Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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»Sehr gut«, meinte die Leb und nickte ihrer Tasse zu. »Auch der Stollen ist gut. Zuweilen gelingt es dem Bäcker. Der Arme! Weiß Gott, wen er heiraten wird! Denn heiraten muss er – mit so vielen kleinen Kindern.«
Nun sprach man von der Bäckerin. Ein jeder gab zwischen einem Schluck Schokolade und einem Bissen Stollen seine Meinung ab. Durch die geöffneten Fenster sah man auf den stillen Hof und den Garten hinaus, wo Feuerlilien und einige Rosenbüsche regungslos im Abendsonnenschein standen. Von der Wiese tönten Rufe und Stimmen der sonntäglichen Spaziergänger herüber.
Rosa schwieg und ließ sich von einem angenehmen Feiertagsgefühl wiegen. Die helle Welt ringsum beruhigte sie. Hier war es behaglich und sonnig. Die rechte Welt für den kleinen Ernst. Eine lange, lichtvolle Zukunft, verloren in der stillen Ebene, ein ungestörtes Zusammensein mit ihrem Kinde, ein Leben voll warmer Liebe tat sich ihr auf und tröstete sie. Oben bei ihrem Kinde wollte sie diesen Traum weiterträumen.
»Ah, Sie gehen zu unserem jungen Christen?« fragte die Leb gefühlvoll.
»Arnoldchen wird wohl schlafen«, fügte Herr Böhk hinzu.
»Ernst wird er genannt«, verbesserte Grethe.
Herr Böhk aber machte eine wegwerfende Handbewegung. Er wusste wohl, was er tat. Er war der Pate, er nannte das Kind Arnold; die anderen konnten es halten, wie sie wollten, für ihn gab es keinen Ernst.
In ihrer Kammer drückte Rosa das Kind fest an ihre Brust und sprach ihm leise zu:
»Weine nicht. Hörtest du nicht, wie der Herr Pfarrer sagte, dass der liebe Gott mir hilft, dich bewachen! Sei nur ruhig, groß und schön wirst du werden. Du wirst niemanden betrügen. Du wirst zu lieben verstehen – wirst deine alte Mutter sehr – sehr treu lieben, denn sie hat es nötig. Du wirst von allem Garstigen, das sie erlebt hat, nichts wissen, und wenn du bei ihr bist, wird sie alles, was sie getan und ihr andere angetan, vergessen. Nicht wahr?«
Viertes Kapitel
Auf die Taufe folgten böse Tage für Ernst und seine Mutter. Die Krämpfe wiederholten sich. Das Kind magerte ab und befand sich in einem besorglichen Zustand der Schwäche. Der Arzt vom Schloss ward herbeigerufen, denn in Tiglau selbst wohnte keiner.
»Wäre das Schloss nicht«, meinte Frau Böhk, »wir Tiglauer könnten alle sterben und noch dazu ohne Gotteswort begraben werden, denn einen eignen Pfarrer und Arzt haben wir nicht.«
Doktor Bartauer war ein junger Mann mit kohlschwarzen krausen Haaren, einem spitzen schwarzen Schnurrbart, roten Wangen und Augen wie brauner Samt; dabei trug er sich nach der neuesten Mode, und seine Finger staken voll goldener Ringe. Mit Frau Böhk stand er auf Neckfuß und nannte sie »Madamchen«, Rosa behandelte er mit süßlicher Höflichkeit: »Für einen so jungen Organismus ist die Zumutung solcher Krämpfe ein wenig zu stark«, sagte er, nachdem er das Kind untersucht hatte und, sich anmutig an der Rücklehne eines Stuhles hin- und herwiegend, Rosa das Resultat dieser Untersuchung mitteilte. »O ja, viel zu stark«, wiederholte Rosa und heftete ihre gespannt flehenden Blicke auf den Arzt. »Ich meine«, fuhr Dr. Bartauer fort und lächelte, wobei die Spitzen seines Schnurrbartes zitterten: »Ich meine, solche Krämpfe müssen einen so jungen Organismus notwendigerweise arg mitnehmen, daher die Schwächeerscheinungen. Vor allem müssten die Krämpfe beseitigt werden. Ich habe da einiges verordnet…«
»Dann werden die Krämpfe nicht mehr wiederkommen?« fragte Rosa und atmete tief auf.
Der Doktor lächelte wieder und zog seine Manschette unter dem Rockärmel hervor. »Ja – das zu wissen«, versetzte er und suchte einen Augenblick nach einer passenden Anrede, dann sagte er entschlossen: »Liebe Dame! Das zu wissen, liebe Dame, vermögen wir Ärzte nicht; das geht über unsere Kunst. Wenn die Natur nicht will, dann sind wir ohnmächtig. Übrigens schaue ich morgen nach. Sie selbst sollten sich auch schonen. Ich empfehle mich bestens.« Er verbeugte sich und ging.
Mutlos fiel Rosa auf einen Stuhl nieder. »Wenn die Natur nicht will! Wie soll ich es denn wissen, ob die Natur will? Was hilft mir die Natur? Er ist ja der Arzt, er muss es doch wissen, der dumme, dumme Mensch!« Sie hatte Tränen in den Augen und machte ein sehr zorniges Gesicht. Zum Klagen jedoch war keine Zeit; das Kind weinte, sie musste zu ihm.
Rosa ließ die große Sorge gar nicht aufkommen, sondern diente nur unablässig ihrem Kinde, machte sich stets etwas zu schaffen, floh jeden leeren Augenblick. Wenn die Hebamme sie einmal überredete, sich Ruhe zu gönnen, dann brach eine unnennbare Furcht, ein tiefes Mitleid über sie herein, und Mitleid, mit großer Liebe vereint, ist das herzbrechend peinvollste Gefühl. Rosa sah wieder den gequälten Körper des Kindes, das arme entstellte Gesicht vor sich und fuhr bebend auf. Kaum vermochte sie sich in der Dämmerung der Sommernacht zurechtzufinden; dort glomm das bleiche Fünkchen der Nachtlampe, dort stand die Wiege, dort hörte man des Kindes leisen, schnellen Atem, und die schwere Traurigkeit, die Rosas fieberhaften Schlummer bedrückt hatte, hing auch über dem Gemach und war Wirklichkeit. – Rosa musste sich wieder mit ihren Beschäftigungen betäuben. Nur nicht stillehalten, dennoch – zuweilen versagte ihr Körper ihr den Dienst. Sie wunderte sich über ihre Hände, die so zitterten, dass sie nichts zu halten vermochten, über ihre Beine, die nicht stehen wollten. Sie hätte diese ungehorsamen Glieder schlagen mögen. –
»Heute scheint es besser zu gehen«, sagte die Hebamme eines Abends. »Heute morgen waren die Krämpfe zwar heftig, jetzt aber schläft das Kind ja ganz ruhig. Ich geh zu Bett. Tun Sie das auch. Sollte etwas passieren, so rufen Sie; Grethe schläft nebenan.«
Das Kind war rot im Gesicht, fühlte sich heiß an, schien aber fest zu schlafen, die Wange in das Kissen gedrückt, die winzigen Hände geballt und in das Bettuch gewickelt.
Gut! Rosa beschloss, sich auf ihr Bett zu legen, ohne zu schlafen. Ehe sie sich jedoch dessen versah, entschwand ihr das Bewusstsein, und sie verfiel in einen öden Schlummer, aus dem sie betäubt und gebrochen auffuhr, als hätte sie eine schlechte Tat begangen.
Es mochte ein Uhr morgens sein. Durch die Fensterscheiben sahen das kühle Blau des nächtlichen Himmels und einige blasser werdende Sterne herein, am Wiesenrande dämmerte СКАЧАТЬ