Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von Keyserling страница 88

Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

isbn:

СКАЧАТЬ sie Rosa an und klag­te: »Ach Kind, wenn ich den­ke, dass du wie­der hier bist und dass dein Papa das nicht mehr er­lebt! Wie hübsch hät­ten wir drei wie­der bei­ein­an­der ge­lebt. Nun ist al­les aus!«

      »Ach ja!« er­wi­der­te Rosa, aber der Schmerz um ein an­de­res Gut war noch zu mäch­tig in ihr, als dass sie um die stil­len Tage der Ver­gan­gen­heit trau­ern konn­te.

      Den­sel­ben Abend noch schrieb Rosa an Fräu­lein Schank und bat sie, ihr bei­zu­ste­hen. Fräu­lein Schank ant­wor­te­te, sie wol­le sich nach et­was Pas­sen­dem um­schau­en und es Rosa dann mel­den.

      Rosa war­te­te ge­dul­dig meh­re­re Tage. Ei­nes Abends ging sie zum Fried­hof hin­aus, um das Grab ih­res Va­ters zu be­su­chen. Die Stadt hat­te das bun­te, lus­ti­ge Aus­se­hen der Som­mer­aben­de. In der Lin­den­al­lee, die zum Fried­hof führ­te, be­geg­ne­te Rosa vie­len Men­schen, die lang­sam mit be­staub­ten Schu­hen, die Hän­de vol­ler Feld­blu­men, heim­zo­gen. Auch das Ehe­paar Tod­dels ging an Rosa vor­über. Sal­ly trug ein hel­les Som­mer­kleid und einen ro­sa­seid­nen Hut. Sie schiel­te zu Rosa hin­über und dräng­te sich schüch­tern an ih­ren Mann her­an, als fürch­te­te sie sich. Die­ser wuss­te nicht recht, was er tun soll­te, und küss­te flüch­tig und lin­kisch den ro­sa­seid­nen Hut.

      Auf dem Fried­hof war es so still, dass man die Schrit­te der we­ni­gen Be­su­cher deut­lich auf dem Kies knir­schen hör­te. Über dem Gra­be des Bal­let­tän­zers er­hob sich ein schwar­zes Kreuz, und vie­le As­tern blüh­ten dort. Nach­denk­lich stand Rosa da­vor. End­lich knie­te sie nie­der und be­te­te; sie konn­te aber nicht wei­nen, und das miss­fiel ihr. Hat­te sie denn ih­ren Va­ter nicht ge­liebt? Wie sie je­doch so vor dem Grab­hü­gel knie­te, er­griff sie ein tie­fes Mit­leid ih­rer selbst, sie beug­te ihre Stirn in die As­tern hin­ein und wein­te bit­ter­lich über sich selbst. –

      End­lich ei­nes Ta­ges be­schied Fräu­lein Schank Rosa zu sich. Rosa fand sich pünkt­lich ein. Fräu­lein Schank hat­te so­eben zu Mit­tag ge­ges­sen und eil­te ih­rer frü­he­ren Schü­le­rin mit ro­ter Nase und ge­röte­tem Kinn ent­ge­gen.

      »Gu­ten Tag. Komm, bit­te, hier her­ein«, sag­te sie has­tig und auf­ge­regt und führ­te Rosa in das Wohn­zim­mer.

      In ei­ner Ecke die­ses Zim­mers saß auf ei­nem ge­räu­mi­gen Lehn­ses­sel Fräu­lein Schanks Mut­ter, eine sehr alte, ge­lähm­te Frau. Mit trü­ben gel­ben Au­gen starr­te sie vor sich hin und ver­zog die Un­ter­lip­pe, was ih­rem Ge­sicht einen bö­sen, höh­ni­schen Aus­druck ver­lieh.

      »Rosa Herz, Mut­ter«, mel­de­te Fräu­lein Schank. »Nimm Platz, Rosa«, fuhr sie in stren­gem Gou­ver­nan­ten­ton fort, ihre gelb­li­chen Wan­gen wur­den je­doch ganz rot, und sie woll­te die Un­ter­re­dung durch eine zweck­lo­se Ge­schäf­tig­keit noch hin­aus­schie­ben. Das Er­schei­nen ih­rer frü­he­ren Schü­le­rin mach­te sie ver­le­gen. Statt der durch­trie­be­nen Rosa stand eine Frau vor ihr, die we­der zer­knirscht noch de­mü­tig aus­sah, son­dern nur ernst und sehr schön, mit ih­rer vol­len Ge­stalt im schwar­zen Klei­de, mit den leuch­ten­d­ro­ten Lip­pen im blei­chen Ge­sicht und den feuch­ten großen Au­gen, die tiefer in das Le­ben hin­ein­ge­schaut hat­ten als Fräu­lein Schank – trotz ih­rer drei­ßig Jah­re keu­scher Schul­weis­heit.

      »So – so! Du sitzt schon? Ich bin auch da«, sag­te sie und setz­te sich ge­ra­de auf ih­rem Stuhl; da­bei ver­such­te sie die be­trüb­te, miss­bil­li­gen­de Mie­ne an­zu­neh­men, die sie auf­zu­set­zen pfleg­te, wenn eine Schü­le­rin »wie­der nicht prä­pa­riert« war; sie ge­lang ihr je­doch nicht. Mit ih­ren spit­zen ro­ten Bäck­chen sah Fräu­lein Schank so be­fan­gen und hilf­los aus, dass Rosa sich frag­te: Was hat sie nur?

      »Du siehst an­ge­grif­fen aus«, be­gann Fräu­lein Schank und strich sich ihr Ban­deau glatt. »Nicht wahr, Mut­ter, die Rosa sieht an­ge­grif­fen aus?«

      »Ja – ja«, er­wi­der­te die Alte, »das ist die Stre­ber.«

      »Rosa Herz, Mut­ter – Herz –« ver­bes­ser­te Fräu­lein Schank, die wie­der ihre schar­fe Art fand.

      »Gute Toch­ter«, ent­geg­ne­te die Alte und ver­zog höh­nisch die Un­ter­lip­pe, »ich weiß ja, dass der Stre­ber weg­lief. Als ob ich das nicht wüss­te!«

      Fräu­lein Schank zuck­te die Ach­seln, sie woll­te ihre Mut­ter lie­ber gar nicht be­ach­ten.

      »Um auf un­ser Ge­schäft zu kom­men«, wand­te sie sich an Rosa, »so habe ich eine Stel­le für dich. Sie ist aber weit von hier – in Mos­kau, und du müss­test gleich ab­rei­sen.«

      »Ja – Fräu­lein Schank, ich dan­ke Ih­nen sehr.«

      »Und der Stre­ber schreibt gar nicht mehr?« warf die Alte ein und neig­te ihr schie­fes, höh­ni­sches Ge­sicht auf die Schul­ter.

      »Die Be­din­gun­gen sind gut«, fuhr Fräu­lein Schank fort. »500 Ru­bel Ge­halt und das Rei­se­geld. Zwei Kin­der sind da. Ein vor­neh­mes, rei­ches Haus. Ich glau­be, es dürf­te dir kon­ve­nie­ren?«

      »Ge­wiss! Ich bin Ih­nen sehr dank­bar.«

      »Wird denn der Kerl bis nach Russ­land ge­lau­fen sein?« rief die alte Schank da­zwi­schen.

      »Ich hof­fe«, schloss Fräu­lein Schank mit kla­gen­der Stim­me, »du wirst dich dort ein­le­ben.« Trä­nen tra­ten ihr in die Au­gen, und sie um­arm­te Rosa. »Gott be­hü­te dich! Ich habe ge­tan, was ich konn­te.«

      Als Rosa der al­ten Schank die Hand küs­sen woll­te, hielt die­se sie fest. »Adieu, lie­be Stre­ber, ma­chen Sie sich nichts dar­aus, dass er Ih­nen durch­ge­gan­gen ist. Die Ro­sa­lie ließ auch so ei­ner sit­zen. Wir war­ten auf den Kerl heu­te noch. Wie heißt er doch – Ro­sa­lie? – Dei­ner? Du musst das wis­sen.«

      »Mut­ter!« fuhr Fräu­lein Schank ge­reizt auf, »Rosa Herz ist’s – Rosa Herz.«

      »Ach Gute! Ich weiß wohl, was ich sage. Ich ken­ne eure schmut­zi­gen Ge­schich­ten ganz ge­nau, nur der Name ist mir ent­fal­len. Du hast aber dei­ne Heim­lich­kei­ten; das kenn ich schon!«

      So­mit war es ent­schie­den, Rosa reis­te ab. Wei­nend pack­te Ag­nes die Kof­fer. Um den Zug zu er­rei­chen, muss­te Rosa um neun Uhr abends die Stadt ver­las­sen. Der Post­wa­gen hielt vor der Türe, und der Haus­knecht band die Kof­fer auf. Ag­nes nahm Rosa noch ein­mal in die Arme und flüs­ter­te ihr gute Leh­ren ins Ohr: »– und dann, Kind, nimm dich in acht. Die Rus­sen sind gott­lo­se Leu­te, und du weißt, wie hübsch du bist. War­te, bis ei­ner dich recht lieb hat und bis du ihn auch lieb­ha­ben kannst, dann hei­ra­te ihn. Aber war­te; glau­be mir, Kind, das ist bes­ser.«

      »Ja, Ag­nes, das ist bes­ser.«

      Der Ge­dan­ke, sie könn­te noch ein­mal je­mand recht lieb­ha­ben, mach­te die­ses lie­bes­durs­ti­ge Frau­en­herz für einen Au­gen­blick ganz warm, und Rosa lä­chel­te.

      Als sie aber im Wa­gen saß und durch die СКАЧАТЬ