den sanften, schüchternen Knaben, über den sich dieses Geschrei ergoß, ich glaubte, auch sein bleiches, abgespanntes Gesicht zu schauen, ich stellte mir vor, wie er sich müde und verweint zusammenduckte unter der gräßlichen Erschütterung und seine Gedanken nicht mehr zusammenzufassen vermochte. Das Entsetzen und der Zorn packten mich. –

      Am andern Morgen erzählte ich der Mutter, was ich gehört hatte, und sie teilte mir mit, daß dem kleinen Hans das Griechische Schwierigkeiten bereite.

      »Ah,« sagte ich, »das ist der Rückschlag. Die Sehne war zu straff gespannt, nun bricht der Bogen. Und heute ist ja die erste Probearbeit; da war wohl das, was ich gestern hörte, die Vorbereitung. O du Thor!«

      Als ich den Vetter am selben Tage noch traf, machte ich ihm rückhaltlose Vorwürfe und sagte ihm, daß er sein Kind auf diese Weise in kürzester Zeit zu Grunde richten werde.

      Er verstand mich nicht, sprach von Starrsinn und Flatterhaftigkeit und schloß mit den Worten: »Laß' du mich nach meinen Grundsätzen verfahren. Sein eigenes Fleisch und Blut kennt man am besten. Ich will den Baum biegen, so lange er jung ist, und Hans wird mir's einstens danken, wenn ich streng gegen ihn war.«

      Ich konnte nichts ausrichten. Er dressierte den Knaben auf Carriere, wie man einen Hund hetzt auf die Strohpuppe. Nach einigen Tagen kam das Ergebnis der Probearbeit heraus. Du, der gutbegabte Leichtfuß, hattest die dritte Note bekommen. Fritz aber, dem das Lernen viel langsamer einging, hatte die Zwischennote »drei zu zwei.« Ich weiß es noch sehr wohl: ich sprach dir ernsthaft zu und diktierte dir eine kleine Strafe. Denn du konntest besser arbeiten, wenn du wolltest. Zuletzt fragte ich dich, warum du nicht auch die Note III–II bekommen habest.

      »Ach Papa,« sagtest du kleinlaut, »ich habe um einen Viertelsfehler mehr als Fritz; ich habe 17¼ und Fritz hat nur 17 Fehler. Mit 17 Fehlern hätte ich noch III–II.

      Wir setzten uns zu Tische, es wurde nicht weiter über die Angelegenheit gesprochen. Ich machte mir meine besonderen Gedanken über Klausurarbeiten und Angstprodukte im allgemeinen und über Viertelsfehler im besondern.

      Abends fragte ich euch nach Hansens Note.

      »Ach, Onkel, der hat auch Note III,« sagte Fritz, »und weil er so geweint hat, ist er vom Herrn Professor vor die Thüre geschickt worden.«

      Ich warf der Mutter einen Blick zu. Sie sah mich traurig an; denn sie liebte den kleinen Neffen sehr. –

      Ihr Kinder waret längst in den Betten. Die Uhr ging stark auf die elfte Stunde. Da rief mich die Mutter in das Nebenzimmer, öffnete leise das Fenster und sagte: »Höre!«

      Wieder bewegte sich drüben hinter den weißen Vorhängen der kleine Schatten, wieder donnerte und schrie und kreischte es, und dazwischen hörte ich klatschende Schläge. Die Mutter flüsterte: »Barmherziger Gott, welche Sünde! Der martert sein zartes Kind noch zu Tode.«

      »Ich habe das Meine gethan,« sagte ich und schloß das Fenster. »Ich kann gar nichts mehr thun. Der Vetter bricht sofort ab, wenn ich die Rede darauf bringe.« –

      Lange noch glaubte ich in meinen Träumen das Geschrei zu hören, und ich sah das erbarmungswerte Kind, wie es sich tief herabduckte auf sein nasses Heft.

      Immer rauher wurde es draußen in der Natur, immer schwerer wurden die griechischen Deklinationen in der Schule, und immer trübseliger wurde das Gesicht des kleinen Hans. Wer ihm doch hätte helfen können! Er kam gar nicht mehr hinauf über seine Dreier.

      Es war in der letzten Woche vor Weihnachten. Tiefer Schnee lag, eine grimmige Kälte herrschte. Alles rüstete sich auf das Fest, und in der dritten Lateinklasse wurde noch eine Probearbeit geschlagen, die letzte vor den Ferien.

      »Sie war sehr schwer,« sagtest du am Abend; »aber ich glaub', ich habe nicht viele Fehler gemacht.« – »Ich glaub', mir ist's nicht recht gut gegangen,« sagte der bedächtige Fritz.

      »Nun, wir werden sehen,« lautete meine Antwort. »Gelernt habt ihr ja ordentlich, das weiß ich wohl.«

      Ihr sagtet »Gutenacht«.

      Als auch wir zur Ruhe gehen wollten, rief mich die Mutter wieder ins Nebenzimmer. Und wie so oft schon hörten wir das schreckliche, nervenzerrüttende Schreien. Nach und nach verstand ich abgerissene Worte. Der Mensch nahm mit seinem Kinde das Konzept der Probearbeit durch. »Zwanzig Fehler!« schrie er. »Da bekommst du ja einen Vierer! Aber warte dann! Freue dich auf den Christabend und auf die Feiertage. Ich schlage dir den Leichtsinn aus dem Leibe. Du wirst mir nur Schande machen, du Bursche!«

      Seufzend schloß ich das Fenster und fragte: »Was sagt denn die Mutter dazu?«

      »Sie weint immer,« lautete die Antwort.

      Am Tage vor dem Christabend СКАЧАТЬ