Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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Frau Böhk zuckte verlegen die Achseln: »Ein Bad könnte man versuchen«, meinte sie, »obgleich wohl kaum noch zu helfen sein wird.« Als sie aber das Kind nehmen wollte, keuchte dieses und zuckte zusammen, als fürchte es sich. »Lassen Sie es nur!« rief Rosa heftig und ließ den Vorhang ihrer Haare dichter auf das Kind niederfallen. »Sie glauben ja, dass es stirbt. Gehen Sie, ich will es allein pflegen.« Frau Böhk wich zurück und blieb mit Grethe stumm auf der Türschwelle stehen. Rosa achtete nicht darauf, ganz hingenommen von dem verzweifelten Kampf, den der hilflose Kinderkörper auf ihren Knien kämpfte.
Die Hände des Kindes bewegten sich unsicher und matt, als wollten sie etwas fortschieben, abwehren. An den Mundwinkeln war weißer Schaum, und die Augen flehten angstvoll zu Rosa empor. Was konnte sie tun? Das war die entsetzliche Pein, die ihr das Herz abdrückte, dass sie ohnmächtig vor der bittern Not ihres Kindes stand. Das arme kleine Wesen, das noch keinen Schmerz kannte, wurde ganz allein einem dunkeln, grausamen Etwas gegenübergestellt, mit ihm zu ringen. Das Kleine, das sich vor seinen eigenen Händen fürchtete, sollte einsam den dunkelsten, unheimlichsten Weg gehen, und seine Mutter musste müßig zusehen, musste es dem Tode überlassen. Dazu mischte sich in das übermächtige Erbarmen der menschliche egoistische Abscheu vor dem Tode. Rosa hatte es nie gesehen, wie ein Mensch stirbt, und jetzt machte sich eine schmerzliche Neugier geltend. Rosa verfolgte genau jede Bewegung des Kindes, als lese sie in den krampfhaft zuckenden Zügen etwas von dem Geheimnis des Todes, das sie mit schauderndem Erstaunen erfüllte.
Sehr stille war es im Zimmer geworden; nur ein ganz leises Geräusch war hörbar, wie das Prasseln einer Nachtlampe, die verlöschen will. Das war das Röcheln des Kindes. Endlich verstummte auch dieses. Das Kind bewegte seinen Kopf hin und her, wie taumelnd, zuckte mit den Händen, streckte sich und lag bewegungslos da.
Frau Böhk winkte Grethe mit den Wimpern zu, und beide entfernten sich auf den Fußspitzen. Rosa blickte unverwandt den Körper an, der jetzt steif in ihren Armen lag. Was sich eben vollzogen hatte, dachte sie nicht klar; nur die eine Empfindung war in ihr wach: »Das Kind ist nicht mehr da, es ist fort – ist irgendwo verlassen und allein im Finstern, und ich kann nicht zu ihm.« Die Spannung ihres Geistes ließ nach, ihre Glieder wurden lose und weich. Es war ihr, als sänke sie unaufhaltsam in einen Abgrund nieder; sie durfte nicht nachgeben – sie verließ etwas – sie gab etwas auf; und doch – wie konnte sie widerstehen? Es tat ihr wohl. Immer tiefer – finstrer – stiller. Ihr totes Kind in den Armen haltend, den Kopf an die Wand gelehnt, versank Rosa in einen ohnmächtigen Schlummer.
Fünftes Kapitel
Frau Böhk beabsichtigte im Wohnzimmer einen kleinen Katafalk aufzuschlagen, die Leiche des Kindes auf demselben in Blumen zu betten und mit vier Kerzen zu beleuchten. Herr Böhk hatte für die Kerzen hübsche Ringe aus Silberpapier verfertigt. »So können wir dort sitzen; für das liebe Kleine beten. Die Leb wird auch kommen. Die Nacht vor dem Leichenbegängnis wachen wir natürlich. Grog werde ich schon besorgen; das gehört sich. Später berechnen wir uns, dass ich nicht zu Schaden kommen werde, das weiß ich.«
Auf diese Vorschläge antwortete Rosa in ihrer müden, abwesenden Weise, die sie seit dem Tode ihres Sohnes angenommen hatte: »Ich danke Ihnen, Frau Böhk, Sie sind sehr freundlich. Das Kind aber dürfen Sie aus meinem Zimmer nicht fortnehmen.«
»Warum denn nicht?« sagte die Hebamme eindringlich, »hier unten wird sich alles viel besser machen. Die Blumen, das schwarz ausgeschlagene Gerüst, die Kerzen. Denken Sie sich nur, wie hübsch das sein wird!«
»Ja, sehr hübsch! Aber aus meinem Zimmer dürfen Sie das Kind nicht fortnehmen.«
Was war gegen solchen Eigensinn zu tun? Frau Böhk wollte es versuchen, auch oben alles so anständig wie möglich herzurichten, obgleich mit der engen Kammer kein großer Staat zu machen war. Die Wiege wurde mit schwarzem Tuch behangen, mit Blumen besteckt; die Kerzen mit ihren Ringen aus Silberpapier standen nebenan auf der Kommode. Was zu machen war, geschah; dennoch sah es nicht besonders aus.
Am Abend versammelten sich die Hausgenossen um die Kindesleiche. Stumm, mit gefalteten Händen, saßen sie auf ihren Stühlen und nickten mit den Köpfen. Die Leb neigte sich an Frau Böhks Ohr heran und flüsterte: »Wie ein Engel sieht es aus. Ganz unverändert.« Rosa barg ihr Gesicht in ihr Taschentuch und weinte. Wenn sie zuweilen aufblickte, bekamen die Flammen der Kerzen krause Strahlen, und die Anwesenden neigten die Köpfe auf die Seite und schauten Rosa mitleidig an, als erwarteten sie etwas von ihr. Frau Böhk und die Leb wischten sich dann die Augen, Herr Böhk war unruhig, flüsterte mit den Frauen, ging knarrend ab und zu; endlich lehnte er sich gegen die Wand, steckte die rechte Hand in den Ausschnitt seiner Weste und stimmte einen Choral an. Alle sangen mit, den Mund weit öffnend, die Hände im Schoß gefaltet; darauf las Herr Böhk ein Gebet vor. Rosa merkte nicht auf die Worte, nur der getragene, betrübte Tonfall beeindruckte sie, sie schaute auf und interessierte sich dafür, was die anderen taten: jetzt beteten sie, ein jeder still für sich; die Leb schielte dabei beständig zu Rosa herüber; jetzt flüsterten sie miteinander: »Kommen Sie, etwas zu nehmen«, sagte Frau Böhk zur Leb. Diese nickte und deutete auf Rosa. »Liebes Kind«, wandte sich die Hebamme an Rosa, »kommen Sie, trinken Sie etwas für die Herzstärkung.«
»Nein, ich danke«, hörte Rosa ihre eigene Stimme tief und klagend erwidern, »ich will es nicht allein lassen.« Die Leb blinzelte mit den Wimpern und legte den Zeigefinger auf die Stirn. Dann gingen sie alle ins Wohnzimmer hinab, um Grog zu trinken, in der Türe drängten sie sich, СКАЧАТЬ