Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski
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Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays

Автор: Stanislaw Przybyszewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027205639

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СКАЧАТЬ tun; er müsse es tun.

      Diese unerhörte Sehnsucht fresse an ihm wie ein Geschwür; sie zerstöre ihm seine Ruhe, mache ihn so nervös und so zerrissen, daß er nicht einmal arbeiten könne.

      Das müsse er tun, und er habe ein volles Recht dazu.

      Also bitte meine Herren: nicht wahr? Recht oder Unrecht existieren nicht. Es sind nur leere Begriffe, die das Verhalten von Müller und Schulze zu einander regulieren. Nun, das Weitere kann man sich bei Nietzsche oder Stirner nachlesen. Aber wenn wir von Recht sprechen wollen, und das müssen wir übrigens, um das dumme Gewissen zu beruhigen, das alte Erbstück, das so schlecht zu der modernen Einrichtung passen will, so spreche ich:

      Ich bin jedenfalls ein Mensch, der weit höhere und größere Bedeutung im Leben hat, als ein Kind.

      Das spreche ich für die, die an Bedeutung und den Ernst des Lebens glauben.

      Ich bin ein Mensch, der weit raffinierter, weit mächtiger das Leben genießen kann als ein Mädchen, das später doch nur Kinder zeugen und Geflügel züchten wird.

      Das spreche ich, meine Herrn, für die Philosophen.

      Ich bin ein Mensch, der durch das Mädchen direkt zerrüttet wird – das für die Ärzte – und infolge dessen sich in einer Art Notwehr befindet – dies für die Juristen.

      Folglich habe ich Recht!

      Dann kommt Herr X. und wird sagen: Sie sind ein unmoralischer Mensch.

      Ich werde ihm darauf antworten, ganz liebenswürdig, mit der einnehmendsten Miene: Wieso Herr X.?

      – Weil Sie ein Mädchen verführt haben.

      – Nur das? Nichts weiter? Nun dann hören Sie: Ich habe sie nicht verführt, sondern sie hat sich mir gegeben. Kennen Sie die Stelle im Napoleonischen Kodex, wo über die natürlichen Kinder gesprochen wird? Die kennen Sie nicht? Dann sind Sie ein ungebildeter Mensch, und Napoleon war mindestens so groß wie Moses. Dann aber hören Sie weiter: der heiligste Zweck der Natur ist Leben zu zeugen, und dazu ist geschlechtlicher Umgang nötig. Also: ich wollte diesen Zweck erfüllen, und demnach habe ich im Sinne der Natur durchaus, ja, höchst moralisch gehandelt.

      Nun kommt Herr Y.

      Aber – mais heißt das auf französisch, werde ich ihn anbrüllen – gehen Sie doch zum Teufel, verstehen Sie? Ich bin Ich und damit Basta!

      Falk wurde gereizter und gereizter. Eine wilde Wut staute sich in seinem Gehirne und verwirrte seine Gedanken.

      Draußen fing das Morgengrauen an; die Welt floß in dem blauen Morgenrotwunder und die Vögel begannen zu zwitschern.

      Falk trank Cognac, rauchte eine Zigarette an und wurde ruhiger.

      Marit, das gute, liebe Kind! Und die Augen, die ihn abwechselnd erschreckt, ängstlich und wieder mit dieser innigen Liebe und Bitte ansahen ...

      Marit! Nein, ist das ein schöner Name. Ja, in Kristiania hatte er Mädchen gesehen, die Marit hießen. Ja, ja, er erinnerte sich, sie hatte ihm davon erzählt: der Vater war in Norwegen gewesen und hatte den Namen für das eben geborene Mädchen mitgebracht.

      Süße, herrliche Marit!

      Er fühlte ihre Hand auf seiner Stirne; er hörte ihre Stimme ihn so heiß, so leidenschaftlich lieben: Mein Erik, mein Erik ...

      Er fühlte sie auf seinem Schoße sitzen, die Arme um seinen Hals geschlungen, ihre knabenhafte Brust an seine Schultern gepreßt.

      Falk trank und wurde immer sentimentaler.

      Plötzlich stand er auf, schon wieder gereizt.

      Ich kenne diese verlogene Bestie von Gehirn; jetzt plötzlich wolle es sein Begehren mit dem Mäntelchen einer sentimentalen Schwärmerei behängen. Das wolle Er durchaus nicht, dafür bedanke er sich. Mille graces, monsieur Cerveau, für Deine Dienste; ich habe sie nicht nötig.

      Was ich tue, tue ich mit absolutem Bewußtsein. Ich liebe nur einzig allein meine Frau, und wenn ich Marit besitzen will, so betrüge ich meine Frau nicht; im Gegenteil, ich gebe mich ihr wieder, ganz wieder.

      Der Himmel warf Brände von Licht in das Zimmer herein; das Licht der Lampe schrumpfte allmählich zusammen.

      Falk sah in den Spiegel.

      Sein schmales Gesicht hatte in dieser Zwitterbeleuchtung etwas Unheimliches. Seine Augen brannten wie in Fieberglut.

      Er setzte sich auf das Sofa; er war sehr müde.

      Lächerlich, wie ihm das dumme Mädchen jetzt plötzlich gleichgültig wurde. Das war wirklich merkwürdig. Nicht die geringste Spur von Verlangen mehr.

      Ja, ja: morgen wird es schon wieder kommen. Aber es ist doch Wahnsinn, sich länger in dieser Atmosphäre aufzuhalten, sich fortwährend an ihrer Nähe zu reiben.

      Nein!

      Falk riß sich auf.

      Er werde gleich heute oder morgen zu seiner Frau fahren, nach Paris zurück.

      Er sah sich schon im Bahncoupé.

      Köln! Herrgott, noch einen Tag Reise! Er fühlte eine heiße Unruhe; es daure ja eine Ewigkeit. Am liebsten möchte er aussteigen und laufen, laufen, so schnell er nur könne, laufen ununterbrochen ... Drei Stunden vor Paris – zwei Stunden – er hielt die Uhr in seiner Hand und verfolgte den Zeiger von Minute zu Minute. Noch eine halbe Stunde; der Atem wurde schwer und heiß, das Herz schlug wie ein Hammer in seiner Brust. Jetzt fährt der Zug langsam in die Bahnhofshalle ein. Seine Augen überfliegen die Menge. Da – da: in dem gelben Mantel – er hat sie erkannt – da steht sie forschend, suchend, erregt. Und jetzt: sie reichen sich die Hände, flüchtig, als hätten sie Furcht vor einem stärkeren Druck. Nun nimmt er ihren Arm und zittert vor Freude, und sie preßt sich an ihn an in stummer Seligkeit.

      Falk wachte auf.

      Das müsse er tun; augenblicklich müsse er an sie telegraphieren, daß er sofort komme.

      Plötzlich befiel ihn eine nervöse Angst; es kam ihm vor, als ob er überhaupt nicht mehr die Kraft zu einer solchen Reise hätte. Er setzte sich hin und ließ die Arme hängen.

      Nein, er würde ganz gewiß die Kraft nicht haben. Paris kam ihm vor irgendwo in China, zwei Jahre von ihm entfernt; immer weiter rückte es von ihm weg.

      Merkwürdig, daß er sich auf das Gesicht seiner Frau nicht besinnen konnte – auf das Gesicht ... ja, Herrgott: Fräulein ... Fräulein ... wie hab ich sie doch nur genannt?

      Er fing an mit den Fingern hin und her zu tappen. Er lief herum; aber er konnte sich nicht besinnen.

      Eine neue Angst befiel ihn, wie wenn er aufs Schafott gehen müsse. Er hatte doch den Namen schon irgendwo früher gehört, gelesen, oder so etwas; ja, irgendwo im Figaro, in den Verhandlungen der französischen Kammer.

      Na, endlich!

      Er atmete tief auf.

      Fräulein Perier, Perier ... Perier.

      Er fühlte СКАЧАТЬ