Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ sie da­mals un­glück­lich ge­we­sen; jetzt ver­stand sie das, denn sie blick­te auf jene Zeit mit ru­hi­ger Über­le­gen­heit zu­rück.

      Nach Lie­be hat­te die­ses lei­den­schaft­li­che Mäd­chen­herz ver­langt. Es war ihm in ih­rer Ab­ge­schlos­sen­heit zu eng ge­wor­den, es hat­te die Lie­be be­schleu­ni­gen, er­zwin­gen, sich zu ihr über­re­den wol­len. Jetzt, da sich die Lie­be in ih­rer gan­zen Wirk­lich­keit und Rein­heit nah­te, jetzt gab sich ihr die­ses Herz rück­halt­los hin und war tief be­ru­higt. Dass der Ge­dan­ken- und Wir­kungs­kreis sich eng um das klei­ne nack­te Kin­des­haupt zu­sam­men­zog, über­seh­bar, ver­ständ­lich und ganz mit Lie­be aus­ge­füllt, das brach­te den Frie­den über Rosa.

      All­zu­viel Zeit zum Nach­den­ken fand sie oh­ne­hin nicht. Das Klei­ne war un­ru­hig, wein­te viel. Oft muss­te Rosa es die gan­ze Nacht über auf ih­ren Ar­men wie­gen. Dann stu­dier­te sie eif­rig die­ses klei­ne We­sen, das da schrie und nicht still sein woll­te. Wo fehlt es ihm? Was will es? Sie wand­te es hin und her – sie frag­te, un­ter­such­te es, leg­te es an die Brust, und half al­les nichts, dann wein­te Rosa über das un­er­bitt­li­che klei­ne Rät­sel.

      »Wie kann ich dir denn hel­fen, wenn du mir nicht sagst, wo es dich schmerzt? Ich will ja nicht, dass du lei­den sollst. Al­les, nur das nicht! Aber, wie kann ich’s än­dern? So wei­ne doch nicht, mein En­gel, bit­te, wei­ne nicht. Sei ver­nünf­tig. Zei­ge mir, was du willst.«

      Ei­nes Ta­ges, da Rosa wie ge­wohnt ne­ben ih­rem schlum­mern­den Kin­de saß, lä­chel­te die­ses im Schlaf. Die schma­len ro­ten Li­ni­en der Lip­pen ver­zo­gen sich und zuck­ten. Rosa beug­te sich ganz nahe auf die­se Lip­pen her­ab. Ja, un­zwei­fel­haft! Das war Am­bro­si­us’ Lä­cheln, das sanftspöt­ti­sche Em­por­zie­hen des rech­ten Mund­win­kels, das Grüb­chen in der Wan­ge. »Nun das wie­der!« sprach Rosa vor sich hin, wie je­mand, dem wie­der eine Freu­de ge­stört wird. Sie war im Be­griff, das Kind zu we­cken. So soll­te es nicht lä­cheln. Doch sie be­sann sich, küss­te be­hut­sam die Stirn des Kin­des, und ihr Ge­sicht nahm wie­der sei­nen mil­den, be­ru­hig­ten Aus­druck an: Das Klei­ne soll­te fort­lä­cheln. Es ge­hör­te ja ihm auch, und um des Kin­des wil­len woll­te sie die­ses Lä­cheln, woll­te sie ihn lie­ben. Ge­hasst hat­te sie Am­bro­si­us nie, dazu war ihre Lie­be zu we­nig tief und wahr ge­we­sen. Jetzt, an der Wie­ge ih­res Kin­des, dach­te sie ohne Bit­ter­keit und Auf­re­gung an Am­bro­si­us. Es galt ihr als aus­ge­macht, dass sie trotz al­lem doch zu ihm ge­hör­te. Er war der Va­ter ih­res Kin­des.

      Dann wie­der schnür­te eine große Ban­gig­keit Rosa das Herz zu­sam­men. Am­bro­si­us’ lüs­tern-sü­ßes Lä­cheln in die­sem Kin­der­ge­sicht er­schi­en ihr wie eine Ge­fahr für das Kind. Wur­de es da­durch nicht der bö­sen Welt nä­her­ge­bracht? Stör­te es nicht den Kin­des­frie­den? Gro­ßes Mit­leid er­griff Rosa, Mit­leid für den klei­nen Mär­ty­rer, der nicht ahn­te, was sei­ner harr­te. Ach Gott, blieb das Kind doch im­mer so klein, dass sie es vor dem feind­li­chen Le­ben schüt­zen könn­te. Doch Rosa lä­chel­te über ihre eig­nen Ge­dan­ken. Noch hat­te das Klei­ne vie­le Jah­re in ih­ren Ar­men Raum, und nie­mand durf­te es krän­ken. Es soll­te glück­lich sein und oft – oft lä­cheln, wenn es auch Am­bro­si­us’ Lä­cheln war!

      Wäh­rend der fol­gen­den Nacht muss­te Rosa das Kind be­stän­dig auf ih­ren Ar­men wie­gen, denn es schrie und jam­mer­te kläg­lich. Plötz­lich wur­den die Glie­der des Kin­des steif, das Ge­sicht nahm eine blau­ro­te Far­be an, und der Kopf wur­de krampf­haft zu­rück­ge­ris­sen. An­fangs war Rosa starr vor Schreck, dann rief sie nach Frau Böhk, nach ei­nem war­men Bade. Eine ziel­be­wuss­te Ge­schäf­tig­keit trat an die Stel­le des ers­ten Schre­ckens und ließ für die Sor­ge kaum Raum üb­rig. Erst als das Kind wie­der ru­hig auf den Kni­en sei­ner Mut­ter schlief, fühl­te die­se am Be­ben ih­res gan­zen We­sens, wie furcht­bar es sie er­schüt­tert hat­te, ihr Kind lei­den zu se­hen. Bleich und ernst auf das Kind nie­der­ge­beugt, saß sie noch da, als die Son­ne schon hoch am Him­mel stand. Frau Böhk trat in das Zim­mer. »Jetzt scheint es vor­über zu sein. Gott sei Dank«, sag­te sie und setz­te sich auf einen Stuhl.

      »Ja«, er­wi­der­te Rosa, »es schläft ru­hig. Wir wol­len lei­se spre­chen, da­mit es nicht er­wacht.«

      Frau Böhk lach­te. »Ach was, das stört so ’n klei­nen Kerl nicht. Von der Stim­me der Böhk ist noch kein Kind auf­ge­weckt wor­den, will ich mei­nen. Aber«, füg­te sie hin­zu und rieb sich be­däch­tig die Schen­kel, »ich woll­te Sie fra­gen, lie­bes Kind, wie wird es mit der Tau­fe? Mor­gen ist Sonn­tag; da ha­ben wir den Pfar­rer.«

      »Hat denn das Eile?« frag­te Rosa er­staunt. »Ag­nes woll­te kom­men; und dann…«

      »Gut, gut! Ich ver­ste­he schon. Ich mei­ne aber ge­ra­de, wir kön­nen nicht war­ten.«

      »Wie?«

      »Ver­ste­hen Sie mich recht, lie­bes Fräu­lein.«

      Frau Böhk mach­te ein stren­ges, höf­li­ches Ge­sicht. »Das Kind hat in vo­ri­ger Nacht böse Krämp­fe ge­habt und ist über­haupt ein ver­teu­felt zar­tes Würm­chen. Je­dem Men­schen kann et­was zu­sto­ßen, wie viel mehr ei­nem so schwa­chen Kin­de. Nicht? – Ich habe nun dar­auf zu se­hen, dass ein Kind ge­tauft ist, wenn et­was pas­siert. Da­für wer­de ich ver­ant­wort­lich ge­macht, nie­mand an­de­res. Von der Tau­fe ist auch noch kein Kind ge­stor­ben.«

      Rosa hat­te ernst zu­ge­hört, nun schau­te sie auf ihr Kind nie­der, das ru­hig in ih­ren Ar­men schlum­mer­te. Sie lä­chel­te. »Nein, Frau Böhk«, sag­te sie. »Das wird es nicht tun, das nicht! Ster­ben kann es nicht.«

      Un­ge­dul­dig er­hob sich Frau Böhk. »Kann – kann! Wa­rum kann es nicht? Wir alle kön­nen heu­te oder mor­gen ster­ben. Ich sage nur: Die Verant­wor­tung hab ich zu tra­gen. An mich muss ich auch den­ken.«

      »Ich habe ja nichts da­ge­gen, dass mor­gen die Tau­fe ist«, be­schwich­tig­te Rosa die Heb­am­me. »Herr Böhk ist viel­leicht so gut, der Pate des Klei­nen zu sein. Ich sage nur…«

      »Dann ist ja al­les in Ord­nung«, rief Frau Böhk er­leich­tert aus. »Der Pfar­rer kommt oh­ne­hin nur alle vier­zehn Tage vom Schloss zu uns her­über, dem Kin­de wird’s auch gut­tun, ein Christ zu wer­den. Her­nach trin­ken wir Scho­ko­la­de. Das muss so sein; das ist selbst­ver­ständ­lich. Ich be­sor­ge schon das nö­ti­ge, spä­ter be­rech­nen wir uns. Die Leb hab ich auch ein­ge­la­den. – Sie sind ein lie­bes, ver­nünf­ti­ges Kind.«

      Als Frau Böhk fort war, blick­te Rosa sin­nend ihr Kind an. Die Heb­am­me hat­te sie er­schreckt. So et­was war nicht mög­lich! Die­ses arme, zar­te Kind­chen und eine so grau­sa­me, fins­te­re Sa­che wie der Tod, was konn­ten die ge­mein ha­ben? »Nein, das tust du nicht, mein En­gel! Das werd ich dir nie er­lau­ben«, flüs­ter­te sie.

      Der Sonn­tagnach­mit­tag war für die Fa­mi­lie Böhk voll großer Ge­schäf­tig­keit. Schon das Auf­set­zen der Hau­be mit den gel­ben Bän­dern, die Frau Böhk nur an Tauf­ta­gen aus dem Kas­ten nahm, war ein Er­eig­nis. Herr Böhk, als der Wel­ter­fah­rens­te, be­sorg­te das. »Sitz still, Frau Böhk!« be­fahl er. »Die eine Sei­te mit der großen СКАЧАТЬ