Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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      Für sich hol­te Herr Böhk einen Frack, wei­ße Hand­schu­he und einen Zy­lin­der aus dem Kas­ten. Er war stolz auf die­se Sa­chen. Die Schö­ße des Frackes vor­sich­tig in der Hand hal­tend, ging er mit aus­ge­bo­ge­ner Tail­le fei­er­lich im Zim­mer auf und ab, ge­folgt von sei­nem Sohn, der über die Klei­dung des Va­ters spot­te­te. »Wie dumm das ist, so ’n Frack.«

      »Dumm?« er­wi­der­te Herr Böhk hoch­mü­tig. »Der Frack ist hier nicht der Dum­me.«

      »Da fehlt ja vor­ne was!«

      »Lie­ber Hans, dir fehlt et­was.«

      Die­ses Mal nahm Frau Böhk die Par­tei ih­res Man­nes. »Lass ihn, Hans, du ver­stehst wirk­lich nichts da­von.« Sie heg­te selbst große Ach­tung vor die­sem Klei­dungs­stück.

      End­lich war al­les be­reit, man woll­te je­doch noch war­ten, bis der Got­tes­dienst aus­ge­läu­tet wur­de, um das Ge­drän­ge zu ver­mei­den. Rosa hielt das Kind auf dem Schoß. Sie trug heu­te ihr wei­ßes Mus­se­lin­kleid und wei­ße Ro­sen im Haar. Wer sie da­sit­zen sah mit dem er­reg­ten blas­sen Ge­sicht, hät­te sie für ein klei­nes Mäd­chen ge­hal­ten, das man zur Ein­seg­nung führt.

      »Also das Kind wird Ernst nach Ihrem Herrn Papa und Ar­nold nach mir hei­ßen?« frag­te Herr Böhk und blieb vor dem Täuf­ling ste­hen. Rosa nick­te. Da beug­te er sich auf das Kind her­ab und sag­te ge­rührt: »Was machst du, klei­nes Ar­nold­chen?«

      Als die Kir­chen­glo­cken zu läu­ten be­gan­nen, mach­te sich die Tauf­ge­sell­schaft auf den Weg. Sie hat­te es nicht weit; links hin­ter dem Böhkschen Hau­se lag die Kir­che auf ei­ner An­hö­he, dicht von al­ten Ahorn­bäu­men um­ge­ben. Sie war ein acht­e­cki­ger Pa­vil­lon ohne Turm. Das fla­che Land und die Nähe der See lie­ßen be­fürch­ten, ein Turm könn­te die Schif­fe ir­re­lei­ten.

      Der Got­tes­dienst war zu Ende. Eine große Men­schen­men­ge be­weg­te sich die An­hö­he her­ab.

      In der licht­vol­len At­mo­sphä­re des Ju­li­ta­ges nah­men die sonn­täg­li­chen Ge­stal­ten, die Bäu­me, die Kir­che mit ih­rem spit­zen Zie­gel­dach lus­ti­ge, schrei­en­de Far­ben an. Die klei­ne Schar, von Frau Böhk ge­führt, ging zu­erst in die Sa­kris­tei. In dem klei­nen Ge­mach mit den nack­ten wei­ßen Wän­den saß der Pfar­rer an ei­nem Tisch: ein di­cker al­ter Herr mit ei­nem sehr wei­ßen, un­freund­li­chen Ge­sicht. Er wand­te sich has­tig nach den Ein­tre­ten­den um und sag­te ver­stimmt:

      »Wa­rum kom­men Sie nicht zur rech­ten Zeit?«

      Frau Böhk mach­te einen Knicks und ent­schul­dig­te sich: »Wir war­te­ten, bis der Got­tes­dienst…«

      »Der ist lan­ge schon zu Ende«, un­ter­brach sie der Pfar­rer. »Um fünf Uhr muss ich zum Di­ner im Schloss sein. Nun also schnell. Wo ist das Kind?«

      Er warf einen prü­fen­den Blick auf Rosa, fass­te sei­nen Talar vorn zu­sam­men und ging vor­an in die Kir­che.

      Auf Frau Böhks An­ord­nung muss­te Rosa sich in einen Kir­chen­stuhl set­zen, wäh­rend die an­de­ren mit dem Kin­de vor dem Al­tar stan­den. Durch die ho­hen Fens­ter schi­en die Son­ne voll her­ein und ba­de­te die Holz­ga­le­rie des Chors, die ver­gol­de­ten Holz­blu­men des Al­tar­blat­tes in gel­bem Licht.

      Auf dem Al­tar fun­kel­ten der Kelch und die Leuch­ter; über­all ein re­ges Glim­men und Flim­mern. In den Kir­chen­stüh­len la­gen wel­ken­de Jas­mins­ten­gel und Feld­blu­men, die Kin­der und Mäd­chen mit her­ein­ge­nom­men und dort ver­ges­sen hat­ten. Eine Schwal­be hat­te sich in die Kir­che hin­ein­ver­irrt und zog ihre Krei­se oben an der ge­wölb­ten De­cke, kur­ze sanf­te Rufe aus­sto­ßend.

      Herr Böhk ließ sich das Kind auf die Arme le­gen; Frau Böhk, Gre­the, die Leb stan­den an­däch­tig mit ge­fal­te­ten Hän­den ne­ben ihm. Der Pfar­rer blät­ter­te in ei­nem Buch und zog das Ge­sicht in fet­te Fal­ten, weil die Son­ne ihm in die Au­gen schi­en. Das Kind wim­mer­te – ein lei­ser Ton, wie das Zwit­schern der Schwal­be oben an der Wöl­bung. Hin­ter sich hör­te Rosa vor­sich­ti­ge Schrit­te auf den Flie­sen. Die Leu­te ka­men von drau­ßen wie­der in die Kir­che, stan­den an den Kir­chen­stüh­len und hör­ten zu. Jetzt war der Pfar­rer be­reit. Er wisch­te sich mit zwei Fin­gern die Mund­win­kel und hielt eine kur­ze An­re­de, lei­se und schnell spre­chend, wie je­mand, der bald fer­tig zu sein wünscht. Er mach­te die El­tern und Tauf­pa­ten dar­auf auf­merk­sam, dass ein Kind ein teu­res, ih­nen an­ver­trau­tes Gut sei, über das sie einst Re­chen­schaft ab­le­gen müs­sen. Nicht den El­tern ge­hö­re das Kind, son­dern Gott, und Gott wa­che ei­fer­süch­tig über sein Ei­gen­tum, wie der Bi­bel­spruch es schon be­sa­ge: »Bei dei­nem Na­men habe ich dich ge­ru­fen, in mei­ne Hän­de hab ich dich ge­zeich­net, du bist mein.«

      Rosa ent­sann sich nicht, dass bis­her eine kirch­li­che Hand­lung auf sie großen Ein­druck ge­macht hät­te. Das Frös­teln un­ter der küh­len Kir­chen­wöl­bung war für sie stets der In­be­griff der An­dacht ge­we­sen. Heu­te aber er­reg­te die Stim­me des Pfar­rers in ihr erns­te Rüh­rung. All die from­men Wor­te wur­den ja zu ih­rem Kin­de ge­spro­chen, hat­te auf die­ses Be­zug. Es freu­te sie zu hö­ren, dass ein so all­mäch­ti­ger Be­schüt­zer sich ih­res Kin­des an­nahm, ihr half, es zu ver­tei­di­gen. Da­für nahm Rosa sich vor, recht fromm zu sein, al­les zu tun, wo­von der Pfar­rer Ra­ser im Kon­fir­ma­ti­ons­un­ter­richt ge­sagt hat­te, dass Gott es von den Men­schen ver­lan­ge. Wenn Gott nur auf das Klei­ne recht Obacht ge­ben wür­de.

      Der Pfar­rer schwieg. Frau Böhk nes­tel­te dem Kin­de das Häub­chen auf, und die Tau­fe be­gann. Alle spra­chen das Cre­do; der Pfar­rer eil­te mit sei­ner rou­ti­nier­ten Stim­me vor­aus, Herr Böhk, der Pa­thos hin­ein­le­gen woll­te, blieb stets um einen Satz zu­rück, bis sei­ne Frau ihn mit dem El­len­bo­gen in die Sei­te stieß; da schwieg er är­ger­lich ganz. Nun war es zu Ende. Der Pfar­rer ging ohne Gruß fort, er fürch­te­te, zu spät zum Di­ner zu kom­men.

      »Den Tauf­schein und das üb­ri­ge be­sor­ge ich mor­gen«, mein­te er.

      Die an­de­ren gin­gen auch heim.

      Über die Wie­se wa­ren zahl­rei­che Spa­zier­gän­ger ver­teilt, vie­le bun­te Punk­te, die sich be­weg­ten und durch­ein­an­der­rann­ten. Ti­glau lag ganz im Laub ver­steckt da, und über all­dem web­te ein bläu­li­cher Dunst, der zu le­ben schi­en, blick­te man hin­ein.

      Ge­müt­lich, mit klei­nen Schrit­ten, ging die Tauf­ge­sell­schaft heim. Herr Böhk er­zähl­te sei­ne Er­leb­nis­se: Er hat­te ge­fürch­tet, das Kind fal­len zu las­sen. Der Pfar­rer hat­te ihm den Frack mit Tauf­was­ser be­sprengt. Die Leb fand die hei­li­ge Hand­lung sehr er­bau­lich, was Herr Böhk be­stritt.

      »Das Glau­bens­be­kennt­nis schleu­der­te er nur so hin.«

      Frau Böhk zuck­te die Ach­seln.

      »Es war heu­te ge­ra­de so wie im­mer«, sag­te sie.

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